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Verlage müssen die kleineren Buchhändler stützen

Kann man auf eine kurze Formel bringen, welche Fehler die Musikindustrie in ihre aktuelle Krise geführt haben? Ich glaube, man kann vor allem zwei Komplexe ausmachen:

  • Wir hätten viel eher begreifen müssen, in welchem Maße die digitale Revolution die herkömmlichen Vorstellungen von Urheberrecht unter Druck setzen würde, und entsprechend hätten wir die politische Debatte über den Schutz des geistigen Eigentums viel früher anstoßen müssen.
  • Wir hätten die simple Formel „Content is King“ konsequent beherzigen müssen. In allen Content-Branchen gibt es eine latente Furcht vor der Entdinglichung des Produkts, und dadurch haben wir zu lange nicht erkannt, dass unser eigentliches Produkt gar kein Ding im haptischen Sinne ist. Statt Trägersysteme und Vertriebswege ideologisch zu überhöhen, hätten wir nüchtern kaufmännisch sagen müssen: O.k., wenn die Leute Musik in Form einer digitalen Datei haben wollen, dann gestalten wir eben diesen neuen Vertriebsweg.

Wenn die Entscheider in der Buchbranche vermeiden wollen, die gleichen Fehler zu machen, müssen sie sich vor allem eines klarmachen: Der Wert, mit dem sie handeln, ist die Literatur selbst, also die kreativen Ideen und die Geschichten. Um dieses Kernprodukt sind Strukturen entstanden, die auf einem primär haptischen Selbstverständnis aufbauen, die auch zum großen Teil sinnvoll waren und noch sind. Aber es wäre ein Fehler, zu glauben, dass man diese Strukturen, etwa durch kulturpolitische Maßnahmen, verteidigen könnte, wenn das Verhalten der Kunden sich ändert.

Als Angehörige von contentgestützten Branchen dürfen wir uns nichts vormachen: Die Herausforderung durch die digitale Revolution ist viel größer, als wir noch vor ein paar Jahren gedacht haben. Die Digitalisierung verändert auch unsere haptischen Gewohnheiten viel stärker, als man sich das früher vorstellen konnte. Man sollte sich nicht in Sicherheit wiegen: Diese Revolution findet klammheimlich statt, weil sie unser aller Gewohnheiten fast unmerklich verändert, aber sie hat das Verhalten der Kunden grundlegend verändert.

Akzeptieren und mitgestalten

Wir beobachten heute eine Individualisierung der Kundenströme in allen Bereichen. Im Industriezeitalter sah man die Kunden als Masse, die man mit standardisierten Produkten bedienen konnte, aber diese Sicht mit ihren klassischen Segmentierungen stimmt nicht mehr. Der Kunde begreift sich heute als Individuum, das zum Beispiel den Anspruch hat, seinen Zugriff auf Literatur so zu organisieren, wie es ihm gerade passt.

Man muss ganz sachlich sehen, dass diese Entwicklung neue Vertriebswege und neue Produkte hervorbringt, Stichwort Kindle. Der Siegeszug des iPod von Apple zeigt, welche Dynamik solche Entwicklungen entfalten können.
Wenn ein Anbieter mit großer Marktmacht ein smartes, trendiges E-Book-Lesegerät auf den Markt bringt, dürfte es sehr bald den ersten Internet-Bestseller geben. Man muss diese Veränderungen akzeptieren, denn nur aus dieser Akzeptanz heraus kann man sie mitgestalten.

Schutz für digitalen Vertriebsweg

Dazu gehört auch, eine politische Debatte über die Perspektiven der Digitalisierung zu führen. Denn wenn der digitale Weg ein ernst zu nehmender Vertriebsweg werden soll, muss eines klar sein: Es ist nicht nur Diebstahl, wenn jemand in der Buchhandlung ein Buch mitgehen lässt, sondern auch, wenn er es im Internet illegal herunterlädt. Der digitale Vertriebsweg muss so geschützt sein, dass man auf ihm überhaupt Wertigkeiten austauschen kann, sonst verschleudert die Gesellschaft nicht nur ihre kulturelle, sondern auch ihre ökonomische Zukunft.

Wir brauchen deshalb eine Debatte über die  Verknüpfung von Kultur und Hochtechnologie, wie es sie in England und Frankreich schon gibt. Dort muss man zur Verfolgung von Urheberrechtsverstößen im Internet nicht mehr den mühsamen zivilrechtlichen Weg gehen wie in Deutschland, sondern es gibt Institutionen, die von sich aus einschreiten, wenn jemand illegale Downloads ermöglicht.

Perspektiven des Buchhandels

Nebenbei: Den anderen Branchen der Kreativwirtschaft kann nichts Besseres passieren, als dass auch die in Deutschland besonders angesehene Buchbranche von den Herausforderungen der digitalen Revolution betroffen wird. Das wird der gesellschaftlichen und politischen Diskussion enormen Schwung verleihen.
Es wäre allerdings ein Missverständnis, wenn man aus der digitalen Entwicklung schließen wollte, dass wir alle sozusagen zu „digitalen Wesen“ werden. An der Entwicklung in der Musikbranche sehen wir, dass die haptischen Bedürfnisse der Menschen nicht verschwinden, sondern sich andere Wege suchen: Je mehr Musik über das Internet vertrieben wird, desto voller werden die Konzerte. Ich bin davon überzeugt, dass es in der Rezeption von Literatur eine ähnliche Entwicklung geben wird: Je leichter das Buch im Internet zum Download verfügbar wird, desto stärker werden Lesungen und andere Inszenierungen von Literatur wahrgenommen werden.

Auch das gedruckte Buch selbst wird nicht verschwinden, denn wir gehen als Menschen und als Kunden nicht alle in dieselbe Richtung. Aber wenn der nichthaptische Vertrieb den klassischen nur zu 10 oder 20% ersetzt, wird das im mittelständischen Buchhandel schon eine handfeste Krise auslösen.
Immerhin hat der Buchhandel gegenüber dem fast ausgestorbenen mittelständischen Schallplattenhandel einen gewaltigen Vorteil: Die Preisbindung. Die kann helfen, die kulturelle Vielfalt im Sinne der Beratung vor Ort zu sichern.

Kleinere Buchhändler stützen

Allerdings wird die Preisbindung allein die mittelständischen Strukturen im Buchhandel auch nicht erhalten können. Und das bedeutet, wenn man die Erfahrungen der Musikbranche zugrunde legt, dass die Contentlieferanten die Handelsstrukturen in einer strategischen Gesamtsicht sehen müssen. Denn wenn die großen Player immer stärker werden, können sie irgendwann den ganzen Markt bestimmen. Die Verlage müssten im eigenen Interesse die kleineren Buchhändler stützen, denn andernfalls werden Monopole entstehen. Und wenn die einmal da sind, ist es zu spät.

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