Das Kaleidoskop Frankfurter Buchmesse dürfte bei aller Vielfältigkeit zwei Entwicklungen besonders deutlich machen:
- Es gelingt der Buchbranche einerseits, sich und ihr eher stilles Medium zu „eventisieren“ und Publikumsereignisse zu schaffen: durch die Buchmessen, durch eine Inflation von Buchpreisen, durch Literatur-Festivals bis hin zu den ungezählten Buchhandlungs-Veranstaltungen.
- Diese Eventisierung und die große Aufmerksamkeit der Buchmessetage machen andererseits auch schmerzlich klar, dass Bücher in der Alltagskultur tatsächlich immer weniger sichtbar sind. Viel Feiertag, zu wenig Selbstverständlichkeit.
Fehlende Sichtbarkeit: Das gilt erstens rein körperlich durch weniger und kleinere Buchhandlungen als „Schaufenster“ und zweitens (als generelles Einzelhandelsproblem:) weniger Seh- und Laufkunden, aber drittens auch ganz grundsätzlich im Sinne nachlassender Relevanz.
Klar, hat jetzt wieder mancher genickt, als Verbandsvorsteher Heinrich Riethmüller zur Messe-Eröffnung pflichtgemäß die Bedeutung der Branche mächtig aufgeladen hat: „Das ist die Stunde der Buchbranche. In unruhigen Zeiten fördern Verlage und Buchhandlungen Dialog, verlässliche Information und Meinungsbildung. Sie stoßen gesellschaftliche Debatten an, stehen für Pluralität und den Austausch von Meinungen.“
So weit das Festredenbild der Buchbranche, das seine Berechtigung hat, sofern der Stolz nicht von den Herausforderungen ablenkt, auf dass der Buchbranche nicht die Stunde schlägt. Tatsächlich ist die Rolle des Buches als Leitmedium bedroht, nicht zuletzt mit spürbaren wirtschaftlichen Folgen:
- „Käufer und Leser kommen uns in erschreckendem Maß abhanden“, hat etwa Piper-Verlegerin Felicitas von Lovenberg, soeben in den Börsenvereins-Vorstand nachgerückt, Anfang dieser Woche in einem „Handelsblatt“-Interview Klartext geredet. Es gehe mittlerweile darum, das Kulturgut Lesen „vorm Aussterben“ zu bewahren. Mit Ursachenforschung in der Selbstbeobachtung: Zwischen Mails und Messages werde es immer schwerer, sich in einen Buchstoff zu versenken.
- Diskurse zu gesellschaftlich relevanten Themen werden immer öfter auf digitalen Plattformen initiiert und geführt, zum anderen gehört es nicht mehr zur Pflicht des „Bildungsbürgers“, bestimmte Bücher gelesen zu haben, akzentuiert auch Verlagsberater Ehrhardt F. Heinold die veränderte Mediennutzung als Ursache für den abnehmenden Stellenwert von Büchern (s. Kasten zu den 12 Messetrends).
Preisentwicklung verdeckt den Nachfragerückgang
Dass dies keine Früher-war-mehr-Buchkultur-Larmoyanz ist, zeigen die Zahlen, die buchreport in der Vorwoche auf der breiten Basis des Media-Control-Handelspanels für die ersten 9 Monate zusammengetragen hat und die einige Herausforderungen enthalten:
- Gesamtmarkt: Der deutsche Buchmarkt hat in der Gesamtbetrachtung von stationär und E-Commerce in den ersten 9 Monaten rund 1% Umsatz eingebüßt. Dieser Rückstand zum Vorjahr kann im 4. Quartal mit einem guten Weihnachtsgeschäft zwar noch aufgeholt werden, aber auch das wäre zu wenig, um angesichts steigender Kosten den Status zu halten.
- Buchhandlungen: Der stationäre Buchhandel mit seinem anhaltenden Kostendruck liegt in Deutschland nach 9 Monaten mehr als 2% unter Vorjahr, in Österreich und der Schweiz schrumpft das Geschäft sogar noch stärker. Die schon stark reduzierte Sichtbarkeit von Büchern dürfte noch weiter abnehmen.
- Absatzrückgang: Selbst wer die Umsatzentwicklung noch als halbwegs verträglich einstuft, wird die schrumpfenden Absatzzahlen mit größerer Sorge betrachten. Dass Taschenbücher immer häufiger mehr als 10 Euro kosten und Hardcover über die 20-Euro-Marke gehoben werden, sorgt für einen höheren Durchschnittspreis und dafür, dass die Umsätze nicht noch deutlicher zurückgehen.
Das heißt: Die Nachfrage schwächelt und geht schneller zurück, als sich das im Kassenstand bemerkbar macht. Nach buchreport-Berechnungen ist der Buchabsatz im deutschen Gesamtmarkt in diesem Jahr (Stand: Ende September) um 3% rückläufig, im stationären Handel sogar um knapp 5%.
Stabilität mit deutlichem Inflationsabschlag
Für eine realistischere Betrachtung, die sich weniger an den relativ freundlicheren nominalen Zahlen orientiert, sondern die Märkte inflationsbereinigt vermisst, wirbt aktuell der Branchenanalyst (und buchreport-Korrespondent) Rüdiger Wischenbart in einer Anfang Oktober vorgelegten Studie „How Big Is Global Publishing“, die die internationalen Märkte aus der Vogelperspektive betrachtet. Die Studie argumentiert, dass selbst geringe Preissteigerungen die Marktzahlen im Mehrjahresvergleich stark verzerren und eine nicht vorhandene Stabilität vortäuschen.
Deutschland habe etwa über die vergangenen 10 Jahre zwar weitgehend stabil-stagnierende Zahlen gemeldet, aber eben die Auswirkungen der Inflation nicht berücksichtigt. Die deutsche Entwicklung sei zwar verglichen mit anderen Märkten relativ stabil, aber: In konstanten Preisen ist auch der deutsche Markt von 2008 (=100%) bis 2016 auf immerhin 85% geschrumpft, hat Wischenbart ausgerechnet. Dass alle etablierten Buchmärkte unter Druck sind, verstärkt eher das Unwohlsein.
THEMA STANDARDISIERUNG
Zusammenrücken, auch bei der Digitalisierung
Eine schrumpfende Branche wird zusammenrücken müssen und das gar nicht unbedingt nur im Sinne weiterer Konzentration, wie sie gerade Bonnier (mit Übernahme der Münchner Verlagsgruppe) und Holtzbrinck (mit Übernahme des Groh Verlags) vorführen.Auf der Frankfurter Buchmesse wird es auch ums Zusammenrücken im Sinne von Rationalisierung und Standardisierung gehen, wie sie u.a. im Forum Verlagsherstellung (Halle 4.0 J 37) diskutiert wird. Sehr grundsätzlich geht das Thema Alexander Markowetz (Foto) in seinem Vortrag „Integrating the Publishing Environment“ an, in dem es um einen unternehmensübergreifenden Digitalisierungsansatz geht, am Messe-Mittwoch (11.10., 12 Uhr, Halle 3.1, H 85 „Forum Börsenverein). Eine zugespitzte Fassung zur Vor- oder Nachbereitung gibt es hier
Heinolds Trendthemen
Ehrhardt F. Heinold hat „durch die Beraterbrille“ 12 Trends aufgeschrieben, hier nur als Überschriften, ausführlich hier
- Die strukturellen Veränderungen in der Mediennutzung gehen weiter.
- Bücher haben eine abnehmende Relevanz für gesellschaftliche Diskurse und die Akkumulation von „kulturellem Kapital“.
- Die richtigen Inhalte, prominente Autoren und langlebige Medienmarken bleiben der zentrale Erfolgsfaktor.
- Trends sind wie Wellen – wer sie reitet, gewinnt.
- Der stationäre Handel wird immer mehr zum Nadelöhr.
- Der direkte Kontakt zu den Lesern wird immer wichtiger.
- Die Unterstützung von Autoren wird wichtiger.
- Enhanced E-Books, Apps, „Books in Browsers“ bleiben weiterhin ein marginales Experimentierfeld.
- Fachverlage sind auf dem Weg zum Zielgruppendienstleister.
- Markenpflege bleibt wichtig.
- Interne Strukturen sind genauso wichtig wie Innovationen.
- Konsolidierungsprozess schreitet voran.
Quelle: Ehrhardt F. Heinold
buchreport-Umsatztrend
- September-Umsatz: Die aktuellen Monatszahlen des buchreport-Umsatztrends und die kumulierten 9-Monats-Werte stehen hier
Kommentar hinterlassen zu "Zwischen Diskursmedium und Kundenschwund"