Unternehmensberater Rüdiger Salat über Verlage und Innovation
Vermisse die Offenheit für Impulse von außen
Kann man Innovation organisieren? Wie gestaltet man einen Verlag, sodass er nicht nur für neue Bücher, sondern grundsätzlich für Neuerungen offen bleibt? Das sind Fragen, die Rüdiger Salat spannend findet. Der Unternehmensberater war über Jahrzehnte im Verlagsmanagement aktiv, darunter 14 Jahre (bis 2013) in der Holtzbrinck-Geschäftsführung verantwortlich für Publikumsverlage. Im (hier leicht gekürzten) buchreport-Gespräch, geführt im Frühjahr 2014, geht es explizit um Innovationsimpulse für die Branche.
Rüdiger Salat gehört zu den Referenten der Konferenz buchreport.360° zum Thema „Wie Verlage den Leser entdecken – und was das für Programm, Marketing und Vertrieb bedeutet“. Weitere Informationen in diesem PDF.
Wie steht es aktuell um die Innovationskultur in der Buchverlagsbranche?
Was mir mit ein bisschen Abstand zur Verlagsbranche auffällt: Es gibt ein ambivalentes Verhältnis zur Innovation. Inhaltlich und intellektuell ist die Branche ständig mit Innovationen beschäftigt. Man kann ja jeden neuen Titel als Produktinnovation verstehen. Aber dort, wo es um die Veränderung des eigenen Unternehmens oder die Anpassung von Geschäftsmodellen an Kundenwünsche geht, ist die Innovationsfreude sehr gedämpft. Das überrascht angesichts des gesteigerten Bewusstseins, dass nicht nur der Handel Kunden erreicht, sondern Verlage ihre Leser direkt ansprechen müssen.
Hier kann man mit Experimentierfreude mehr erreichen als mit Grundsatzdiskussionen. Im Verhältnis zu den signifikanten Änderungen des Mediennutzungs- und Leserverhaltens kommt mir die Entwicklung in der Buchbranche eher zögerlich vor und ich vermisse letztlich die Offenheit für Impulse von außen.
Woher könnten die kommen?
Innovation entsteht ja grundsätzlich durch Austausch, durch Netzwerke, durch Unvorhergesehenes. Wenn man Anregungen aus sehr unterschiedlichen Zielgruppen und Kundenwelten sammelt, etwa wie Leser Kaufentscheidungen treffen, wie sie sich anregen lassen und engagieren, wie sie weiterempfehlen, entdeckt man neue Wege, wie ein Verlag das aufnehmen und unterstützen kann. Es ist doch die Kernfunktion eines Verlags, Leser für seine Autoren zu finden. Es stehen völlig neue Instrumente zur Verfügung, das ist die gute Nachricht. Aber da sich der Kunde ändert, selbst ständig ausprobiert, gibt es keine Standardantworten oder neu zu etablierende Routinen. Erfolgreiche Unternehmen müssen permanent sehr beweglich und offen sein, um ihre Kunden zu erreichen.
Wird der Markt als zu stabil wahrgenommen?
Dass der Buchmarkt so stabil erscheint, hängt mit der Altersstruktur der Gesellschaft und den Älteren als einer sehr wichtigen Kundengruppe zusammen. Wenn man sich anschaut, wie Jüngere lesen, dann sind signifikante Änderungen nicht zu übersehen. Aus der Dynamik internationaler Märkte kann man vieles lernen, auch wenn nicht alle Entwicklungen direkt auf Deutschland übertragbar sind.
Von welchen Branchen kann man am meisten lernen, weil sie selbst offener sind oder auch weil die Erfahrungen für die Buchbranche gut passen?
An ganzen Branchen würde ich das nicht festmachen. Ich halte es für eine wesentliche Führungsaufgabe, in einem Unternehmen eine Kultur der Offenheit und Experimentierfreude zu verankern. Dazu gehört auch eine hohe Fehlertoleranz, sonst kann eine Organisation sich nicht innovativ entwickeln.
Hat die Branche die richtigen Anführer für Experimentiergeist und Fehlertoleranz?
Es gibt schon sehr innovative Leute. Aber innovative Einzelkämpfer bedeuten nicht automatisch innovative Unternehmen. Das hat mich persönlich am Thema Organisation immer praktisch und theoretisch fasziniert: Wie gestaltet man eine Organisation so, dass sie die Kreation und Umsetzung von Neuem fördert und nicht verhindert. Eine funktionierende Organisation bedeutet Rückenwind, aber die meisten von uns kennen auch den Gegenwind, den eine Organisation für Veränderungen bedeuten kann, ganz gut. Das Thema Veränderung im Arbeitsumfeld stellt für viele Menschen zunächst eher eine Bedrohung dar, man muss also schon ziemlich viel dafür tun, dass eine Organisation an dieser Stelle von sich aus aktiv bleibt.
Dann hat man die großartige Chance, ein Unternehmen als Netzwerk zu etablieren, das in der Lage ist, mehr und vielfältigere Anregungen aufzunehmen als ein Einzelner. Dann hat man Mitarbeiter, die nicht nur gelegentlich über den eigenen Tellerrand blicken, sondern wissen, dass es viele Teller gibt.
Die Branche ist zu selbstreferenziell?
Ja, das ist wahrscheinlich ein Problem aller Medienbranchen. Die Buchbranche ist ungeheuer vernetzt, aber vor allem innerhalb eines recht homogenen Netzwerkes. Kommunikationsfähigkeit in heterogenen Netzwerken ist für Innovationen viel ergiebiger. Das ist eine große Chance für Wettbewerber, die von außen kommen, und auch Start-ups haben es einfacher. Sie gehen sehr fokussiert mit einer neuen Idee an den Start und müssen zumindest eine Zeit lang nicht auf ihre Rendite achten. Das bringt eine radikalere, unbelastete Vorgehensweise mit sich.
Wie können etablierte Unternehmen die Reibung vermindern zwischen den Leuten, die das mehr oder weniger rentable alte Geschäft pflegen und denen, die vermeintlich mit neuen Ideen Geld verbrennen?
Idealerweise schafft man es, die Themen so zu verbinden, dass alle im Unternehmen verstehen, warum neue Richtungen eingeschlagen werden, dass man sich gegenseitig befruchten und damit besser überleben kann. Verständnis und vertrauensvolle Unterstützung stellen sich aber nicht von selbst ein. Erste Voraussetzung neben persönlichem Vertrauen ist ein gemeinsames Werte- und Zielsystem, dann eine klare Positionierung, um Innovationsfelder zu definieren und deren Bedeutung für eine Verlagsstrategie klar- zumachen.
Entscheidend für den Erfolg ist auch die ausreichende Verfügbarkeit von Ressourcen. Der sichere Tod jeder neuen Idee ist die offenbar unausrottbare Vorstellung, das könnte Herr oder Frau X doch noch nebenher machen. Dazu hat auch in der Buchbranche wohl niemand genügend Freiraum. Wenn man ein Thema als strategisch wichtig erkannt hat, dann muss man auch für die entsprechenden operativen Ressourcen sorgen.
Durch strikte Trennung?
In der Umsetzung auf jeden Fall. Die Erkenntnis, dass man neue Ansätze separat entwickeln und nicht an irgendeine Abteilung angliedern kann, ist banal. Aber es fällt immer wieder schwer, innovative Projekte konsequent mit ausreichendem Freiraum auszustatten, weil befürchtet wird, dass sie zulasten des traditionellen Geschäfts gehen. Dann werden richtige Entscheidungen getroffen, aber nicht für ausreichend Entwicklungsspielraum gesorgt. Man versucht damit vielleicht auch bewusst oder unbewusst das Alte möglichst lange zu erhalten und macht es dem Neuen schwer, genügend Raum zu finden.
Also rausgehen auf die grüne Wiese und das Bewährte läuft weiter im Altbau?
Oder man zieht nach Kalifornien …
… wie Bild-Chefredakteur Kai Diekmann.
Die Geschichte hat einen Bart, aber natürlich ist das ein guter Weg, dafür zu sorgen, dass man innovative Kombinationen zu Produkten, Dienstleistungen und Formen der Zusammenarbeit sieht. Die entscheidende Frage bleibt, wie viel von diesen Ideen, die ein Einzelner oder ein paar Kollegen mitbringen, in der Breite des Unternehmens verstanden, akzeptiert und so motiviert umgesetzt werden, dass sich eigene Innovationen und Wettbewerbsvorteile entwickeln.
Ist das der Knackpunkt, dass die anregenden Impulse und inspirierenden Ideen nicht umgesetzt werden, egal ob man von einer interessanten Tagung zurückkehrt oder vom Praktikum im Silicon Valley?
Das ist ein ganz typischer Konflikt. Das Tagesgeschäft in den meisten Unternehmen und auch in der Buchbranche ist absolut abendfüllend im besten Wortsinn. Eine Führungskraft muss zuerst sich selbst den Freiraum schaffen, um hochkonzentriert an etwas Zusätzlichem und nicht Alltäglichen zu arbeiten. Es gibt bekanntlich Unternehmen, die ihren Mitarbeitern einen Tag pro Woche gestatten, sich mit eigenen Ideen zu beschäftigen. So hat Google etliche Innovationen erfolgreich auf den Weg gebracht. Das ist ein radikaler Weg, den man sich leisten können muss, aber hocheffektiv, wenn man daran glaubt, dass unterschiedliche Interessen und Perspektiven einzelner Mitarbeiter den Anstoß für innovative Veränderungen bilden können.
Wie geht es eine Nummer kleiner?
Es gibt viele Möglichkeiten, einen anderen Blick auf das eigene Geschäft und künftige Entwicklungen zu bekommen. Ich habe beste Erfahrungen mit heterogen zusammengesetzten Gruppen zu unterschiedlichsten Themen gemacht. Das können Diskussionsrunden mit Lesern, mit Fachleuten aus anderen Branchen oder Projektgruppen mit Studenten sein, um Bedürfnisse, Orientierung, Bewertungen und schließlich Kaufentscheidungen besser zu verstehen. Dabei entstehen nicht immer Start-up-Ideen, aber Anregungen zum eigenen Selbstverständnis, zu Kundenbeziehungen sowie zum Geschäftsmodell und dessen Zukunft erhält man immer. Autoren können zu diesen Themen ebenfalls einiges beitragen, ein Wettbewerbsvorteil der Buchbranche!
Manchmal hilft es schon, mit offenen Augen durch das eigene Unternehmen zu gehen, wenn man verstehen möchte, welche Bedürfnisse Kunden in fünf Jahren im Internet haben?…
…oder den eigenen Kindern zuzuschauen.
Absolut. Exploration braucht keine großen Stichproben. Anregungen für neue Geschäftsmodelle brauchen natürlich eine Validierung, z.B. einen Markttest.
Wer hilft einem dabei? Die Branche besteht zum großen Teil aus Mittelständlern die nicht einmal einen Forschungs- und Entwicklungsetat vorsehen?…
Was man in jeder Unternehmensgröße tun kann: Kontakt mit einer Universität oder Fachhochschule aufnehmen.
Für die kleine Branche gibt es zumindest relativ viele Hochschulen.
Ich denke gar nicht nur an Institute, die mit der Buchbranche und dem Branchendenken verbunden sind. Bei aller Qualität und all den guten Leuten, die da zu finden sind, würde ich als Buchhändler z.B. an einen Informatik-Lehrstuhl herangehen, wenn ich überlege, wie ich auf digitalem Weg intensiver mit meinem Kunden kommunizieren kann. Oft sind Hochschulen selbst sehr interessiert, einen Praxisbezug herstellen und an unternehmerische Fragestellungen anknüpfen können.
Das heißt letztlich Drittmittel-Forschung: Ist das bezahlbar?
Das sind überschaubare Summen, der Zeitaufwand ist meistens das größere Hindernis. Die Zusammenarbeit mit Hochschulen ist auch unter einer anderen Perspektive wichtig: Die Branche kann dadurch ihre Attraktivität anschaulich machen. Es gibt nach wie vor junge, begeisterte Leser, aber nur wenige haben Bezug zum Verlagswesen. Viele ahnen nicht, welche spannenden Herausforderungen es dort für ihre berufliche Zukunft gibt. Indem man entsprechende Fragestellungen an so eine Gruppe heranträgt, setzt man einen Dialog mit Verlagsmitarbeitern, Buchhändlern und weiteren Bezugsgruppen in Gang. Das kann im Idealfall sogar das Thema Fachkräftemangel, mit dem wir als Branche zunehmend konfrontiert sind, mildern.
Vor allem werden Antworten nach dem Kundenverhalten gesucht?
Ist das Thema Kaufentscheidung nicht ziemlich spielentscheidend? Vor vielen Jahren gab es in Kooperation mit Hugendubel ein Projekt, in dem im Weihnachtsgeschäft 500 Käufer in der Buchhandlung von Studenten befragt wurden. Es kamen dabei hochinteressante Erkenntnisse heraus, von der Orientierung im Laden über die Preisgestaltung bis hin zur Covergestaltung.
Heute ändert sich das Leser- und Käuferverhalten entscheidend und diese Veränderungen möchte ich möglichst zeitnah verstehen. Welche sozialen Medien sorgen dafür, dass ein Titel optimale Aufmerksamkeit bekommt, was sind die wirkungsvollsten Kombinationen von realen Veranstaltungen und virtueller Ansprache? Welche Relevanz hat z.B. Twitter in Deutschland, welche Informationen über Autoren interessieren Leser am meisten etc.?
Schlägt dann die Stunde von Big Data?
Über statistische Analysen herauszufinden, welche Wege zu den Kunden optimal funktionieren, ist hoch spannend, aber aufwendig. Das werden sich vorerst nur wenige Verlage leisten wollen. Zumal nicht immer feststellbar ist, wo ein Titel gekauft wird. Nur dann lässt sich zweifelsfrei die Wirksamkeit von Marketingmaßnahmen bestimmen. Das ist bei E-Books besonders problematisch. Explorative Methoden können dabei genauso weiterhelfen wie Big-Data-Analysen. Die Frage, wo eigentlich E-Books entdeckt werden, die Leser nicht gezielt suchen, die noch nicht auf einer Bestsellerliste oder in Läden sichtbar sind, ist für mich eine der spannendsten aktuellen Fragen in unserer Branche.
Würde die Antwort auch ein Stück weit erklären, wofür Verlage auch künftig noch gebraucht werden?
Ja, wenn beispielsweise das Thema Discoverability von Verlagen überzeugend weiterentwickelt wird. Es gibt für Verlage wie für Autoren heute viel mehr Möglichkeiten, Bücher zu produzieren und zu vermarkten, als noch vor zehn Jahren. Leider ist auch der Konkurrenzdruck größer geworden. Umso intensiver müssen Verlage an ihren Fähigkeiten arbeiten, Autoren durchzusetzen. Daran wird ihre Leistungsfähigkeit und Kreativität gemessen. Die erfolgreiche Kombination der entsprechenden Fähigkeiten in bestehenden und neuen Geschäftsmodellen ist Innovation im besten Schumpeter’schen Sinn.
Wenn an der Entwicklung dieser Fähigkeiten ein ganzer Verlag permanent arbeitet, dann entsteht das, was ich zu Beginn des Gesprächs mit Rückenwind bezeichnet habe. Eine Organisation verstärkt die Ideen und Initiativen eines Einzelnen überproportional. So ein Verlag wird in der Lage sein, Autoren optimal bekannt zu machen. Er wird sein eigenes Leistungsangebot, seine Positionierung laufend erneuern, indem er inhaltlichen Anspruch mit neuen Ansätzen zur Vermarktung kombiniert und damit seine Autoren sichtbar macht.
Die Fragen stellte Thomas Wilking – Foto: buchreport
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