Hammelehle: Isst du auch so gern Schnippikäse?
Keller: Ich habe mit Jan Weilers Kommissar Kühn gemein, dass weder er noch ich so genau wissen, was mit Schnippikäse gemeint ist. Das war es dann allerdings mit den Gemeinsamkeiten. Ich wohne weder in einem Neubaugebiet. Habe keine Tochter, die sich ein Pony wünscht. Muss nie Blumenerde kaufen. Und es lag noch nie eine Leiche hinter meinem Garten. Zumindest keine, von der ich weiß. Trotzdem hat man schon nach wenigen Seiten das Gefühl, diesen Kommissar Kühn ziemlich lange und gut zu kennen. Und zu verstehen. Findest du nicht?
Hammelehle: Wann hast du eigentlich zuletzt die schöne Journalistenfloskel „ein moderner Jedermann“ verwendet? Jetzt wäre die Gelegenheit dazu. Als Inbegriff des Mittvierzigers ist Kühn die Stärke des Buchs. Wenngleich ich die Passagen, die Kühns überbordende Gedankenwelt vorführen sollen, eher mittelmäßig gelungen fand. Der Stream of Consciousness als literarisches Mittel verlangt eine Kunstfertigkeit, die Weiler fehlt. Dafür wissen wir nun genau, dass Kühn häufig an das Cover der Iron-Maiden-Platte „Killers“ denkt, ziemlich oft auch an seine attraktive, rothaarige Nachbarin und an Geldsorgen. Und natürlich an Schnippikäse.
Keller: Dafür hat Weiler ganz offenbar Herz, was manchmal ja eine noch größere Kunst ist! Ich habe vor dem Lesen dieses Buches jedenfalls nicht gewusst, dass ich einem Anabolika-gedopten Fitness-Proleten, der seinen Großvater mit einem Kochtopf erschlägt, so wohlwollend-neutral gegenüber stehen könnte. Und wie einfach wäre es erst gewesen, von oben herab und zynisch über diese Bodendecker-Bürgerwehr-Spießerwelt zu schreiben, hinter deren Thuja-Hecke die verstümmelte Leiche eines alten Mannes gefunden wird. Wann hast du zuletzt die Floskel verwendet: „das Böse wohnt nebenan“?
Hammelehle: Aber würde eine Großstadtpolizei wie die Münchner ausgerechnet den Kommissar, bei dem dieses Böse nebenan wohnt, mit den Ermittlungen betrauen? Zumal sich gleich zwei Verbrechen ereignet haben – neben dem Leichenfund beschäftigt Kühn auch noch der Fall eines verschwundenen Mädchens.
Keller: Genau genommen sind es sogar drei Verbrechen. Denn es geht ja auch noch um den Namensgeber der Weberhöhe – einen gewissen Rupert Baptist Weber, Direktor einer Waffenfabrik, überzeugter Nationalsozialist, und Kriegsprofiteur mit einer ausgesprochenen Leidenschaft für Waffen und ebenso ausgeprägten sadistischen Neigungen. Das Gift dieser Zeit lagert im Boden und frisst sich in Form orangefarbener Flecken in die Kellerwände und in metaphorischer Form in die Köpfe der Idioten, die dann – wie Kühns eigener Sohn – Lonsdale-Pullis tragen und gegen die Ausländer in der Nachbarschaft hetzen.
Hammelehle: Weilers Buch hat einige Konstruktionsschwächen, das gilt besonders für den Einstieg und die daraus abgeleitete Nazi-Metapher. Weber bringt sich 1945 um. Eigentlich war er ein Verbrecher, später gilt er als Held. Ähnliche Geschichten dürften sich vielfach ereignet haben. So allerdings, wie Weiler sie erzählt, ist sie ziemlich unglaubwürdig. Später spielt Weber eigentlich keine Rolle mehr. Sollte er sinnbildlich dafür stehen, dass die bundesdeutsche Gesellschaft auf NS-kontaminiertem Fundamenten errichtet wurde, dann hätte sich Weiler mit diesem Bild ziemlich verhoben. In „Kühn hat zu tun“ hat Kühn einfach viel zu viel zu tun. Das Buch wirkt wie eine Kolumne, die erst zum Krimi aufgeblasen wurde – und dann auch noch zum Gesellschaftsroman.
Keller: Man kann aber auch der Meinung sein, dass genau darin eine der Stärken des Buches liegt. Bei aller Lakonie, allem Witz und allem Krimi-Kram gehört eben auch ein aufmerksamer Blick auf die Welt dazu, diese Vielschichtigkeit so wahrzunehmen und einzufangen. Ich würde dir ja zustimmen, dass Kühns Gedankenpassagen nicht immer perfekt gelungen sind, aber es gibt auch ganz tolle Passagen, in denen sich der Erzähler von Kühn löst und von weit oben auf das Neubaugebiet blickt und all die Menschen hinter ihren Organza-Vorhängen sieht mit ihrem Schimmel im Keller, den Sorgen in ihren Köpfen und dem Schnippikäse im Kühlschrank. Und schon allein wegen dieser Szenen würde ich die Frage: Und das soll ich lesen? mit Ja beantworten.
Hammelehle: Gut. Dann lass mich meine Antwort in eine Jan-Weiler-Paraphrase kleiden: Maren, ihm schmeckt’s nicht.
Maren Keller ist Redakteurin beim KULTUR SPIEGEL. Sie isst gern Ziegenkäse.
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