buchreport

Volker Bombien: "Kostet ja nix" kostet viel

Volker Bombien: "Kostet ja nix" kostet viel

Wenn an Silvester die Raketen in den Himmel aufsteigen, geht Social Media Marketing (SMM) im deutschsprachigen Buch- und Verlagswesen ins dritte Jahr. Grund genug, darüber nachzudenken, was 2011 an Entwicklungen im Social-Media-Marketing-Bereich wünschenswert und notwendig ist. SMM im Unternehmen budgetieren
Die Initialzündung für die Einführung von Facebook und Twitter im Verlags- oder Buchhandelsumfeld ging stets von engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus, die durch den privaten Gebrauch dieser neuen Medien bereits erkannt hatten, dass Twitter und Co. sich auch fürs Unternehmensmarketing eignen. Geschäftsführungen erkannten dagegen zunächst nicht den Nutzen, ließen sich jedoch aufs Experimentieren damit ein, zumal das Argument „Kostet ja nix“ verlockend war. Es dauerte nicht lang, kontinuierlich wuchsen die Follower- und Fanzahlen auf Twitter und Facebook an. Und mancher Geschäftsführer schlug sich selbst für seine (unverdiente) innovative Weitsicht auf die Schulter, wenn die Fangemeinde vierstellig wurde.

Mittlerweile ist SMM aus der Buchbranche nicht mehr wegzudenken; es hat sich einen festen Stellenwert im Dialog mit dem internet-affinen Kunden erobert. Der Irrglaube, dass das Ganze für lau zu haben ist, hält sich dagegen erstaunlich zäh in vielen Geschäftsführungen. Nur wenige Managerinnen und Manager haben es bisher als ihre Führungsaufgabe angesehen, diese Marketingform angemessen in kommenden Finanzhaushaltsplänen zu budgetieren, denn es „kostet ja nix“…

Die Budgetierung von Social-Media-Aktivitäten im Haushaltsplan für die kommenden Jahre ist jedoch eine wichtige Weichenstellung, um diese Marktingform aus dem Experimentierstadium ins seriöse Geschäftsgebahren von Buchhandels- und Verlagsfirmen zu überführen. Das systematische Erfassen der Kundenmeinungen durch ihre Tweets und ihre auf Facebook veröffentlichten Meinungen und Haltungen, das Identifizieren von Kundenwünschen und der lebendige Dialog mit Kunden – das kostet Arbeitszeiten und Personalressourcen, die seriöserweise geplant werden müssen, wenn diese Aktivitäten den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht zusätzlich zur normalen Arbeit aufgebürdet werden sollen oder wenn verhindert werden soll, das andere notwendige Arbeiten deswegen wegfallen.

SMM-Wirkung messen
Was kostet einen Verlag ein Tweet? Wie viele Buchhandelskunden nehmen einen Adventskalender auf Facebook wahr? Wie viel kostet der neue Follower einen Verlag? Und besonders wichtig: In welchem Verhältnis steht eine SMM-Aktivität zum erfolgten Umsatz? Diese Fragen kann man nur verlässlich beantworten, wenn man Instrumentarien für die Analyse entwickelt. Denn diese stehen schlicht und einfach noch nicht zur Verfügung, sie stecken noch im Experimentierstadium. Auch hier zeigen sich die Folgen von dem „Kostet-ja-nix“-Management. Wenn man nicht weiß, wie viel Arbeitszeit für SMM in einem Verlag oder einer Buchhandlung draufgeht,  kann man auch nicht die Kosten in Relation zum gemessenen Nutzen setzen.

SMM-Unternehmensziele definieren, Reichweiten messen, Kennziffern entwickeln – das sind die Hausaufgaben, die im nächsten Jahr gemacht werden müssen. Dabei kann man sich natürlich aus dem reichhaltigen Methoden- und Kennziffernkoffer des klassischen Marketings und Controllings bedienen. Vieles kann angepasst, nur weniges muss komplett neu entwickelt werden.

SMM ist Teil des Marketing-Mix
Social Media Marketing darf nicht an die twitternde Volontärin abgeschoben werden, während das klassische Marketing weiterhin fest in den Händen des Marketingleiters liegt. Vielerorts herrscht leider noch immer die Meinung vor, man müsse im Marketing lediglich ein, maximal zwei Jahre die Augen zumachen, dann sei der SMM-Spuk endlich vorbei und man könne wieder seinen liebgewonnenen, erprobten Marketingaktivitäten nachgehen. Oder man glaubt, Twitter und Facebook würden schon bald von der nächsten Internet-Modewelle abgelöst. Die Aufteilung in klassisches Marketing einerseits und SMM andererseits ist jedoch nur noch historisch  zu begründen, es wird niemals mehr ein Zurück geben.

Der richtige Mix aber macht gutes und erfolgreiches Marketing aus. Die langjährige Buchhandelskundin, die ihren Internetanschluss vor allem zum E-Mail-Download nutzt, wird vermutlich viel besser durch ein im Laden aufgehängtes Plakat zur nächsten Autorenlesung angesprochen als durch einen Tweet oder eine Facebook-Einladung. Die vom Verlag retweetete Meinung eines Autors dagegen wirkt sich vermutlich positiv auf seine Beziehung zum Autor aus.

So wie es eine Vielfalt von Zielgruppen und Marketing-Zielen gibt, so gibt es auch eine Vielfalt von Marketing-Aktivitäten. Sie müssen verzahnt werden – und nicht in friedlicher Koexistenz nebeneinander her leben. Mit dieser Verzahnung betritt man interessantes Neuland.

Arbeitnehmergerechte SMM-Arbeitssituationen
Gutes SMM zeichnet sich dadurch aus, dass die Firmenbotschaft vom Kunden in einem Freundschaftsumfeld wahrgenommen wird. Ein Firmen-Tweet wird – wenn SMM gut gemacht ist – mit der gleichen Emotionalität aufgenommen wie der Tweet von der besten Freundin. Das ist die ganze Crux bei SMM.

Da es sich bei Twitter und Facebook um Echtzeit-Medien handelt, spielt es eine bedeutsame Rolle, wann eine Facebook-Meldung geschrieben und wann sie gelesen wird. Ein am Montagmorgen um 10 Uhr verschickter Tweet wird vermutlich abends um 19 Uhr, wenn der Follower von seiner Arbeit kommt und seinen Twitter-Account checkt, nicht mehr sonderlich zur Kenntnis genommen. Es zählt nur das Jetzt, der Twitterer scrollt selten in seiner Timeline zurück.

Um zu erreichen, dass man eher als Freund anstatt als Unternehmen wahrgenommen wird, muss man deshalb dann mit seinen Kunden kommunizieren, wenn die dazu bereit sind – und das ist häufig zu arbeitnehmerunfreundlichen Zeiten.

Die Wirkungen von SMM-Aktivitäten verpuffen allzu oft, weil sie wie Werbebotschaften im herkömmlichen Sinn dargeboten werden: Wir haben euch etwas zu sagen. SMM hebt genau diese Sender-Empfänger-Beziehung auf, der Kunde kann (und soll aus Firmensicht) auf die Firmenbotschaft reagieren, sei es durch Weiterleiten oder sei es durch direktes Antworten.

Um diesen komplexen, erweiterten Kommunikationswegen gerecht zu werden, muss man auch kurzfristig auf Kundenmeinungen eingehen können. Auch dies muss dann zwangsläufig häufig zu arbeitnehmerunfreundlichen Zeiten geschehen.

Firmenentscheider müssen verstehen lernen, dass SMM sein volles Potential nur ausschöpft, wenn es als Echtzeit-Kommunikation umgesetzt wird. Und die Zeit bestimmt der Kunde. Für den twitternden Marketing-Mitarbeiter bedeutet das Twittern um 21 Uhr abends jedoch Arbeit – und keine coole Freizeitbeschäftigung. Diese Arbeit muss bezahlt  und in die Arbeitszeitplanung einbezogen werden.

Kommentare

2 Kommentare zu "Volker Bombien: "Kostet ja nix" kostet viel"

  1. „Kost ja nix“ kostet vor allem dann viel, wenn der stiefmütterlich gelittene Apendix der Unternehmenskommunikation im Ernstfall mal sein wahres Potential entfaltet — ungeschulte Mitarbeiter, die ohne Social media Guideline und womöglich noch mit den besten Absichten „einfach mal loslegen“ und per viralem RT/SHARE/DIGG Effekt in Windeseile 1.000 Interessierten Zuhörern ihre persönliche Meinung bzgl. des Marketingleiters kundtun — oder sogar bzgl. eines gehegten, empfindsamen Autoren. . .

  2. Endlich wird der Wert von dem Engangement der (hoffentlich noch) Einzelkämpfer Kund getan. Die Verlage müssen begreifen, dass der Nutzer, der Kunde schon lange im Netz angekommen ist und auch dort bedient werden will.

    Werden seine Kommentare, Anregungen, seine Kritik nicht schnell, d. h. in der Geschwindigkeit des Netzes, aufgenommen, wendet er sich ab und sucht bessere Angebote. SMM ist keine Einbahnstraße, verhält sich anders als „normale“ Marketingaktionen. Daher muss auch korrekt bezahltes Personal für diese Aufgabe abgestellt werden.

    Besonders wichtig und leider eine kaum beackertes Feld ist die Metrik, mit der der Verlag messen kann (und muss), welcher Kanal was kostet und was bringt.

    Im Moment handelt es sich aber nur um einen – im günstigsten Fall – stiefmütterlich betreuten Kanal, mit dem man Kunden (ein-) binden kann. Dieser Kanal muss endlich professionell genutzt werden. Die Zeit des amateurhaften Umgangs sind schon lange vorbei. Der Verlag, der sich nicht schnell bewegt, wird schnell vergessen und übergangen.

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Mit dem Abschicken des Kommentars erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihre Daten elektronisch gespeichert werden. Diese Einverständniserklärung können Sie jederzeit gegenüber der Harenberg Kommunikation Verlags- und Medien-GmbH & Co. KG widerrufen. Weitere Informationen finden Sie in unseren Datenschutz-Richtlinien

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*

Themen-Kanäle

SPIEGEL-Bestseller

1
Fitzek, Sebastian
Droemer
2
Neuhaus, Nele
Ullstein
3
Garmus, Bonnie
Piper
4
Schlink, Bernhard
Diogenes
5
Follett, Ken
Lübbe
27.12.2023
Komplette Bestsellerliste Weitere Bestsellerlisten

Veranstaltungen

Es gibt derzeit keine bevorstehenden Veranstaltungen.

größte Buchhandlungen