Björn Hayer bricht in der „NZZ“ eine Lanze für Literatur, die sich in Zeiten multimedialer Beschleunigung zusehends behaupten muss. Literatur schaffe einen Ruhepol der Langsamkeit, öffne die Fantasie und schärfe den Blick für die Zusammenhänge der Welt, preist er ihre Vorzüge.
Noch nie habe es einen größeren Informationspool als das Internet gegeben, das als ideelles Schlaraffenland locke. Hayer fragt sich: „Wozu brauchen wir also noch Bücher, die phantasieren und erzählen? Oder schärfer gefragt: Welchen Nutzen haben in einer medial durchgetakteten Wirklichkeit Belletristik und Lyrik?“
Die Digitalisierung der Lebenswelt habe es bisher nicht geschafft, die Faszination des Buches zu zerstören. Hayer bedauert jedoch, dass viele ästhetisch und gesellschaftspolitisch relevante Themen aus der Gegenwartsliteratur nicht den Sprung in den breiten Diskurs schafften. Dies liege auch an der Buchbranche selbst: Viele Verlage würden das Kurzweilige aus ihrem Programm ambitionierten Projekten voranstellen. So fänden etwa tiefgreifende Gender-Debatten lediglich in Feuilletons statt.
Einen Hauptgrund für das veränderte Leseverhalten sieht Hayer in den digitalen Medien: „Wo das Surfen und das auf rasche Informationsgenerierung gemünzte Lesen die Mediennutzung bestimmen, nimmt nicht nur die Fähigkeit für das kontemplative Verweilen ab. Wir verlieren auch zunehmend den Blick für Strukturen und Zusammenhänge.“ Dabei gingen einige Autoren der Gegenwartsliteratur, wie Daniel Kehlmann, Thomas Glavinic, Dave Eggers oder Thomas Pynchon, gegen diese Erblindung an und vermittelten in multiperspektivischer Schau einen kritischen Blick auf die Eigendynamik der Netzwerkgesellschaft.
Statt des Voyeurismus des Netz könne der Leser durch Literatur „in Zwischenräume zwischen Realität und Fiktion, Innen und Aussen“ eintauchen. „Weder Youtube-Spots noch künstliche Topografien wie ‚Second Life‘ können tiefergreifenden Fragen um Subjektivität, Identität und Weltbezug angemessen Rechnung tragen. (…) In der Literatur nimmt das Wissen um Geburt und Tod, Transzendenz und Vergeblichkeit sprachliche Gestalt an. Es ereignet sich Schönheit, wie man sie weder in Blogs noch in Postings findet.“
„Indem Literatur die Dinge ästhetisiert, verleiht sie ihnen einen tieferen Wert. Sie lässt uns das Vibrato der Liebe, das Pathos der Leidenschaft, die Überwältigung durch das Erhabene spüren“, setzt Björn Hayer seine hymnische Liebeserklärung fort. Und schließt: „Man kann es auch so sagen: Das Internet gibt unserer Existenz einen Rahmen, aber die Literatur gibt ihr einen Grund.“
Kommentar hinterlassen zu "Vom Wert der Literatur in schnellen Zeiten"