Sie fühlen sich mental faul und träge? Sind unkreativ? Haben Probleme, komplexeren Gedankengängen zu folgen? Gedankensprünge nachzuvollziehen? Um die Ecke zu denken? Einen längeren Text zu verstehen? Dann sind Sie leider kein Einzelfall, sondern Teil eines wachsenden Problems. Die gute Nachricht: Sie können das ändern – durch ihr Konsumverhalten.
Das menschliche Gehirn verändert sich ein Leben lang. Es ist wie ein Muskel, der verkümmert, wenn er nicht trainiert wird. Neuronale Verbindungen, die wir nicht nutzen, werden kurzerhand entsorgt. Umgekehrt baut unser Gehirn die Datenautobahnen aus, auf denen wir häufig unterwegs sind. Im Gegensatz zu Straßen werden diese Verbindungen also besser, je stärker sie frequentiert werden.
Und noch viel entscheidender: Wer wird sind, hängt maßgeblich davon ab, wie wir denken. Die Harvard Professorin Ellen Langer hat nachgewiesen, dass “die Handlungen [der Menschen] größtenteils auf Annahmen über die Welt beruhen, die ihnen im Laufe der Zeit beigebracht oder eingeredet wurden – und die im Leben nicht unbedingt weiterhelfen.” (ZEIT Magazin No. 22 Mai 2016 – Ilka Piepgras: Du bist was Du denkst.)
Was wir denken, wie wir denken, und wer wir sind wird davon beeinflusst, mit welchen Gedanken wir uns beschäftigen, welchen Ideen wir Einlass in unser Denken gewähren. Entsprechend wählerisch sollten wir sein, welchen Dingen wir unsere Aufmerksamkeit schenken.
Du bist, was Du liest
In den meisten Bereichen sind wir es mittlerweile gewohnt, uns Gedanken um nachhaltigen Konsum zu machen – der Umwelt und nicht zuletzt uns selbst zuliebe. Ob Energie, Mobilität oder allen voran das Essen: Bewusstsein und Anspruch der Verbraucher wachsen. Nicht so beim Medienkonsum.
Du bist, was Du isst. Der Körper setzt sich aus dem zusammen, was wir zu uns nehmen. Doch auch unser Bewusstsein formt sich aus den Stoffen, die wir tagtäglich in uns aufnehmen, bewusst oder unbewusst. Du bist, was Du liest.
Wer aber macht sich Gedanken um den geistigen Nährwert von Inhalten? In der Entwicklung einer offenen Wissens- und Informationsgesellschaft kommt Literatur in all ihren Erscheinungsformen in eine wesentliche Rolle zu. Am Anfang war und steht immer das Wort. Unsere ganze Vorstellungswelt besteht aus Sprache. Die Sprache formt unsere Wirklichkeit. Wir lernen und wachsen im Austausch mit anderen.
Aber: Zeitungen und Bücher sind keine Leitmedien mehr. Der öffentliche Diskurs hat sich ins Netz verlagert, allen voran in Soziale Netzwerke. Doch woher stammt eine Information? Kann ich einer Quelle vertrauen? Oder geht es nur um den schnellen Klick? Wer entscheidet darüber, was Aufmerksamkeit verdient und was nicht? Und was passiert, wenn wir nur noch von Algorithmen mit Informationen gefüttert werden, deren einziges Ziel immer noch mehr Konsum ist? David Ryan Polgar bringt das am Ende seines TEDx Vortrags sehr gut auf den Punkt:
Silicon Valley is our mental food industry. Their job – like a cookie company – isn’t to say “you’re eating too much cookies, you’re getting too fat.” – their job is to sell you more cookies.
Und was noch viel schlimmer ist – das Silicon Valley hat sich nicht nur zu einer globalen geistigen Nahrungsmittelindustrie entwickelt, sondern zu einem Lieferanten von Junkfood und TV-Programm in einem. Hierzu sei aus einem sehr lesenswerten Blog-Beitrag von Hossein Derakhshan zitiert:
There’s less and less text to read on social networks, and more and more video to watch, more and more images to look at. (…) They all show a departure from a books-internet toward a television-internet. (…) it is rapidly resembling TV: linear, passive, programmed and inward-looking. When I log on to Facebook, my personal television starts. (…) I remain inside Facebook, and it continues to broadcast what I might like.
Wir werden vor den Bildschirm gefesselt und von einem Algorithmus mit billigen Junkfood, mit Klickbait gemästet. Wir kennen das von Erdnussflips: Wir wissen, dass das keine gesunde Ernährung ist, und doch können wir nicht damit aufhören, wenn wir erst einmal damit angefangen haben. Und die Unternehmen tun alles, damit wir immer mehr von dem konsumieren, was sie uns vorsetzen. Immer öfter, immer schneller, immer mehr lautet die Devise.
Und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, produzieren wir wie Milchkühe stumpfsinnig Daten für jene, an deren Melkmaschinen wir hängen. Denn das Perverse daran ist: Wir sind nicht die Kunden der Internetkonzerne, wir sind ihr Produkt. *
Es wird Zeit für einen Gegentrend, für einen bewussten Medienkonsum. Für vollwertige Inhalte aus nachhaltiger Produktion. Ausgereifte Texte von glücklichen, artgerecht gehaltenen, oder besser noch frei lebenden Autoren. Direkt vom Erzeuger. Es wird Zeit für Menschen an Stelle von Algorithmen – oder zumindest Algorithmen, die nicht dem reinen Diktat der Ökonomie unterworfen sind.
Den Seinen gibt der Herr im Schlaf
Mindestens ebenso wichtig wie eine vollwertige geistige Ernährung ist ausreichende Erholung. Das Gehirn entwickelt sich im Schlaf. Es entrümpelt, entsorgt, räumt auf, ordnet neu an. Es stellt im Unterbewusstsein Verbindungen her, die uns im Traum nie einfallen würden – d.h. im Wachtraum, wenn wir bewusst versuchen uns etwas zu “erträumen”. Im Schlaf funktioniert das sehr wohl, und das ohne aktives Zutun.
Wichtig ist, mit welchem Input man sein Gehirn im Vorfeld gefüttert, mit welchen Gedanken man sich beschäftigt und damit sein Gehirn “programmiert” hat. Dann muss man es arbeiten lassen. Nicht umsonst haben wir viele wichtige Ideen vermeintlich “nebenbei”, bei Tätigkeiten, die uns mental wenig fordern wie beim Abspülen oder Spazierengehen (Steve Jobs und andere Spaziergänger lassen herzlich grüßen). In diesen Momenten der Ruhe und Erholung arbeitet unser Unterbewusstsein auf Hochtouren und fördert Dinge zu Tage, die mit Gehirnakrobatik allein nicht zu bewältigen sind.
Solche Zeiten bedeuten also vor allem eines: abschalten. Und zwar sprichwörtlich. D.h. ein bewusster Verzicht auf Medienkonsum und die damit verbundene Reizüberflutung. Also auch keine Mails, keine Nachrichten, kein twitter, kein facebook, kein gar nichts. Am besten den Rechner zuklappen und das SmartPhone ausschalten – Flugzeugmodus geht zur Not auch. Und gar nicht erst an den Fernseher denken. Bücher (auf Papier) oder Musik sind hingegen erlaubt, sofern sie der Entspannung dienen.
Und jetzt: bitte abschalten!
Volker Oppmann, Gründer und CEO log.os GmbH & Co. KG. Oppmann studierte Germanistik und Skandinavistik in Bonn und Bergen. Erste Verlagserfahrung sammelte er 2002 bei Rogner & Bernhard in Hamburg und gründete anschließend den Berliner Independent-Verlag ONKEL & ONKEL. Mit textunes war er erster deutscher Anbieter von eBook-Apps und war von 2011 bis zum Launch des Tolino im März 2013 verantwortlich für den Digitalbereich bei Thalia. Seit 2013 arbeitet er im Bereich des Entrepreneurial Designs und Managements bei log.os.
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