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Von Vandalen bewohnt

buchreport hat bei Autoren angeklopft und gibt Einblicke in ihre Kreativitätsstätten. Die Schriftsteller verraten, wie ihre Geschichten entstehen, welche Umgebung sie schätzen und wie diszipliniert sie an ihren Schreibtischen sitzen. Heute zu Gast bei Birgit Vanderbeke:

© Julian Vanderbecke

Optimal waren sie in all den Jahren nicht, meine Schreibtische, die eigentlich keine Wahl hatten: Sie mussten sich meinen jeweiligen Lebensumständen anpassen und unterwerfen. Die meisten hat mein Mann gebaut, oft mit Beistelltischen, raffinierten Vorrichtungen für die diversen Tastaturen meiner diversen Computer, mit ausgeklügelten Ordnungssystemen für die Papiere seiner nicht sehr ordentlichen Frau, und immer gab es einen Haken; einmal störte der Blick auf das Bücherregal und lenkte ab, einmal war der Raum so klein wie eine Zelle, einmal die Schreibtischecke dunkel und trist, einmal war die ganze Sache so riesig, dass sie fast den halben Raum einnahm und ich die Wahl hatte: Regelmäßig aufräumen, um Staub wischen zu können, oder – leider der Regelfall – eben auch nicht.
Mein jetziger Schreibtisch ist der erste, der nicht selbst gebaut ist, er ist eine noch recht junge Flohmarkterwerbung und viel zu klein, dafür bildschön. Es wimmelt an seinem hinteren linken Bein von Holzwürmern, weil er eben so jung dann auch wieder nicht mehr war, als ich ihn auf dem Flohmarkt entdeckte und mich sofort in ihn verliebte; damit werden wir fertig.
Die jeweiligen Lebensumstände, unter denen meine Schreibtische und ich uns durchgeschlagen haben, sind das eigentlich Interessante an den 22 Jahren meiner schriftstellerischen Arbeit. Als unser Sohn noch klein war, war mein Arbeitsplatz aus guten Gründen sakrosankt. Ein paar Jahre lang hatte ich gar keinen, sondern schrieb am Esstisch oder in der Küche, um alles rasch wegräumen und vor seinen neugierigen Annäherungen sichern zu können. Später war an sakrosankt oder auch nur halbwegs geschützt nicht mehr zu denken: mein Schreibtisch geriet irgendwie ins Zentrum des Geschehens; hier wurde im selben Raum „Men in Black“ und „Spiderman“ gesehen und lebhaft kommentiert, hier wurden Wände herausgerissen, Küchen umgebaut, der Fußboden neu verlegt, hier wurden – „darf ich mal kurz an deinen Computer“ – Tastaturen umgestellt, Word-Formate geändert, überhaupt rasante Neukonfigurationen vorgenommen, die jeden Autor in Panik versetzen können, weil er plötzlich seinen Text nicht mehr findet; hier wurde eine Koproduktion fürs Abitur durchgeführt, wurden Internetgeschäfte getätigt und hier würde heute niemand daran denken, die Stimme zu senken, wenn ich arbeite, weil Schreiben nämlich nicht mit Stille und Andacht zu tun hat, sondern – ich habe mich daran gewöhnt – ganz schlicht mit dem blanken Leben, das sich um meine jeweiligen Tische herum ganz unbefangen entfaltet. Und wenn mir das zu viel wird, stelle ich den Blick auf ganz weit, die Ohren auf Durchlauf und schaue einfach in das Grün vor dem Fenster. Grün entspannt und beruhigt.
Zur Person: Birgit Vanderbeke 
hat ihren Lebensmittelpunkt in Südfrankreich. Dem breiten Publikum wurde sie 1998 mit dem Titel „Alberta empfängt einen Liebhaber“ (S. Fischer) bekannt, der sich 18 Wo­chen auf der Best­seller­liste platzieren konnte. Ebenfalls Einzug in die Liste hielten „Ich sehe was, was du nicht siehst“ und „abgehängt“ (beide Fischer).  Ihr neuer Roman „Die Frau mit dem Hund“ erscheint zur Buchmesse bei Piper, wo sie auch in der Reihe „Gebrauchsanweisung für…“ über ihre zweite Heimat Südfrankreich schreibt. 

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