Fast sieben Monate, nachdem der Börsenverein in der Frage, ob digitale Bücher der Preisbindungspflicht unterliegen, eine Rolle rückwärts vollzogen hat und mit seinem Pro-Votum den Zorn zahlreicher Fachverlage auf sich gezogen hat (hier eine Umfrage zum Thema), herrscht eine verdächtige Ruhe. Sowohl Verband als auch Verlage halten sich überwiegend bedeckt, weshalb die zweite E-Book-Welle weiterhin über einen juristisch weichen Strand heranrollt.
Auf Nachfrage von buchreport erklärt Verena Sich, Rechtsanwältin in der Rechtsabteilung des Börsenvereins, dass der Verband nur bei Verstößen gegen die Preisbindung aktiv werde, es aber aktuell keine Beschwerden gebe. Die Portale hielten sich offenbar an die fixen Preise. Auch Preisbindungstreuhänder Christian Russ arbeitet sich an den klassischen Verstößen des Printmarkts ab, der junge E-Book-Markt enthalte noch keine Aufreger.
Preisbindung als Innovationshemmer
Weniger gelassen reagiert Sven Fund, Mitglied der Geschäftsführung im Verlag Walter de Gruyter, im Gespräch mit buchreport. Seit der Diskussion im vergangenen Herbst habe sich substanziell wenig geändert. Zwar seien jetzt auch E-Book-Reader in Deutschland eingeführt worden, von einem relevanten Geschäft für die meisten Publikumsverlage zu sprechen, sei aber wohl noch nicht gerechtfertigt, während Wissenschafts- und Fachverlage bereits heute nennenswerte Umsätze mit E-Books machten. „Denen und den Interessen unserer Kunden, der Bibliotheken, steht die herbeidefinierte Preisbindung für
E-Books weiter im Wege, wenn es um Innovationen geht“, schimpft Fund.
Auch das Schlupfloch der Datenbanken – deren Zugriffsberechtigungen der Börsenverein von der Preisbindungspflicht ausgenommen hat, sei da keine Hilfe. Zudem schütze die Preisbindung für E-Books den Handel nicht, sondern verschaffe Marktteilnehmern mit Sitz im Ausland Wettbewerbsvorteile gegenüber deutschen Händlern.
In dieser Situation der Unklarheit teste de Gruyter mit englischsprachigen Titeln verschiedene Formen der Paketbildung von E-Books und gedruckten Büchern. Zudem bemühe sich der Verlag, durch eine Rabattpolitik inländischen und ausländischen E-Book-Händlern vergleichbare Rahmenbedingungen für ihre Aktivitäten im deutschen Markt zu schaffen.
„Wir könnten von heute auf morgen umschalten“
Auch die Haltung bei Springer Science + Business Media, mit einem Umsatz von 569 Mio Euro im Jahr 2008 größter Verlag und mit 30000 E-Books im Programm das größte digitale Schwergewicht in Deutschland, ist unverändert: „Eine Preisbindung ist international nicht durchsetzbar“, betont Verlagssprecher Eric Merkel-Sobotta. Es bleibe dabei, dass der Verlagskonzern für deutsche Kunden den Vertriebsweg über das Ausland prüfe, um die fixen Preise zu umschiffen – und die Frage notfalls vor Gericht zu klären. „80% unserer Inhalte sind auf Englisch. Wir könnten von heute auf morgen umschalten.“
Auch der Börsenverein hatte mit dem Musterverfahren gewunken, wohl wissend, dass solche Grundsatzfragen auch unbeabsichtigte Risiken enthalten, weshalb der Knüppel auch recht schnell wieder in die Ecke gestellt wurde. Den Vertrieb der Elektronik-Produkte über den Buchhandel fördert die Diskussion und die strittige Rechtslage nicht: Im Direktvertrieb haben die Verlage mehr Spielraum, individuelle E-Book-Pakete zu packen und individuell zu kalkulieren. Die wissenschaftlichen Sortimente hatten sich kürzlich bereits beklagt, dass der ansonsten durchaus sortimentsorientierte RWS-Fachverlag C.H. Beck E-Book-Pakete nur noch direkt vertreibt (hier mehr).
Hintergrund: Gebunden oder nicht gebunden?
In der Diskussion um die Preisbindung für neue Medien wie E-Books verweisen die Rechtsexperten auf den im §2 geregelten Anwendungsbereich des Buchpreisbindungsgesetzes:
Bücher im Sinne dieses Gesetzes sind auch
1. Musiknoten
2. Kartografische Produkte
3. Produkte, die Bücher, Musiknoten oder kartografische Produkte reproduzieren oder substi-tuieren und bei Würdigung der Gesamtumstände als überwiegend verlags- oder buchhandelstypisch anzusehen sind
4. Kombinierte Objekte, bei denen eines der genannten Erzeugnisse die Hauptsache bildet.
Für die konkreten Produkte heißt dies: E-Books unterliegen dann der Preisbindung, wenn sie das gedruckte Buch substituieren, d.h. „die auf ein herkömmliches, gedrucktes Erzeugnis gerichtete Nachfrage ganz oder teilweise befrie-digen“, so der Kommentar von Preisbindungstreuhänder Dieter Wallenfels. Im Umkehrschluss bilden Produkte eine Ausnahme der Preisbindungsregel, wenn sie eine gegenüber dem Printprodukt eigenständige Qualität besitzen.
In seiner Begründung für die Preisbindungspflicht verweist der Börsenverein außerdem auf die Gefahr, dass im Markt für E-Books ohne Preisbindung oligopolistische oder gar monopolistische Strukturen entstehen könnten, die sich auf die Vielfältigkeit und Verfügbarkeit des Angebots gedruckter Bücher auswirken würden.
Nicht als E-Books zu verstehen (und somit preisbindungsfrei) seien u.a. Zugriffsberechtigungen auf Online-Datenbanken, Mehrfachnutzungen von Inhalten in Netzwerken sowie Online-Nutzungen von vernetztem Content.
aus: buchreport.express 16/2009
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