Ob E-Books oder Papierbücher: Der Online-Handel wächst. Der Technik-Dienstleister Ivo Hartz (Foto) erklärt im Interview, wie der stationäre Buchhandel sich im Internet aufstellen sollte.
Können unabhängige Buchhandlungen im Online-Handel gegen Amazon & Co. bestehen?
Einerseits erscheint Amazon so übermächtig, dass man als Buchhändler gleich resignieren will. Andererseits hat der stationäre Buchhandel Stärken, die er gegen andere Online-Händler ausspielen kann: Eine individuelle Ansprache vor Ort, Kompetenz durch Vorauswahl des Sortiments und eine persönliche Beziehung zum Kunden. Bei Amazon übernehmen die Sortimenterfunktion andere Kunden, sie treffen eine Vorauswahl durch Listen oder Kundenrezensionen, aber die lokale Verwurzelung fehlt. Der Buchhändler dagegen hat nicht nur eine rein funktionale Rolle, sondern erfüllt auch eine soziale Funktion: Er ist Treffpunkt, organisiert Veranstaltungen, nimmt am lokalen Leben teil. Das alles kann Amazon nicht bieten.
Wie kann der Buchhändler diese Verwurzelung online nutzen?
Er muss dem Kunden die spezifische Ansprache auch im Internet bieten. Das beginnt schon bei der Gestaltung, die einen Wiedererkennungswert haben sollte. Weiter sollte er auch inhaltlich eine Vorauswahl von Büchern treffen und Kaufanregungen durch individuelle Empfehlungen geben.
Kann man sich damit gegen die bekannten Online-Buchhandlungen und die Shops überregionaler Handelsmarken wie Weltbild, Thalia oder Hugendubel durchsetzen?
Ein größeres Publikum werden unabhängige Standortbuchhändler wahrscheinlich nicht erreichen, aber das ist auch nicht das Ziel. Es geht zunächst um Kundenbindung, dass sie keinen ihrer Kunden an den Online-Buchhandel verlieren. Auf die eigene Website lässt sich relativ leicht aufmerksam machen, mit Aktionen, Flyern und im direkten Gespräch. Wird im nächsten Schritt der Kundenkreis erweitert, ist der lokale Faktor wichtig. Überregional wird der Buchhändler wohl keine Chance haben, gegen die Portale zu bestehen. Vor Ort kann er sich dagegen mit einem besseren Online-Service sehr wohl von Mitbewerbern absetzen.
Bei der Hugendubel-Kette macht das Online-Geschäft den Umsatz einer mittelgroßen Filiale aus. Welche Dimension kann ein Standortbuchhändler erreichen, wenn er alles richtig macht?
Das hängt davon ab, ob er einen Buchversand anbietet oder ob der Kunde die Titel abholen muss. Es ist natürlich bequemer für die Käufer, wenn sie das Buch nach Hause geschickt bekommen. Außerdem sollten auch Modelle für Geschäftskunden angeboten werden, damit sie mit einem eigenen Account online bestellen können. Dann wird dieser Vertriebskanal auch gut genutzt. Bei vielen Buchhandlungen wird es anfangs wohl nur Zusatzumsätze im niedrigen Prozentbereich geben, aber langfristig lässt sich dies mit wachsendem Nutzerkreis steigern. Bei einem kleineren oder mittelgroßen Sortiment kann der Online-Handel durchaus den Umsatz einer einzelnen Abteilung ausmachen.
Was machen unabhängige Sortimenter bislang falsch?
Häufig gibt es keine Wiedererkennbarkeit in der Gestaltung, die Inhalte sind nicht aktuell und im schlimmsten Fall mehrere Jahre alt. Eine Internet-Seite muss mindestens so häufig gepflegt werden wie das Schaufenster. Es fehlt oft an einer individuellen Bestückung, etwa wenn die Buchhandlungen Inhalte von den Barsortimenten beziehen. An sich eine gute Idee, andererseits ist es unspezifisch und macht die Seiten austauschbar.
Sind die von den Barsortimenten angebotenen Auftritte keine Lösung?
Sie sind besser als nichts und ein Anfang. Man hat bei den Barsortiments-Varianten aber oft kein eigenständiges Design und nur ein austauschbares Sortiment bzw. Inhalte, die der Kunde überall findet. Damit fehlt der Mehrwert. Damit der Buchhändler seine Stärken ausspielen kann, muss aber mehr getan werden. Sinnvoll ist eine Kombination durch Individualisierung, etwa durch eigene Buchempfehlungen und Veranstaltungen, die der Homepage eine persönliche Note verleihen. Einige Barsortimente sind sehr strikt und bieten nur eine Oberfläche an, bei anderen lässt sich das erweitern, sodass der Buchhändler in seinem Design eigene Inhalte einbinden und trotzdem Datenbank oder Warenkorb des Barsortiments nutzen kann.
Wie wichtig ist der Web-2.0-Gedanke?
Die Idee dahinter ist vor allem, dass der Kunde sich selber einbringen kann. Die Interaktion der User sollte der Buchhändler für sich nutzen und seine Internet-Homepage zu einer kleinen Community ausbauen.
Barnes & Noble hat ein Social-Network-Portal, deutsche Filialisten eine eigene Internet-Redaktion, um die Seiten via Buchtipps oder Blogs mit Leben zu füllen. Wie sollen kleinere Sortimenter das neben dem Tagesgeschäft bewältigen?
Die technischen Lösungen müssen möglichst einfach zu bedienen sein. Web 2.0 bedeutet, dass die Inhalte von den Nutzern kommen. Der Buchhändler muss für einen Anstoß sorgen, seine Kunden motivieren. Natürlich muss er die Inhalte überprüfen, bevor er etwas online stellt. Aber ihm bleibt erspart, selber mühsam Content zu erzeugen. Hilfreich sind hierbei auch lokale Kooperationen z.B. mit Volkshochschulen oder Kultureinrichtungen.
Aber reicht ein Anstoß, und dann verselbstständigt sich das Ganze? Sind nicht ständige Impulse nötig?
Ja, er muss dranbleiben. Aber wenn er bereits Aktionen und den Austausch mit den Kunden im stationären Geschäft praktiziert, lassen sich diese ohne Weiteres online übernehmen, z.B. den Lese-Club für Kinder und Jugendliche. Die Chance des Buchhändlers ist, dass er sich bei dem, was er tut, nicht rein als Online-Player sieht, sondern dass er beide Welten verknüpft.
Bleibt der stationäre Buchhandel das Kerngeschäft?
Es ist schon jetzt so, dass die Kunden die unkomplizierte Bestellung von Büchern und Medien im Internet schätzen und zunehmend direkt digitale Inhalte beziehen wollen. Ob Online zum Kerngeschäft wird, hängt sehr von Sortiment und Standort ab, der Bereich wird auf jeden Fall an Bedeutung zunehmen. Wenn die Buchhändler eine vitale Online-Plattform aufbauen, haben sie die Chance, an der Digitalisierung im Buchbereich teilzunehmen.
Zur Person: Ivo Hartz
1976 in Göttingen geboren, absolvierte nach dem Abitur eine Buchhändlerlehre bei der Buchhandlung Lehmkuhl (München), der er mit einer Internet-Seite den Einstieg in die Online-Welt ermöglichte. Nach abgeschlossenem Studium im Fach Buchhandel-/Verlagswirtschaft bietet er seit 2005 mit seinem Unternehmen „eScriptum“ technische Dienstleistungen für Buchhandlungen und Verlage an.
aus: buchreport.magazin 12/2008
Kommentar hinterlassen zu "Was können Sortimenter im Netz, Herr Hartz?"