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Warum sind Innovationen ein Problem, Herr Dueck?

Bei welcher Ihrer Ideen wurmt es Sie im Rückblick am meisten, dass Sie sie nicht durchsetzen konnten?
Es gibt Ideen, die man mal so hat und die man im Ton „man müsste mal“ ausdrückt. Davon hatte und habe ich viele, auch ganz visionäre, die heute eine gute Legende abgeben, wie früh ich doch Recht hatte. So etwas wie Google Street View oder Second Life stehen schon als Innovationsvorschläge an die IBM in meinem Buch „Wild Duck“ von 1999. Zu dieser Zeit war die Idee schon zwei Jahre alt bzw. so lange verlacht worden – da habe ich sie im genannten Buch publiziert, mit ein bisschen Wehleid über die eigene Firma. Es gab aber auch Ideen, die ich selbst umsetzen wollte. Das geht nicht mit Rumreden und „man sollte doch“. Da beschließe ich finster, ganz viel Willen und Energie einzusetzen, mich auslachen und bekämpfen zu lassen – und dann los! Wenn ich das so ernsthaft wollte, ist es auch in der Regel erfolgreich gewesen. Ich kann jetzt spontan von keinem größeren Frust berichten. Im Augenblick bin ich frischer Mitgründer einer GmbH, die das Portal Blueforge betreibt, eine Software-Wikipedia, in der man demnächst die Software nicht nur beschrieben findet, sondern auch in der Cloud ausprobieren kann. 
Ist Ihr Buch auch eine Verarbeitung all jener Zurückweisungen, die Sie als Erfinder und Innovator erlitten haben?
Ihre Frage klingt so, als ob ich gekränkt sein könnte, das bin ich nicht. Ich schreibe meine Bücher aus grenzenlosem Erstaunen, wie wenig einfach nur ganz normal funktioniert. Insbesondere fast alles rund um jedwede „Psychologie“ wird konsistent unprofessionell behandelt. Politiker fallen über unfassbare kommunikatorische Seltsamkeiten, Unternehmen schaffen es nicht, auf ihre Kunden zu hören, die Mehrheit der Mitarbeiter wird laut Studien durch Manager demotiviert – bei Schülern oder Studenten ist es kaum besser. Darüber habe ich viel geschrieben. Das neue Buch handelt von Innovation, eben vom Neuen, was auf der Verstandesebene alle fordern, aber gefühlsmäßig nicht begrüßen. Beispiel: Verlagshirne wollen Neues, Verlagsherzen nicht. All diese erlebten Komplikationen, dass Unternehmen unbedingt Innovation wollen, aber keine zustande bringen, ist eine zwiespältige Erfahrung, ja.
A propos Verlagshirne: Innovationen scheitern oft, weil die so genannten „Close Minds“ in den Unternehmen am Alten festhalten. Wie hoch ist der Anteil der Close Minds in Verlagen? 
Überall dasselbe. Das Herz hängt seelisch an den alten Vorstellungen, handelt aber schon herzlos. Das Festhalten am Alten bei Verlagen ist das Hegen der Herzensangelegenheit, der Welt Wertvolles zu schenken, was ohne Verlag nicht hätte erblühen können. Diese Vorstellung wird aber durch die schon lange anhaltende Industrialisierung des Business glatt verraten: Outsourcing, Freelancer, Konzentration auf Bestseller, Übersetzen von Erfolgsbüchern statt Jungautorenpflege – wie beim Fußball Spielerkauf im Ausland statt Jugendarbeit. Der Buchhandel beginnt, statt selbst gelesener Buchempfehlungen nüchtern-mechanisch die Bestseller der SPIEGEL-Liste etc. hinzustellen. Damit ist er auch nicht mehr Menschenkümmerer für das Wertvolle. Immerhin rettet diese Industrialisierung noch lange vor dem ganz großen Umbruch. Man schließt aber die Augen vor diesem Verrat und tut so, als sei alles wie früher. 
Zahlreiche Innovationen der vergangenen Jahre sind der Verlagsbranche von außen übergestülpt worden, insbesondere von Amazon. Was ist da schief gelaufen? 
Ich habe damals Amazon-Aktien gezeichnet, 1997, glaube ich. Man konnte beliebig viele bekommen, kein Hype. Der Kurs fiel nach der Emission. Meine Frau ist Bibliothekarin, ich habe mich also ernsthaft und ausgiebig mit solchen Fragen auseinandersetzen können. Ich war total erstaunt, dass alle lachen, erst die Buchbranche, später die Elektrohändler und auch heute noch die Lebensmittelbranche. Sie lachen alle nacheinander wie bei einer La-Ola-Welle, aber nur einmal, dann ist es rum.
Weil Papier-Bücher aussterben?
Die Leute werden sich an E-Book-Lesegeräte gewöhnen, Verlage werden sehen, dass die weitere Industrialisierung klar E-Books verlangt, man druckt ja nicht mehr Auflagen auf eine ungewisse Halde, kann finanziell besser kalkulieren, hat keine E-Book-Remittenden-Kosten, kann jetzt einfach Farbbilder in E-Books bringen, was da nichts kostet. Ich kann lange aufzählen, dass sich die Spirale in die Zukunft nun schon von selbst nährt. Over! 
Kann die Print-Branche noch gegensteuern?
Gegensteuern? Neu erfinden ist angesagt, wie überall. Ich prophezeie, dass das am schnellsten und am liebevollsten beim Neuerfinden von Kinderbüchern geht, die z.B. die laut schmatzende Raupe Nimmersatt zeigen werden, die erst dann weiterfrisst, wenn das Kind richtig vorliest. 
Sie verfügen über eine große Community, könnten per Selfpublishing einen weitaus höheren Autorenanteil erzielen. Warum veröffentlichen Sie auf traditionellem Wege?
Das werde ich oft gefragt. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber wenn ein Buch von mir erscheint, poste ich das an summiert 30 000 „Follower“ oder Abonnenten im Netz, und die halbe Auflage ist verkauft. Ich habe einen extrem großen „Amazon-Anteil“. Warum dann noch traditionell? Bequemlichkeit? Oder eine andere Antwort: Finanziell bringen die Bücher im Vergleich zu Redenhonoraren gar nichts. 
Also Hobby?
Nein, die Aufträge für Reden bekomme ich für seriöse Bekanntheit – na gut, ein Verlag, und dann eben ein richtig guter!“ Andere Baustelle: Ich habe eine Vampir-Trilogie im Kopf, der erste Band ist geschrieben, er heißt „Ankhaba“, ist sehr intellektuell, aber als Action-Blut-Drama verkleidet. Ich finde keinen Verlag, der so etwas haben will. Ich hab ihn jetzt selbst bei Amazon hochgeladen, man feiert ihn dort tendenziell fünfsternig, viele erwarten leider eine Vampirschnulze und verreißen das Buch fast voller Hass. Beim Hochladen einer dritten Auflage sind leider Fehler passiert – Kapitel vertauscht, Zeichen vertauscht –, es folgte sofort innerhalb kurzer Zeit ein Rezensionsdesaster („Ätsch, passiert natürlich ohne Verlag“). Trotzdem sind in Summe über die Jahre etwa 1800 Exemplare verkauft worden, ohne Werbung, weil ich das ja eigentlich niemandem sagen darf – ist ja mein Zweitleben. Und ich frage mich: Wenn die Verlage doch Bücher suchen, warum bekomme ich reihenweise Absagen? Der Grund war immer: „Das ist ein ganz eigenes Buch und passt nicht in die Rubriken unseres Kataloges. Es ist weder Science Fiction noch Fantasy noch Roman, es passt nirgends.“ Das geben mir Verlage schriftlich, aber sonst posaunen sie als Lobby, sie brauchten unbedingt die Buchpreisbindung, um auch „Besonderes zu publizieren, was unter reinem Kommerz nie erschiene“. Was soll ich tun? Drüber sterben oder online gehen? Sorry, an dieser Stelle bin ich etwas wund. Fragen Sie etwas anderes. 
Der Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner erklärte kürzlich in einem Interview, dass der Verlag alle wesentlichen Innovationen nur durch Zukauf erreicht habe. Ein besseres Innovationsmanagement müsse her, heißt es dann schnell von Beratern. Was raten Sie?
Innovation kann man kaufen, klar, aber auch das muss man echt gut können, wie eben Springer oder Burda. Die meisten Firmenübernahmen enden im Desaster, das weiß man sogar, ohne Dunkelziffern und Schönrednerei zu berücksichtigen. Herr Burda hat einmal IBM besucht, ich war schwer beeindruckt von ihm. Er kam in Begleitung von Trend Scouts, offensichtlichen Top-Globetrottern mit dem Auftrag, die ganze Zukunft der Welt für ihn kennenzulernen. Man sah, dass er zugreifen würde, wenn die Zeit käme. Ein hoher IBM-Manager klopfte mir auf die Schulter: „Sie scheinen zu denken, Dueck, so etwas wäre ein Job für Sie selbst, oder?“ Ich nickte. „Träumen Sie weiter.“ Das war meine trübe Kaltdusche. Innovationen kaufen kostet viel Geld. Innovationsmanagement geht erst einmal ohne Geld, eine MS- Excel-Lizenz reicht aus, um Ideen zu zählen und ein Portfolio zu listen. Management kann mehr vom Gleichen machen: „mehr Buchtitel“, „in Europa ausbreiten“. Oder kann weniger vom Gleichen machen: „dünneres Papier“, „weniger Werbung“. Das heißt Wachsen oder Sparen, weil Gewinn gleich Umsatz minus Kosten ist. Man dreht an diesen beiden Schrauben. Innovation ist etwas Anderes, hat andere Zeithorizonte und Risikobandbreiten, verlangt zuversichtlichen Mut statt immer nur Zahlendruck. Wie Mut, Weitsicht, Kraft oder Vision aus den unbedarften Meetings herauskommen sollen, weiß ich nicht. Es kommen immer nur Appelle heraus, dass man mehr Innovation braucht. Solch ein „mehr“ könnte man managen, aber es ist bei Innovation am Anfang gar nichts da, und das verlangt ein anderes Vorgehen. Innovation ist Chefsache und keine Berater-Moderatoren-Flipchart-Trockenübung, auch wenn die Coaches, Trainer oder Motivatoren jetzt alles Design-Thinking nennen, um das Erfolglose wieder ein weiteres Jahrzehnt verkaufen zu können. Klar, was ich täte?
Sie würden, wie Sie in Ihrem Buch schreiben, ein paar agile Denker um sich scharen und möglichst lange im Verborgenen und ohne detaillierten Plan im Nacken an einer Idee tüfteln. 
Ja, ein paar echte Innovatoren oder Entrepreneurs müssen das in die Hand nehmen. Nicht so wörtlich „im Verborgenen“, sondern: Nicht in Meetings. Keine Präsentationen. Keine Pläne mit Bitten um Geld oder Leute. Alle Organisations-Meetings dieser Welt sind immer quasi paritätisch besetzt, es sind vielleicht ein Drittel Innovative darin, dann aber immer auch Antagonisten, Ängstliche, um den eigenen Bereich Besorgte, Neidische, Besserwisser, Bedenkenträger etc. Man kann also nicht eine einzige Minute reden, ohne Gegner dabei zu haben. Das darf nicht sein. „Im Verborgenen“ heißt: Man arbeitet mit einem Team, das es echt wissen will und das bei Erfolg auch genug Rückgrat hat, das ganze System zu überzeugen. Bei IBM ging das, wir waren als Techies in Zirkeln von Fellows und Distinguished Engineers organisiert, die technologischen Spitzenleute (300 Leute) waren als Mitglieder der weltweiten „IBM Academy of Technology“ Kollegen – ganz separat vom Management. Da fällt mir ein: Jetzt habe ich gerade den Grund erklärt, warum es „rund um den Staat“ so schwerfällig zugeht. In jedem Meeting ist ja die Opposition dabei und die besteht auch prinzipiell darauf, gegen alles zu sein, was immer es ist. Wie kann da Innovation gedeihen? 
Sie plädieren außerdem für ein Storytelling, um Innovationen einzuführen. Gute Geschichten werden zwar im Vorfeld von Börsengängen gepredigt („gute Börsenstory“) – werden aber im Kontext von Innovationen vernachlässigt?
Man muss eine erste Idee so lange drehen und wenden, bis die ersten Kunden sie echt kaufen wollen. Wenn die Kunden „Was kostet es?“ und „Wann ist es lieferbar?“ fragen, dann fängt das normale Management an. Vorher muss erst alles lange auf Resonanz geprüft werden. Macht das Neue große Freude? Bringt es Nutzen? Ist es superaffengeil? Hat es Sinn? Spart es Geld oder Nerven? Dieses Gefühlsumfeld einer Innovation muss erst ausgelotet sein. Die Emotionen der späteren Kunden schlagen doch hoch. „Sind die Daten bei Facebook sicher?“ – „Kann mich jeder auf dem Dienstsmartphone am Wochenende anrufen?“ Da muss man reden, diskutieren, überzeugen, korrigieren, wiederkommen, immer wieder, bis das Produkt und die Story dazu wirklich passen. Da braucht man das Storytelling, ja. Na, Kommunikationskunst und gleichzeitiges Perfektionieren der emotionalen Lage rund um das Neue. Man muss irgendwann die Kunden begeistern können. Das ist viel schwerer als bei Investoren. Die kaufen eine tolle Idee auf die bloße uneigennützige Empfehlung der Emissionsbank, aber die Kunden wollen in den Einzelheiten des Neuen emotional mitgenommen werden. Begnadete Storyteller schaffen emotionale Bilder rund um das Neue, die dann als „Trigger-Meme“ zum Kauf anregen und auch vom Kunden weiterverbreitet werden. „Es gibt jetzt Jahrgangs-Kaffeekapseln von Nespresso und ganz unterirdisches Spezialwasser dazu!“ Da lesen wir heute in Büchern, wie Nestlé, Apple, Samsung oder Google das Emotionale erschaffen, so wie früher z.B. Underberg, Togal, Nivea, Persil oder Mon Chéri. Aber dann, in den Meetings, soll wieder alles ganz ohne Emotionen besprochen werden – mit Zahlen und Fakten. Sie merken, ich komme immer wieder auf mein Weinen um die vielen Totgeburten zurück… 
Die Fragen stellte Daniel Lenz
Zur Person: Gunter Dueck
Jahrgang 1951, war Mathematikprofessor und bis August 2011 Cheftechnologe bei IBM Deutschland, genannt „Wild Duck“, Querdenker. Er ist freischaffend als Autor, Netzaktivist, Business Angel und Speaker tätig. Im Januar 2013 ist sein neues Buch „Das Neue und seine Feinde“ bei Campus erschienen.

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