Jeweils um knapp 30% gingen gestern die Preise von Kindle 2 und Nook nach unten – ein in dieser Dimension beispielloser Vorgang. Dabei könnte die massive Verbilligung der beiden mit Abstand populärsten Lesegeräte erst der Anfang eines Prozesses sein, an dessen (vielleicht schon baldigen) Ende hochwertige eBook Reader für einen symbolischen Euro/Dollar zu haben sind.Dem ökonomisch-gesellschaftlichen Siegeszug elektronischer Literatur standen bislang vor allem hohe Einstiegskosten für Hardware im Weg. Verschiedene Marktforschungsunternehmen kamen in der Vergangenheit zum immer gleichen Ergebnis: Das Interesse an der neuen Geräteklasse ist groß, die Kluft zwischen der finanziellen Schmerzgrenze vieler Interessierter (< 100 US-Dollar) und realen Anschaffungskosten allerdings auch.
Insbesondere die hohen Panel-Preise vom Quasi-Monopolisten E-Ink hievten eBook Reader lange Zeit auf ein Preisniveau, bei dem die Anschaffung nur für Vielleser („Serious Reader“) und besondere Zielgruppen wie Sehbehinderte oder einzelne Berufsgruppen eine wirkliche Option waren. Noch vor zwei Jahren verlangte Amazon 399 US-Dollar für seinen 1. Kindle, Alternativen gab es kaum.
Seit gestern kostet das deutlich weiterentwickelte Folgemodell Kindle 2 nicht einmal mehr die Hälfte, immer neue Hersteller steigen mit Lesegeräten unterschiedlichster Coleur in den Markt ein. Mindestens genauso wichtig aber: Allein im amerikanischen Kindle Store sind inzwischen über 660.000 eBooks online – von aktuellen Verkaufserfolgen bis hin zu ausgefallenen Ratgebern steht das digitale Angebot qualitativ wie quantitativ dem gedruckten Sortiment in nichts nach. Für Plattform-Betreiber wie Amazon oder Barnes & Noble hat das boomende Geschäft mit digitalen Inhalten dabei längst einen größeren Stellenwert als der Vertrieb von Hardware.
In diesem Punkt unterscheiden sich die (E-)Buchhändler kaum vom neuen großen Rivalen Apple, der schon lange mindestens im gleichen Maße ein Medienkonzern wie ein IT-Hersteller ist. Anfang 2010 konnten die Kalifornier 10 Milliarden (!) verkaufte MP3s bei iTunes vermelden, im App Store von iPhone/iPad/iPod Touch hält Betreiber Apple bei jedem Download die Hand auf. Ein anderes Beispiel ist Sony: Die Japaner verkauften ihre Playstation 3 jahrelang deutlich unter Herstellungspreis, verdienen ihr Geld mit Software und Zubehör.
Obwohl Amazon wie B&N über ihre Multiplattform-Strategie (Kindle: Apps für PC, Mac, iPhone, iPad, Blackberry; angekündigt Android) praktisch omnipräsent sind und damit am Erfolg vom Apple iPad durchaus auch partizieren, bleiben die eigenen Lesegeräte ein wichtiger Vertriebskanal für die eigenen Content-Angebote. Kindle 2 wie Nook verfügen über eine direkte Online-Anbindung an die eBook Stores der Unternehmen; wer einen Reader von Amazon sein Eigen nennt, ist mangels epub-Support sogar faktisch auf den Kindle Store als Quelle für komerzielle Literatur angewiesen. Barnes & Noble dagegen hat seinen Nook offener konzipiert, lockt Kunden hingegen mittels „More in Store“ Programm in seine US-weit 800 stationären Buchhandlungen.
Die subventionierte Abgabe (mehr oder weniger) „geschlossener“ Lesegeräte wäre vor diesem Hintergrund nur konsequent; eine Strategie, die Amazon.com bereits im Februar bei seinen besonders kauffreudigen (allerdings nicht zwingend eBook-affinen) Prime Kunden ausprobierte. Dass die „1-Euro-Reader“ spätestens infolge eines wachsenden Wettbewerbs auf dem E-Paper Markt und entsprechend fallender Herstellungspreise kommen, scheint gesichert: Die Frage ist, zu was für Konditionen.
Denkbar sind etwa Buchclub-Modelle, bei denen ein monatlicher Mindestumsatz für digitale Literatur anfällt – eine Option nicht nur für die „Großen“, sondern auch für eBook-Händler wie Beam eBooks oder sogar Verlagsgruppen. Zeitungshäuser könnten „kostenlose“ eBook Reader bei Abschluss einer langfristigen Abonnements abgeben; Trekstor arbeitet gegenwärtig an für dieses Szenario optimierte Hardware. Hinsichtlich (nicht-linearer, häufig farbiger) Periodika gelten allerdings bis auf weiteres reaktionsschnelle und flexible Multimedia-Tablets als bessere Anzeigegeräte.
Bringt ein dediziertes Lesegerät 2,5/3G-Konnektivität mit, sind Datenverträge eine weitere Möglichkeit der Quersubventionierung – Vodafone hatte so etwas mit seinem für die Cebit 2010 angekündigten, aber bis heute nicht realisierten „digitalen Zeitungskiosk“ nebst entsprechender Hardware im Sinn; Bertelsmann plant(e) wohl ähnliches.
Haken aus Konsumentensicht: Damit die Mischkalkulation aufgeht, werden Hersteller ihre Walled Garden eher ausbauen als weiter einreißen, wie es beim Kindle 2 infolge des jüngsten Firmware Update 2.5 (deutlich verbesserte pdf-Unterstützung) erhofft wurde. Damit verbunden ist aber auch der Auftrag an Plattform-Betreiber, für ein umfassendes Angebot attraktiver Inhalte zu sorgen: Dass im Kindle Store nach wie vor kaum deutschsprachige Literatur zu finden ist, wäre ungleich weniger ärgerlich (und wohl auch umsatzhemmend), wenn sich die Kindle-Lesegeräte mit dem hierzulande populären Adobe DRM verstehen würden.
„Dass im Kindle Store nach wie vor kaum deutschsprachige Literatur zu finden ist, wäre ungleich weniger ärgerlich (und wohl auch umsatzhemmend), wenn sich die Kindle-Lesegeräte mit dem hierzulande populären Adobe DRM verstehen würden.“
Oder ganz auf DRM verzichteten?