Integrierte Systeme werden künftig den E-Book-Markt dominieren. Social-Reading-Funktionen werden dabei die Literaturlektüre erleichtern.
Klassische Webshops, die E-Book-Downloads anbieten, werden irrelevant. Kunden versorgen sich nicht an der einen Stelle mit Inhalten, um sie an anderer Stelle zu lesen sowie sich an dritter Stelle über diese auszutauschen. Kunden bevorzugen integrierte Systeme, die ihnen alles aus einer Hand bieten.
Vor allem aber ermöglichen diese Systeme die Kommunikation mit anderen Nutzern. Was dem Bildungsbürger des 19. Jahrhunderts der literarische Salon war, findet heute über soziale Netzwerke bzw. Social-Reading-Funktionen statt. Man trifft sich in virtuellen Räumen, deren Gesprächsgegenstand Bücher sind.
Bücher werden zu Räumen
Mehr noch: Durch Social Reading werden Bücher selbst zu diesen virtuellen Räumen, da man den jeweiligen Text gar nicht erst verlassen muss, um sich auszutauschen. Stattdessen teilt der Leser Kommentare und Anmerkungen – direkt an der Stelle, auf die man sich bezieht. Texte werden nicht mehr „am Stück“ in Form einer nachgelagerten Rezension kommentiert, sondern durch eine Markierung im Fließtext, wobei der Kommentar entweder in Form eines Pop-up-Fensters oder einer Marginalie eingeblendet wird.
Durch diese zunehmende Vernetzung von Inhalten entsteht ein regelrechtes Beziehungsnetzwerk zwischen Büchern und bildet damit etwas nach, was zu allen Zeiten vorhanden, dem Unbelesenen jedoch nicht nachvollziehbar gewesen ist. Denn ganz gleich ob bewusst (z.B. in Form eines Zitats oder einer Anspielung) oder unbewusst, unsere Texte stehen stets in einem Kontext, einem Bezugsrahmen und senden somit eine Positionsangabe in einem schier unendlichen Koordinatensystem möglicher Deutungen, um sich selbst ideengeschichtlich zu verorten.
Literatur war und ist stets hoch referentiell. Neu ist, dass wir diese Bezüge mit‧hilfe der Technik nun sichtbar und damit nachvollziehbar machen können, was u.a. eine enorme Chance hinsichtlich der Literarisierung niedrigerer Bildungsschichten darstellt. Hermetische Texte, die Nichteingeweihten ehedem unzugänglich gewesen sind, können so aufgebrochen und zugänglich gemacht werden.
Beispiele: Wer Goethes Faust nicht kennt, wird mit einer Gretchenfrage nichts anzufangen wissen oder auf der Suche nach des Pudels Kern gegen Windmühlen kämpfen – um sich im Anschluss an diese Odyssee auf die Suche nach der verlorenen Zeit zu machen. Literatur zu verstehen, kann eine wahre Herkulesaufgabe sein. Paris ist eben nicht nur eine Stadt, sondern auch der Vorläufer von Heidi Klum auf der Suche nach Germanys Next Topmodel in der Antike.
Landkarte der Literatur
Leseratten kennen sich in diesem minotaurischen Labyrinth der Bezugssysteme recht gut aus, auch ohne den Faden (der Ariadne) zu verlieren, alle anderen wären für einen Link oder zumindest eine Spotlight-Suche äußerst dankbar, wollen sie ein wenig Licht in die kryptischen Äußerungen bringen.
Social Reading kann dabei helfen, Texte zu dechiffrieren, eine Landkarte der Literatur zu erstellen, die auch jenen den Weg weist, welche diese Gefilde im Geiste noch nicht bereist haben und nun für sich entdecken. Vom wissenschaftlichen Potenzial des Arbeitens an und über Texten ganz zu schweigen.
Wissen kann nur dort produktiv werden, wo es Anwendung findet, Texte also zugänglich und nutzbar sind, statt unbemerkt in dunklen Archiven zu verschwinden. Es werde Licht!
Volker Oppmann, Gründer von Textunes, will mit seinem Projekt LOG.OS ein gemeinnütziges (Betriebs-)System für den Literaturbetrieb aufbauen.
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