Dass Leih- und Abomodelle für E-Books das Potenzial haben, den Buchmarkt zu verändern, bezweifelt spätestens seit dem US-Start von „Kindle Unlimited“ niemand mehr. Welchen Einfluss sie auf das Leseverhalten der Kunden und das Schreibverhalten der Autoren haben könnten, beleuchten zwei aktuelle Beiträge.
Im Magazin „Cicero“ sinniert Anna Sauerbrey über das Leseverhalten der Deutschen in Zeiten von 9,99-Flatrates. Sie entwirft zwei Szenarien für die Zukunft des Lesens:
- „Die Literaturflatrate führt zur Demokratisierung schwieriger literarischer Stoffe. Der bislang nur mittelmäßig interessierte und etwas geizige Gelegenheitsleser wirft, angelockt vom Buchstaben-Supersonderangebot, einen Blick in den Thomas Mann, liest sich fest und erklimmt den Zauberberg der Weltliteratur. Ein derart geistig gestärktes Deutschland erlebt eine ganz neue Tiefe öffentlicher Debatten, in den Internetforen wird aus dem Kopf zitiert.“
- „Die Literaturflatrate führt direkt hinein in die kulturelle Verwahrlosung. Der Bildungsbürger, der schon jetzt die Früchte großer Geister auf dem Couchtisch verschimmeln lässt, legt das Flatrate-Buch schon nach wenigen Happen zur Seite. Der kleinste Hänger im Plot, die kleinste gedankliche Hürde und das Werk landet im digitalen Orkus.“
Für die zweite Vision spreche der Verlust besonderer Lesemotivationen, unter anderem dem Gedanken, „lesen zu müssen, für was man bezahlt hat“ und der sozialen Kontrolle durch Menschen, die das eigene Buchregal begutachten.
Auch Jan Brandt kann dem Prinzip des Lesens in der Cloud nur wenig abgewinnen. Ihm bereiten allerdings die Folgen für die Autoren und die Qualität ihrer Werke am meisten Bauchschmerzen. In einem Interview bei „Deutschlandradio Kultur“ versucht der Schriftsteller, die Folgen eines von Amazon dominierten Literaturbetriebs abzuschätzen: „Für die Bücher, fürs Lesen und für die Leser ist eine Flatrate erst einmal positiv.“ Er bezweifelt aber, dass das auch für die Autoren gelte. Wenn Autoren nur dann bezahlt werden, wenn 10% ihres Buches gelesen wurden, müssen sie Brandt zufolge die „Skandalfähigkeit“ ihrer Werke erhöhen. Das führe zur Verflachung der Literatur und letztlich zum Mainstream.
Brandt kritisiert die Amazon-Politik und das Selfpublishing-Modell: Von der Idee, die Autoren praktisch alles selber machen zu lassen, profitiere nur der Onliner. Für die Autoren sei der Kindle-Publikationsweg wenig erfolgsversprechend: „Die Bücher stehen dann da und konkurrieren mit 600.000 anderen Titeln. Es gibt kein Marketing, keine Werbung, keinen Fürsprecher. Und deswegen gehen sie auch unter.“
Alle aktuellen Online-Meldungen und Interviews zum Thema Abomodelle finden Sie gebündelt im buchreport-Dossier unter buchreport.de/analysen/e_book_abos.htm. Alles zum Thema Selfpublishing finden Sie unter buchreport.de/analysen/selfpublishing.htm.
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