Von Anfang an wurden die Social-Media-Aktivtäten der Buchbranche in zahlreichen Ranking-Übersichten verglichen. Dabei geht es doch darum, die sozialen Medien für die Zwecke der Buchbranche zu nutzen – und nicht, irgendeinem Hype hinterherzuhecheln und auf Chi-Chi zu machen.
Die Buchbranche ist lange um die neuen sozialen Medien wie Twitter und Facebook herumgeschlichen. Meistens auf Intiative einzelner Mitarbeiter wurden irgendwann Twitteraccounts eröffnet und drauf los getwittert. Facebookseite von Buchhandlungen und Verlagen folgten dann zögerlich. Mittlerweile sind die neuen Medien bei Verlagen und im stationären Buchhandel angekommen. Täglich stoßen neue Verlage und Buchhandlungen dazu.
Von Anfang an wurden die Social-Media-Aktivtäten der Buchbranche in zahlreichen Ranking-Übersichten dargestellt und regelmäßig aktualisiert, so dass man jederzeit weiß, wieviele Follower der Patmos-Verlag und wieviele Fans die Lehmanns-Buchhandelskette hat. Das Medium gibt’s her, nichts ist leichter als an die Follower- und Fanzahlen zu kommen, ja die Erstellung solcher Ranking-Übersichten kann sogar automatisiert werden. Wenn ich mir heute solche Ranking-Listen (hier beispielsweise) anschaue, dann beschleicht mich ein eigenartiges Gefühl. Was sollen mir diese Ranking-Listen eigentlich sagen? Was bedeutet es, dass Verlag X 100 Follower mehr hat als Verlag Y? Sind die Aktivitäten der Buchhandlung A nur deshalb toller, weil sie mehr Follower als Buchhandlung Z hat?
Am meisten stört mich an den Rankings, dass sie vorgeben, Erfolg in den neuen sozialen Medien zu messen. Aber was bedeutet denn überhaupt Erfolg in diesem Zusammenhang? Mit diesem Blogbeitrag möchte ich deshalb den Fokus auf die Frage richten: Was ist die Erfolgsperspektive für die Buchbranche bei den neuen sozialen Medien?
Die Buchbranche kann auf eine Jahrhunderte währende Erfolgsstory zurückblicken, in der sie es stets verstanden hat, sich dem gesellschaftlichen und technischen Wandel anzupassen. Die Branche entwickelte erfolgreich Geschäftsmodelle, die heute noch so funktionieren wie vor 200 Jahren. Sie schuf eine funktionierende Warenhandelskette aus Produzenten, Zwischen- und Einzelhandel. Sie entwickelte eine Logistik, die es schon vor 30 Jahre gewährleistete, dass ein Buch über Nacht den Weg zum Kunden fand. Die Geschichte der Buchbranche war eine Erfolgsstory.
An diese Erfolgsstory gilt es mit den neuen sozialen Medien anzuknüpfen. Buchverlage und der stationäre Buchhandel haben keinen Spielraum und keine Ressourcen, sich den neuen sozialen Medien mit unpräziser Zielsetzung zu widmen und auf einen dollen Ranking-Platz auszusein. Es geht darum, die sozialen Medien für die Zwecke der Buchbranche zu nutzen — und nicht, um irgendeinem Hype hinterherzuhecheln und auf Chi-Chi zu machen.
Ich möchte einige Ideen vorstellen, die das oben Gesagte konkret verdeutlichen sollen:
– Der Follower einer Buchhandlung soll die Möglichkeit haben, bei einem Verlag ein Buch bequem per Twitter zu bestellen. Die twitternde Buchhandlung, die den Kauf quasi vermittelt hat, erhält dafür den üblichen Rabatt. Der Bestellweg ist – den neuen sozialen Medien angemessen – weitestgehend automatisiert.
– Der Außendienstler, der schon lange aus Effizienzgründen nicht mehr die Buchhandlung in einer mittelgroßen Stadt bereisen kann, betreut seine Buchhandlung zukünftig über Facebook. Eine speziell für Facebook erstellte Applikation erlaubt es dem Mitarbeiter der Buchhandlung, Verlagsinformationen abzurufen, die für anderen nicht einsehbar sind. Er erhält speziell für Facebook-Fans aufbereitete Verlagsinformationen.
– Eine Buchhandlung kündigt auf ihrer Facebook-Fanseite eine Autorenlesung per Livestream an, die ein Verlag vermittelt hat. Der Autor sitzt dabei – wie seine Zuschauer auch – gemütlich zu hause und liest aus seinem Werk. Der anschließende Chat wird von einer erfahrenen Buchhändlerin moderiert, dee den Autor betreuende Lektorin diskutiert mit.
– Ein Verlag entwickelt eine Facebook-Spiel, das – im Gegensatz zum unglaublich populären Farmville-Spiel auf Facebook – Prozesse der realen Welt simuliert, anstatt irgendwelchen virtuellen goldenen Eiern oder Katzen hinterher zu jagen. Buchhandlungen werden in das Spiel integriert und dienen als Spielertreff oder als Abholstation für Gewinne. Der Verlag führt somit dem Buchhändler Kunden zu, die vermutlich vorher noch nie in einer Buchhandlung waren.
– Verlage und Buchhandlungen entwickeln ein Konzept „Medienkompetenz“ für Buchhandelskunden. Per Broschüre, Chat und YouTube-Video werden Kunden in den an einem Nachmittag in der Buchhandlung in neuen sozialen Medien geschult, Lernziel „Der mündige Online-Kunde“. Die daraus resultierende Fan- und Followerbindung wird sehr beständig sein.
Illusorisch? Abgedreht? Nicht umsetzbar? Die Ideen hören sich vielleicht unrealistisch an – und sind mit zahlreichen technischen Fragen behaftet –, aber dennoch zeigen sie die Stoßrichtung auf. Es muss darum gehen, den wertvollen Erfahrungsschatz, den die Buchbranche über viele Jahre der erfolgreichen Kooperation erworben hat, auf die neuen sozialen Medien zu übertragen, anstatt diese Medien als etwas gänzlich Neues zu betrachten.
Die neuen Sozialen Medien sind auch nur Instrumente. Den Taktstock schwingen muss die Buchbranche. Sonst tuts ein anderer.
Volker Bombien
Digitale Bücher auf Facebook, Texte direkt vom Autor per Twitter, E-Books ohne Buchhandel: Die wirkliche Liste der Chancen ist lang – und bedeutet mittelfristig den Tod von mindestens 2/3 aller Buchhändler und der Hälfte aller Verlage. Die Überlebenden haben die digitale Klaviatur gelernt.
Gute Einschätzung! Allerdings interessiert es mich nur am Rande ob ein Geschäftsmodell 10, 100, 200 oder 500 Jhre erfolgreich war.
Übrigens: Einen Teil der Forderungen/Vorschläge für das Social Media Marketing erfüllen wir mit book2look ja schon. Jeder Bcuhhändler kann mit unseren viralen Biblets Bücher tweeten, Posten, embedden und den Umsatz auf seinen Shop lenken. Die Verlage denken aber noch gerne zentralistisch.
Ich glaube schon, daß das facebook Ranking eine wichtige Funktion erfüllt hat, nämlich die, daß sie die Aufmerksamkeit der Branche auf dieses Phänomen gelenkt hat, das Tun der anderen transparent wurde, und man sich irgendwann sagte, wenn der und der Wettbewerber, dann müssen wir jetzt auch. Und die Vernetzungsfunktion ist auch nicht zu verachten. ich kann mir gut vorstellen, dass wir alle mal noch interessiert auf die ersten Zahlen der frühen Facebook Jahre schauen werden.
@ Ralph Möllers: Muss ich verstehen wie Farmville funktioniert, um bei Bookville dabei zu sein? Wir (www.buecherfrauen.de) möchten unbedingt auch ein Häuschen. Bitte an uns denken. Bin leider nicht in Leipzig.
Bookville! Sehr gute Idee. Ich könnte mir vorstellen, dass wir das mit unseren Entwicklern relativ zügig umsetzen könnten. Wer könnte da mitmachen und wie kriegen wir die Vorfinanzierung hin? Wir haben die Facebook-Programmierer und wir haben ein funktionierendes Social Marketing Tool, aber wir können das leider nicht auch noch finanzieren. Ideen? Vielleicht kann man ja mal eine Gründungsversammlung des „Bookville Bauernverbandes“ in Leipzig ins Auge fassen.
Zu den Listen: Ein Wert der Listen ist, dass sie gerade zu Beginn der Nutzung solcher Plattformen zeigen, wer überhaupt dort aktiv ist. Die Anzahl der Fans ist natürlich nur ein bedingt aussagekräftiges Kriterium. Besser wären die Anzahl der Likes oder Kommentare oder ähnliches, d.h. Dinge, die für Reaktionen stehen. Leider stehen solche Daten bisher nur sehr bedingt zur Verfügung. Und Quantität ist natürlich nicht unbedingt Qualität.
Grundsätzlich finde ich aber auch eine Ordnung nach Fans ganz praktisch, weil z.B. die Verlage und Buchhandlungen dann noch mehr motiviert werden, auf den Plattformen aktiv zu werden, wenn sie sehen, dass ihre Wettbewerber dort aktiv sind. Zudem wird man schnell merken, dass man langfristig nur durch reines Aussenden und durch Gewinnspiele auch nicht viele Fans gewinnen wird.
Dafür, dass die Listen so nutzlos sind, möchten aber erstaunlich viele Buchleute erstaunlich gern darin auftauchen – mancher Buchhändler bspw. auch gern bei den Verlagen 😉
Volker Bombien spricht mir aus der Seele. Auf Grundlage solcher Überlegungen haben wir auch unsere Facebook-Applikation entwickelt, die am 17.03.2010 startet und bereits viele dieser guten Ideen beinhaltet. Mehr Infos auf der Pressekonferenz in Leipzig am 18.03. ab 14.00 Uhr… Die Applikation heißt übrigens Readboox.
Für mich als Autorin (und Selbstvermarkterin) erschließt sich durch soziale Medien die Möglichkeit, meine Leserschaft direkt erreichen zu können.
Zudem entstehen Listen von Autoren, die sich gegenseitig unterstützen könn(t)en, wenn es um Belange geht, die alle betreffen, wie zb ebooks, oder auch brisante Themen wie copyright.
Mir gefallen diese neuen Ideen auch, per Twitter bestellen, Kunden im facebook betreuen und ebendort Spiele für Leser und Buchhandlungen. Man sollte aber die Abhängigkeit von den Betreibern dieser Dienste (mit ihrer Willkür) im Hinterkopf behalten.
Schöne Ideen! Dabei gefällt mir vor allem die Spielidee sehr gut 🙂
Die Idee, daß Buchtipps von Buchhandlungen via Twitter und Facebook gegeben dann bei den Verlagen bestellt werden wiederum leuchtet mir weniger ein. Da linke ich doch lieber auf meine eigene Seite! Auch Book2look bietet hier uns BuchhändlerInnen eine schöne Möglichkeit, über unsere Seite zu bestellen und warum soll ich dieses Geschäft abgeben? Hier würde ich mir noch viel mehr Verlage wünschen, die mitmachen.
Was das Ranking anbelangt stimme ich zu: Wichtig ist, wer Fan oder Follwoer ist, also ob ich diejenigen, die ich erreichen will auch erreiche und nicht wieviele es sind. Trotzdem finde ich es interessant, daß hier die Unabhängigen und Kleinen (noch?) vorne mit dabei sind!
(wo bitte ist mein Beitrag von gestern ??)
Ich hatte Volkers Bombiens wunderbare Ideen schon immer geschätzt und würde mich freuen wenn unsere Verlage *alle* so denken – statt überall einen amazon-Bestell-Link zu platzieren.
Einen Vorteil haben die lokalen Buchhändler vor reinen Online-Shops: „Über 50 Prozent der Buchkäufe sind so nicht geplant. Der wichtigste Kaufgrund ist die spontane Entscheidung im Geschäft.“ Was liegt also näher, als Leser zum Erleben in die Buchhandlung einzuladen und darüber in Twitter, Facebook & Co zu reden…
Freue mich besonders auf weitere Kommentare der Verlage und Autoren :-))
Schöne Ideen, manche werden schon umgesetzt, wie z. B. die Livestream-Lesungen: http://www.lovelybooks.de/lesung
Ich hatte nicht gerade den Eindruck gehabt, daß die Gelisteten zwanghaft nach dem Ranking schauen. Vielmehr ist es doch so, man schaut, wo man steht, einfach als nette Orientierung. Außerdem ist es ja recht interessant, daß vor allem Klein- und Spezialverlage im Vergleich einen guten Zuspruch im Social Media haben. Die Gründe dafür sind ja zum Teil bekannt. Ansonsten soll man das Ganze nicht zu ernst nehmen. Denn für mich ist es vor allem ein Kommunikationskanal zum Leser, Autor und Vertriebspartner. Dies wurde ja letztlich im Beitrag indirekt angesprochen. Ansonsten sind die angedachten Ideen ganz interessant. Es wird spannend, wie Social Media in einem oder zwei Jahren aussehen wird.
Wunderbare Ideen hatte Volker Bombien ja schon immer. Inzwischen sind – auch wegen dieser blöden Listen – genügend Buchhändler auf Facebook um aktiv zu werden. Werden die Verlage das unterstützen ?
Es gibt bereits einige Fan-Seiten zu Büchern, Fahrenheit 451 oder Geschichte vom Kommen und Gehen des Computers http://www.facebook.com/pages/Heinz-Life/331805988506?ref=mf #Cebit Für Kunden und Leser kann das viel netter werden – es gibt schon Kunden die twittern sofort, wenn sie was in unserem Regal vermissen oder Anregungen haben! Und eines haben die lokalen Buchhändler reinen Online-Shops voraus: Über 50 Prozent der Buchkäufe sind so nicht geplant. Der wichtigste Kaufgrund ist die spontane Entscheidung im Geschäft 🙂
Erwarte eine spannende Disskusion!
Gute Einschätzung! Allerdings interessiert es mich nur am Rande ob ein Geschäftsmodell 10, 100, 200 oder 500 Jhre erfolgreich war.
Übrigens: Einen Teil der Forderungen/Vorschläge für das Social Media Marketing erfüllen wir mit book2look ja schon. Jeder Bcuhhändler kann mit unseren viralen „Biblets“ Bücher tweeten, Posten, embedden und den Umsatz auf seinen Shop lenken. Die Verlage denken aber noch gerne zentralistisch.
P.S.: So eine Art Bookville als Facebook-Spiel finde ich auch reizvoll. Könnte pädagogischen Wert haben und dennoch süchtigmachend sein. Müssen ja nicht immer nur Äcker, Mafia und Kellnerei sein …
Die Ideen finde ich prima! 🙂