Das E-Book-Geschäft beschäftigt auch die Literaturagenten. Im Interview äußert sich Andrew Nurnberg, Chef der Literaturagentur Andrew Nurnberg Associates, zu angemessenen Preisen und Honoraren sowie die Aufsplittung der Volume Rights.
Alle reden über E-Books. Wer gewinnt, wer verliert im hektischen Verteilungskampf?
Das ist ein Markt, in dem es eigentlich nur Gewinner geben sollte und keine Verlierer. So wie die Branche seinerzeit entsetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlug, als Allen Lane in England und Heinrich Maria Ledig-Rowohlt in Deutschland das Taschenbuch einführte, wird jetzt über E-Books lamentiert. Ich sehe sie als zusätzliche Vermarktungsschiene, um Bücher zum Leser zu bringen, aber keinesfalls als Ende des Buchgeschäfts, wie wir es kennen. Doch damit jeder profitiert – Konsumenten, Verlage, Provider und Autoren – ,müssen alle Parteien das Gleiche wollen. Keiner darf ausbrechen, um egoistisch eigene Interessen zu verfolgen. Sind E-Books zu billig, gewinnt zwar der Konsument, aber die anderen verlieren.
Amazon hat in einem sehr öffentlich ausgetragenen Machtkampf mit Macmillan um E-Book-Preise widerwillig nachgegeben. Welche Konsequenzen sehen Sie?
Es war sicherlich ein wichtiger Durchbruch. Amazon wird seine künftige Preispolitik überdenken müssen, zumal sich durch Apple der Wettbewerb verschärft hat. Als bislang erste Adresse für E-Books hat Amazon aus einer monopolistischen Position heraus versucht, die Muskeln spielen zu lassen und ist gescheitert. Kundenfreundlich war der Versuch schon gar nicht, Macmillan – und kürzlich Hachette in den USA und Großbritannien – durch die quasi Auslistung unter Druck zu setzen.
Was ist für Sie ein realistischer Verkaufspreis für E-Books?
10 bis 15% unter der Buchvorlage. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass E-Books billiger herzustellen sind als das gedruckte Buch. Ich wäre ziemlich beunruhigt, wenn E-Books auf Dauer das Printformat drastisch unterbieten würden. Bei anhaltend superbilligen E-Books verliert die Öffentlichkeit irgendwann das Gefühl für den Wert eines Buches und die Leistung, die dahinter steht. Amazon hat sich sehr angestrengt, die Welt zu überzeugen, dass 9,99 Dollar gut für uns sind, aber doch nur, weil das Unternehmen den Markt dominieren will. Ich bin altmodisch und wehre mich dagegen, ein Buch zum bloßen Produkt zu reduzieren. Zwar gibt es Umfragen unter Lesern, dass E-Books so billig wie möglich sein sollen, andererseits fehlt jeglicher Nachweis, dass sie nicht doch bereit sind, einen Preis zu zahlen, der näher an der gedruckten Ausgabe liegt. Irgendwann ist der Anspruch entstanden, dass digitale Inhalte kostenlos sein sollten: Musik, Zeitungen, Filme etc. Doch Autoren und alle anderen, die geistiges Eigentum schaffen, müssen irgendwie dafür honoriert werden.
Die US-Verlagsgruppen sind sich uneinig über den optimalen Erscheinungstermin des E-Books. Macht die bei Toptiteln praktizierte zeitliche Verzögerung Sinn?
Warum nicht? Die Verlage haben für diese Bücher meist sehr viel Geld bezahlt und wollen ihre Ausgaben wieder einspielen. Das ist legitim. Wenn E-Books unverhältnismäßig viel billiger als die gebundene Ausgabe sind, halte ich es durchaus für richtig, die digitale Version hinauszuzögern.
Die britische Society of Authors hat kürzlich die „jämmerlichen“ E-Book-Honorare kritisiert und für die Autoren mindestens einen Anteil von 75% verlangt. Wie realistisch ist diese Forderung?
Egal wie abgerechnet wird, ob nach Netto-Verlagserlös oder Netto-Verkaufspreis, es muss ein Prozentsatz sein, der sowohl Verlag als auch Autor fair bedient. Weil die Kosten für die Digitalisierung minimal sind, halte ich für beide Methoden halbe-halbe für gerecht; die 25%, die derzeit üblich sind, sind es nicht. Die Verlage beharren zwar darauf, dass die Umsetzung gar nicht so billig ist, aber die Aufschlüsselung der Kosten sind sie bisher schuldig geblieben. Solange dieser Markt noch in den Kinderschuhen steckt, bevorzuge ich es, E-Book-Rechte zunächst auf zwei Jahre zu befristen; nach Ablauf setzen sich alle an einen Tisch und prüfen die Lage.
Es gibt erste Beispiele, wonach die Buchrechte für verschiedene Vertriebsformen getrennt vergeben werden. Ein Modell mit Zukunft?
Das ist ein sehr sensibler Bereich mit unendlich vielen Unwägbarkeiten. Derzeit bevorzugen es die meisten Agenten, alle Rechte im Paket an einen Verlag zu vergeben, allerdings unter der Voraussetzung, dass dieser dann auch das E-Book-Geschäft selbst kontrolliert.
Wenn es um E-Books geht, sind die Amerikaner das Maß aller Dinge. Wie halten es andere Länder mit digitalen Inhalten?
Ganz unterschiedlich. Die Chinesen zum Beispiel sind höchst interessiert an E-Book-Rechten, um die digitalen Inhalte dann für ganz kleines Geld zum Herunterladen aufs Handy anzubieten. In Osteuropa dagegen ist der E-Book-Hype noch so gut wie gar nicht angekommen. Es ist erstaunlich, wie viele Anfragen von Verlegern bei uns eingehen, die wissen wollen, wie sie mit diesem Medium umgehen sollen.
Und was raten Sie?
Ganz pragmatisch sein und das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Der Markt ist so jung und es gibt ständig so viele neue Entwicklungen, dass sich niemand Hals über Kopf hineinstürzen sollte. Es ist ein intensiver Lernprozess.
Wenn Sie einen Blick in die Kristallkugel werfen, wie sieht die digitale Zukunft aus?
Ich halte nichts von Kristallkugeln. E-Books sind eine feste Größe, das steht wohl fest. Ansonsten gibt es viele offene Fragen. Das fängt mit den Umsatzerwartungen an. Die einen rechnen mit 5%, andere gehen in fünf Jahren von einem Marktanteil von 25% aus. Und dann die Nutzer. Ich kenne eine ganze Reihe jüngerer Leute, sagen wir Anfang 20, die im Internet zu Hause sind und sich von ihrem iPod musikalisch berieseln lassen, aber beim Lesen das gedruckte Wort bevorzugen. Vielleicht hat das damit zu tun, dass sie so viele Stunden in einem digitalen Umfeld verbringen und irgendwann genug davon haben?
Die Fragen stellte Anja Sieg
Zur Person: Andrew Nurnberg
1947 in London geboren. Nach dem Geschichtsstudium 1972 Eintritt in die Literaturagentur Robert Harben. 1977 Gründung der Literaturagentur Andrew Nurnberg Associates. 1993 erstes Büro in Moskau, seither folgten Niederlassungen in Bulgarien, Tschechien, Polen, Litauen, Ungarn, Taiwan und China. Andrew Nurnberg spricht außer Englisch auch Deutsch, Französisch, Russisch, Spanisch und Holländisch.
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