Warum hat das Landgericht Berlin Suhrkamp-Chefin Ulla Unseld-Berkéwicz abberufen? Die zuständige Kammer für Handelssachen hat jetzt ihre Urteilsbegründung vorgelegt. Und erklärt: Unseld-Berkéwicz habe ein Stimmrecht ausgeübt, das sie gar nicht hatte.
Rückblick: Am 10. Dezember 2012 hat das Landgericht Berlin Ulla Unseld-Berkéwicz als Geschäftsführerin des Suhrkamp Verlags abberufen. Damit folgte es einem Antrag des Klägers und Minderheitsgesellschafters Hans Barlach. Er hatte der Mehrheitsgesellschafterin vorgeworfen, bei der Anmietung ihrer Berliner Villa für den Suhrkamp-Verlag gegen die Gesellschaftervereinbarung verstoßen zu haben. Und beantragt, eine Entscheidung der Gesellschafterversammlung vom November 2011 außer Kraft zu setzen. Damals hatten die Gesellschafter seinen Antrag auf Abberufung der Geschäftsleitung abgelehnt.
Wie berichtet, ist das Gericht dem Antrag des Klägers gefolgt und hat Unseld-Berkéwicz abberufen. Die Begründung liegt jetzt vor:
- Unseld-Berkéwicz hätte Barlach rechtzeitig in die Entscheidung über den Mietvertrag miteinbeziehen müssen, weil eine festgesetzte Höchstgrenze überschritten worden sei, entschied das Gericht.
- Ihr Verhalten wiege umso schwerer, weil durch den Umzug eigentlich Kosten eingespart werden sollten. Dem stünde die Anmietung der Räume entgegen.
- Barlach fühlte sich auch über die wahren Motive des Umzugs des Suhrkamp Verlags nach Berlin getäuscht, heißt es weiter. Der Umzug sei womöglich aus privatem Interesse, nicht aus Unternehmensinteresse entschieden worden.
- Unseld-Berkéwicz habe bei der Gesellschafterversammlung ein Stimmrecht ausgeübt, das sie gar nicht besaß, war sie doch von dem Antrag auf Abberufung direkt betroffen.
- Das Vertrauensverhältnis zwischen den Gesellschaftern sei durch das Verhalten der Mehrheitsgesellschafterin nachhaltig gestört worden.
Ulla Unseld-Berkéwicz hat inzwischen, wie angekündigt, Berufung gegen ihre Abberufung als Geschäftsführerin durch das Landgericht Berlin eingelegt. Mit einer Entscheidung der nächsten Instanz wird im Februar 2013 gerechnet. Bis ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, bleibt sie auf jeden Fall amtierende Geschäftsführerin.
Der Suhrkamp-Streit
Die Auseinandersetzungen um die Macht bei Suhrkamp nach dem Tod von Siegfried Unseld (26. Oktober 2002) im knappen chronologischen Überblick:
- 2003: Ulla Unseld-Berkéwicz ist Vorsitzende der Familienstiftung, die die Mehrheit am Verlag hält. Sie versucht mehr Einfluss auf das operative Geschäft zu erhalten und wird als zusätzliche Verlagsgeschäftsführerin installiert; Geschäftsführer Günter Berg und der Suhrkamp-Stiftungsrat treten zurück.
- 2004–2006: Martin Walser wechselt unter Hinweis auf Differenzen mit der Geschäftsführung den Verlag; der neu eingetretene Geschäftsführer Georg Rieppel scheidet wieder aus, ebenso nach langjähriger Zugehörigkeit Programmgeschäftsführer Rainer Weiss.
- Der Zeitungsunternehmer Hans Barlach und der Hamburger Investmentbanker Claus Grossner übernehmen den Minderheitsanteil (29%) des Schweizer Teilhabers Andreas Reinhart (Medienholding Winterthur). Berkéwicz lehnt eine Zusammenarbeit ab.
- 2008: Barlach und Grossner fordern ein Mitsprachrecht und werfen der Verlegerin Unfähigkeit vor. Der Suhrkamp-Verlag stellt Strafanzeige. Das Amtsgereicht München stellt das Strafverfahren gegen Hans Barlach und Claus Grossner wegen übler Nachrede gegen eine Geldauflage ein. Die beiden müssen jeweils 15.000 Euro an gemeinnützige Einrichtungen zahlen.
- 2009: Der andere Minderheitsgesellschafter Joachim Unseld (20%) klagt gegen den Beschluss, den Verlag von Frankfurt a.M. nach Berlin umzusiedeln und steigt schließlich aus dem Verlag aus. Die Familienstiftung und Barlachs Medienagentur übernehmen jeweils 10%-Anteile.
- 2011: Barlach klagt gegen die Suhrkamp-Geschäftsführung wegen Veruntreuung und Kompetenzüberschreitung.
Kommentar hinterlassen zu "Warum Barlach Recht bekam"