Die internationalen Stars der Buchbranche verstellen den Blick: Tatsächlich sind nur wenige Autoren in mehreren Märkten ähnlich erfolgreich. Die Roman-Vorlieben sind offenbar eher regional als grenzüberschreitend. Eine Analyse.
Die belletristische Buchwelt ist bunter als der erste Blick auf die Bestsellerlisten glauben macht. Im Panorama-Schwenk über die internationalen Rankings fallen zwar sofort die „alten Bekannten“ Stephenie Meyer, Stieg Larsson und Dan Brown ins Auge, die sich länderübergreifend platzieren und besonders dominant wirken, weil Meyer und Larsson gleich mit Serienwerken erfolgreich sind. Aber, so Rüdiger Wischenbart: „Die Lesevorlieben quer durch Europa sind wesentlich vielfältiger sowie von Land zu Land unterschiedlicher als man erwarten würde, und sie sind auch gar nicht so stark von angelsächsischer Globalware geprägt.“
Studie führt Bestsellerlisten zusammen
Diese These haben Wischenbart und Mitstreiter vor einem Jahr erstmals vorgetragen und mit einer vergleichenden Zusammenführung der Bestsellerlisten europäischer Buchmärkte unterfüttert (buchreport.magazin 5/09). Die Datenbasis – mit der „Spiegel“-Liste für den deutschen Markt – wurde mittlerweile auch vom Beobachtungszeitraum erweitert, um auch Verschiebungen bei den Erscheinungsdaten besser zu berücksichtigen. Mit komplexen statistischen Berechnungen hat das Team jetzt einen zweiten „Diversity Report“ vorgelegt, der seinem Titel zufolge die Vielfalt und die Unterschiede zwischen einzelnen Ländern in Bezug auf erfolgreiche Autoren und ihre Themen akzentuiert. Einzelne Befunde:
- Übersetzungen aus dem Englischen dominieren nicht. Sie machen im Schnitt „nur“ rund ein Drittel aller Bestseller aus; Ausreißer sind hier der schwedische Markt mit einem besonders hohen Anteil von Romanen aus dem eigenen Land und nur 10% Übersetzungen aus dem Angloamerikanischen und wenig überraschend der britische Markt, unter dessen 30 Toptiteln nur zwei Übersetzungen aus anderen Sprachen gezählt wurden (darunter ist Charlotte Roches „Feuchtgebiete“, während ansonsten deutschsprachige Bestseller kaum Spuren in der oberen Region der Rankings anderer Länder hinterlassen).
- Die Vorlieben sind eher regional als europäisch. Selbst unter den absoluten Top-Bestsellern, die durch lange Präsenz auf einzelnen Bestsellerlisten viele Punkte in der Bestseller-Datenbank der Analysten sammeln, gibt es nur eine relativ kurze Reihe von Autoren, die in mehr als zwei oder drei Ländern ins Spitzenfeld der Verkaufsränge vordringen und damit länderübergreifend als europäische Spitzenautoren gelten können (s. Tabelle). Das heißt auch: Ein im Schnitt gutes Drittel der Spitzentitel ist ein Phänomen des jeweiligen nationalen Marktes, die es als Übersetzung in anderen Märkten nicht in die erste Reihe schaffen.
- Der Erfolg ist westeuropäisch. Eine bemerkenswerte Zahl europäischer, nicht auf Englisch schreibender Autoren konnte in den letzten Jahren ein recht breites Lesepublikum quer durch Märkte und Sprachen gewinnen, allerdings gilt dies so gut wie ausschließlich für Autoren aus Westeuropa, während Autoren aus den neueren Mitgliedsländern der Europäischen Union der Zugang zu diesem exklusiven Klub versperrt zu bleiben scheint.
- Autorenkarrieren entstehen nicht am Reißbrett. Die Vielfalt bei Belletristik-Bestsellern in Bezug auf den biografischen Hintergrund der Autoren, ihrer Themen und Stile ist erheblich, und viele der erfolgreichsten Autoren scheinen eher durch Leser und deren Mundpropaganda „gemacht“ zu werden, bevor nach einem Initialerfolg der konzentrierte Einsatz von Marketingmitteln diesen Erfolg und auch die internationale Durchsetzung weiter befördern kann.
Übersetzung in Schlüsselsprachen
Der „Diversity Report“ verfolgt in Fallstudien auch die Wege, die ein Bestseller in der internationalen Verbreitung nimmt. Hierbei sind künftig noch weitere Erkenntnisse zu erwarten, wenn die beobachtete Zeitspanne der Bestsellerlisten-Studie weiter wächst.
Pointiert wird die Multiplikations- und Mittlerrolle, die einzelne Sprachen spielen, etwa die französische Ausgabe für den internationalen Erfolg von Stieg Larssons „Millennium“-Trilogie. Andererseits ist der französische Markt trotz sehr reger Übersetzungstätigkeit deutlich englischorientierter als der deutsche, der ebenfalls als Sprungbrett für Bücher aus „kleineren“ Sprachen gilt.
Wischenbart setzt sich auch mit dem scheinbaren Paradox auseinander, dass letztlich das Englische das ideale Sprungbrett ist, andererseits nur wenige Bücher für den sich stark selbst genügenden angloamerikanischen Markt übersetzt werden. Er stellt auch die provozierende Frage, ob sich die nationalen Übersetzerförderungen nicht stärker auf die Übertragung ins Englische konzentrieren sollten, um auf diesem Wege die Werke ihrer einheimischen Autoren die größtmögliche Aufmerksamkeit zu sichern.
Thomas Wilking
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