Im Rückblick erscheinen Kampfansagen gelegentlich wie Aufrufe zum letzten Gefecht. Zwei Jahre, nachdem Jörg Hagen, Chef der französischen Bertelsmann-Buchhandelssparte, selbstbewusst das Ziel vorgegeben hat, mit den Töchtern der Direct Group France (DGF) 2010 zur größten Buchhandlung im „Hexagone“ aufzusteigen, hat Gütersloh (wie berichtet) die Segel gestrichen: Das Firmenkonglomerat mit den Filetstücken Chapitre.com (stationäres Geschäft und Online-Shop) und dem Medienclub France Loisirs soll, wie berichtet, an Najafi aus Phoenix (Arizona) veräußert werden.
Die US-Investment-Firma, mit der Bertelsmann weiterhin exklusiv verhandelt, ist für den Medienkonzern eine bekannte Größe: 2008 hatte die Private-Equity-Firma bereits die nordamerikanischen Buchklubs von Bertelsmann gekauft.
Stocken die Verhandlungen?
Doch während Bertelsmann in Spanien bereits einen Käufer für die Buchhandels-Töchter gefunden hat, seien die schon Monate dauernden Verhandlungen in Frankreich an einem heiklen Punkt angelangt, berichtet das Branchenportal actualitté.com. Der Unmut in der Belegschaft wachse – was wiederum am Ende den Investor in die Flucht zu schlagen drohe. Eine Befürchtung in der DGF: Die Amerikaner wollen kein Geld in das Unternehmen investieren, sondern erwarten von den Franzosen, dass sich die Gruppe selbst finanziert und saniert.
Kein Notverkauf, sondern eine strategische Entscheidung, heißt es in Unternehmenskreisen zur erwünschten Trennung von der DGF; Bertelsmann wolle aktuell weder ins Club-Geschäft, noch in den Sortiments-Buchhandel weiter investieren.
Schwierige Koalition von Club und Buchhandel
Doch was sind die Ursachen der Kehrtwende? Im Rückblick ist der französische Weg nicht aufgegangen, das chronische Club-Problem – mit preisgünstigen Angeboten Clubmitglieder im digitalen Zeitalter ködern/binden – per Expansion auf ein neues Geschäftsfeld zu lösen:
- Nachdem France Loisirs in den 1990er-Jahren pro Jahr durchschnittlich 1% des Umsatzes verloren hatte, wagten die Deutsch-Franzosen 2005 die Flucht nach vorn: Im April 2005 kaufte die Bertelsmann-Tochter, seinerzeit unter der Regie von Ewald Walgenbach, die größte unabhängige Buchhandelskette Privat, sechs Monate später den Filialisten Alsatia.
- Ziel: Neben dem Buchclub, den Unternehmenspatriarch Reinhard Mohn mit dem Verleger Sven Nielsen 1970 gestartet hatte, sowie den Clubshops in Kooperation mit Buchhändlern ein echtes Sortimentsstandbein aufbauen.
- Doch die Hoffnung ging nicht auf: Im Bertelsmann-Geschäftsbericht ist für das 1. Halbjahr 2010 von weiterhin sinkenden Clubmitglieder-Umsätzen (neben Deutschland) besonders in Frankreich die Rede.
- Auf dem Buchhandels-Neuland, das inzwischen unter der Marke der 100%-Online-Tochter Chapitre.com firmiert, ist es mit rund 50 Filialen nicht gelungen, das marktführende Medienhaus Fnac anzugreifen.
- Über die Ursachen des gescheiterten Angriffs lässt sich nur spekulieren. Fest steht, dass es neben logistischen Problemen und extrem hohen Remissionsquoten der Filialen (laut Hagen 2009 rund 27%, in einzelnen Filialen sogar bis zu 40%) großen Unmut bei den Mitarbeitern der einst unabhängigen Sortimente gab, weil diese zunehmend zentral gesteuert wurden. Am Ende dürfte ein schwaches Jahr 2010 den Ausschlag für den Verkauf gegeben haben – der gesamte französische Sortimentsbuchhandel verlor 1,5% an Umsatz.
Direct-Group-Umsätze seit 2001 auf ein Fünftel gesunken
Wie stark die Direct Group in den vergangenen Jahren abgespeckt hat, zeigen die Umsatz- und Mitarbeiterzahlen. Während die Bertelsmann-Tochter 2001 noch mit über 13500 Mitarbeitern 3,1 Mrd Euro erwirtschaftete, sanken die Erlöse bis 2009 hauptsächlich durch die Veräußerungen auf 1,25 Mrd Euro (Mitarbeiter: 10087). Mit dem Verkauf der französischen Geschäfte (Umsatz 2009: 623 Mio Euro) schrumpft der Umsatz noch einmal um die Hälfte.
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