Eine Insolvenz bedeutet für alle Beteiligten einen Schock und ist für viele eine völlig ungewohnte Situation. Neben der Hoffnung in der Buchbranche, dass KNV mit seinen systemrelevanten Leistungen erhalten bleibt, stellt sich für die von der Insolvenz betroffenen Lieferanten die Frage, wie sie an ihr Geld für bereits gelieferte Ware kommen, welche Risiken mit der Weiterbelieferung verbunden sind und welche weiteren Optionen es gibt.
Für eine rechtliche Bewertung gilt stets die Einschätzung des Einzelfalls und die Notwendigkeit anwaltlicher Begutachtung und Beratung. Die Wirtschaftskanzlei Buchalik Brömmekamp vertritt nach eigener Angabe Verlage und Dienstleister bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche im Insolvenzverfahren der KNV-Gruppe. Jasper Stahlschmidt, Fachanwalt für Insolvenzrecht in der Kanzlei Buchalik Brömmekamp beleuchtet im nachfolgenden Fachbeitrag die Insolvenz von KNV unter folgenden Fragestellungen:
- Die Sicherheit der weiteren Belieferung
- Praktische Tipps für Verlage und Lieferanten
- Die Möglichkeiten der Einflussnahme der Verlage im Verfahren
- Die Chance einer Übernahme des Zwischenbuchhändlers durch die Verlage.
Was Verlage jetzt tun können
Ein Fachbeitrag von Dr. Jasper Stahlschmidt von der Düsseldorfer Wirtschaftskanzlei Buchalik Brömmekamp.
Der Insolvenzantrag des Zwischenhändlers KNV hat die Buchbranche erschüttert. Neben den Buchhandlungen sind ganz besonders die Verlage und Lieferanten getroffen, die mit der Auslieferung ihrer Ware besonders im umsatzstarken Weihnachtsgeschäft in Vorleistung getreten sind. Sie dürften auf ihren offenen Rechnungen sitzenbleiben, für die im Insolvenzverfahren wahrscheinlich lediglich eine geringe Quote bezahlt wird.
Wie sollten Verlage und Lieferanten nun reagieren und können sie weiterhin Bücher liefern? Antworten auf die derzeit dringendsten insolvenzrechtlichen Fragen:
1. Ich habe Außenstände gegenüber KNV und vor Insolvenzantragstellung am 14.02.2019 noch Bücher geliefert. Was muss ich tun?
Die noch offene Rechnung wird nicht mehr bezahlt. Der Betrag kann erst nach Verfahrenseröffnung beim Insolvenzverwalter angemeldet werden. Dies wird ca. zwei bis drei Monate nach dem Insolvenzantrag erfolgen, spätestens laut Insolvenzverwalter am 1. Mai 2019. Zwecks Forderungsanmeldung erhalten alle Gläubiger noch ein gesondertes Schreiben vom Insolvenzverwalter. Es macht keinen Sinn, die Forderung jetzt schon anzumelden. In dem dann eröffneten Verfahren werden die Forderungen geprüft und festgestellt. Mit einer Auszahlung einer sogenannten Befriedigungsquote, die sich in einem Regelinsolvenzverfahren im Schnitt zwischen 3 und 5% bewegt, ist zudem erst in ein paar Jahren zu rechnen.
2. Wenn ich einen Eigentumsvorbehalt vereinbart habe, bekomme ich dann meine Ware oder mein Geld zurück?
Die meisten Verlage dürften in ihren AGB einen Eigentumsvorbehalt (einfachen, verlängerten und/oder erweiterten) vereinbart haben. Sofern sich die Ware noch physisch im Besitz der KNV oder im Logistiklager befindet, steht sie als Sicherheit für die offenen Forderungen zur Verfügung. Die Verlage sollten jetzt schon den vorläufigen Insolvenzverwalter auf die möglichen Sicherungsrechte hinweisen und der Verfügung im Wege des Abverkaufs widersprechen. Da nach der Antragstellung eine Inventur durchgeführt werden muss, sollten die Verlage eine Aufstellung ihrer zum Zeitpunkt der Antragstellung bei KNV noch vorhandenen Ware beim Verwalter anfordern. Diese Übersicht zeigt, über welche Eigentumsvorbehaltsrechte der Verlag verfügt. Erst danach sollte dem vorläufigen Insolvenzverwalter erlaubt werden, diese Gegenstände zu verkaufen, wobei der Verkaufserlös separiert wird und dann zur Abgeltung der Sicherungsrechte vom Gläubiger eingefordert werden kann. Dieser Ausgleich der nach Antragstellung verkauften Bücher erfolgt dann nach Verfahrenseröffnung. Möglicherweise wird auch ein sogenannter Lieferantenpool gebildet, der gebündelt diese Eigentumsvorbehaltsrechte geltend macht.
3. Ist für den Tag der Antragstellung etwas zu beachten?
Neben der Lagerware können auch zum Tag der Insolvenzantragstellung Forderungen aus der Weiterveräußerung von Verlagswaren bestehen, die ebenfalls vom verlängerten Eigentumsvorbehalt umfasst sind. Auch hier sollte der Einziehung dieser Forderungen widersprochen werden und über den Forderungsbestand zum Tag der Antragstellung Auskunft verlangt werden.
4. Der vorläufige Insolvenzverwalter bittet weiter um die Belieferung durch die Verlage. Was müssen Lieferanten dabei beachten?
Rechtsanwalt Tobias Wahl ist inzwischen zum „starken“ Insolvenzverwalter in Teilen der KNV-Gruppe bestellt worden. Damit werden die Lieferungen, die an diese Gruppenunternehmen gehen, als Masseverbindlichkeiten aufgewertet und privilegiert. Sie können nach der Verfahrenseröffnung als vorrangige Forderungen bezahlt werden. Dies ist also ein gutes Zeichen für die Verlage und Lieferanten. Allerdings besteht auch weiterhin das Risiko eines Zahlungsausfalls, wenn der Insolvenzverwalter später die sogenannte Masseunzulänglichkeit anzeigt. Eine echte Zahlungsgarantie wird damit nicht hergestellt. Der sicherste Weg ist deshalb die Lieferung gegen Vorkasse. Das belastet allerdings erheblich die Liquidität von KNV und erschwert eine Betriebsfortführung. Ein weiterer Weg wäre ein Deposit – also eine Art Sicherheitskonto – zu vereinbaren, um den möglichen Schaden zu begrenzen.
5. Sollte dem Zahlungsziel des vorläufigen Verwalters entsprochen werden?
Das gewünschte Zahlungsziel von 60 Tagen dürfte zu lang sein und sollte deutlich verkürzt werden. In jedem Fall sollte ein Zeitraum zwischen Lieferung und Zahlung von 30 Tagen nicht überschritten werden (sog. Bargeschäftsprivileg), was besonders bei den Gesellschaften eine Rolle spielt, bei denen keine starke vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet wurde. Bei der Lieferung und der Bezahlung ist von den Verlagen deshalb eine Chancen-Risiko-Abschätzung vorzunehmen.
6. Der vorläufige Insolvenzverwalter verlangt in seinem Schreiben einen sogenannten Aufrechnungsverzicht? Soll der Verlag diesen Verzicht unterschreiben?
Die Aufrechnungsverzichterklärung dient dazu, dass der Verlag bzw. Lieferant bei einer Zahlung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter nicht gegen sogenannte Altforderungen aufrechnet. Die Zahlung soll ja ausschließlich der Begleichung der Forderung des Verlages für Lieferungen seit Antragstellung dienen. Eine solche Erklärung ist üblich in einem (vorläufigen) Insolvenzverfahren, dennoch muss eine Einzelfallprüfung durchgeführt werden.
7. Wie wird es in dem Verfahren weitergehen?
Die KNV ist ein „systemrelevantes“ Unternehmen für die gesamte Buchhandels- und Verlagsbranche. Der bestellte vorläufige Verwalter Rechtsanwalt Tobias Wahl gilt als erfahren und wird sicher alles versuchen, um den Geschäftsbetrieb fortzuführen und zu erhalten. Vor dem Hintergrund wird er zeitnah einen Investorenprozess einleiten und versuchen, Investoren zu finden, die einen Neustart schaffen.
Hier besteht die Gefahr, dass ein konkurrierendes Unternehmen zum Zuge kommt und den Buchhandel dominiert.
8. Welche Möglichkeiten hat die Verlagsbranche, über die Zukunft der KNV mit zu entscheiden?
In einem Insolvenzverfahren kann die Fortführung und der Erhalt des Unternehmens sowie die Sanierung nicht nur durch den Einstieg eines Investors, sondern auch mithilfe eines Insolvenzplans durch einen sogenannten Debt-to-Equity-Swap durchgeführt werden. Die Verlage haben hier die einmalige Möglichkeit, ihre offenen Forderungen in Gesellschaftsanteile des Unternehmens KNV umzuwandeln. Die Verlage übernehmen damit sozusagen das Unternehmen und führen es fort. Ein Blick in die Niederlande zeigt, dass dies auch nicht ungewöhnlich wäre. Hier übernimmt das „Centraal Boekhuis“ die Logistikaufgaben, das im Eigentum der Buchbranche ist. Eine solche Fortführungslösung könnte sich als vorteilhafter erweisen als die Übernahme von KNV durch einen Wettbewerber oder im schlimmsten Fall eine Schließung des Betriebes.
9. Wie können die Gläubiger auf das Verfahren Einfluss nehmen?
Alle wichtigen Entscheidungen können nur mit Mehrheit der Gläubiger getroffen werden. Neben den Banken und der Bundesagentur für Arbeit spielen die Verlage, die hier zahlenmäßig stark betroffen sind, eine wichtige Rolle im Verfahren. Die Verlage sollten deshalb ihre Stimmen bündeln und mit einer Stimme auch im vorläufigen Gläubigerausschuss vertreten sein. Der Gläubigerausschuss stellt als Vertreter aller Gläubiger die Weichen über den weiteren Fortgang des Unternehmens. Da jedoch alle wegweisenden Entscheidungen in einem (vorläufigen) Insolvenzverfahren in den ersten zwei bis drei Monaten getroffen werden, ist Eile geboten. Die Verlage müssen bereits jetzt handeln und Mitglied im vorläufigen Gläubigerausschuss werden. Das Mitglied sollte sofern benötigt auch insolvenzrechtliche Expertise in Anspruch nehmen, um auf Augenhöhe mit dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter über den weiteren Fortgang des Verfahrens zu sprechen.
Der Autor Dr. Jasper Stahlschmidt ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, geprüfter ESUG-Berater und geschäftsführender Gesellschafter der Buchalik Brömmekamp Rechtsanwaltsgesellschaft (Düsseldorf).
Und welcher Verlag gründet jetzt einen Gläubigerausschuss? Es sollte schon einer der größeren sein.
Interessanter Beitrag! Das niederländische Modell wäre für die Buchbranche doch recht gut.
Warum haben eigentlich die „Alt“-Gesellschafter nicht auf die absehbare ungute Entwicklung Einfluß genommen und rechtzeitig die Notbremse gezogen?
Debt-to-Equity-Swap, das klingt spannend! Aber muss es denn unbedingt auf Englisch sein? Kommunikation dient doch der Verständigung. Sonst war der Beitrag sehr interessant. Danke!