Einen Tag vor der Frankfurter Buchmesse widmete man sich am 13.10.2009 auf der TOC-Konferenz der Frage, wie sich Verlage aufgrund der Digitalisierung weiterentwickeln müssen. Hochkarätige Referenten – meist aus USA oder Großbritannien – referierten zu diesen Themen und präsentierten ihre Erfahrungen und Visionen. Wolfgang Tischer von literaturcafe.de fasst seine Eindrücke zusammen.
Was erwartet der Leser von einem elektronischen Buch?
Obwohl es auch um Geschäftsmodelle und gesellschaftliche Veränderungen ging, widmeten sich viele Vorträge der Frage: Wie muss sich das Buch konkret verändern und was erwartet der Leser von einem elektronischen Buch? Wie und auf welchem Wege muss es ihm präsentiert werden?
Doch gerade hier war auf der Konferenz erstaunlich wenig Visionäres zu hören. Wer die entsprechenden Websites und Blogs verfolgt, erfuhr in diese Hinsicht kaum Neues. So wurde konstatiert, dass der Leser seine Lektüre künftig auch unterwegs und jederzeit im Online-Shop aussuchen, sofort herunterladen und lesen möchte.
Das iPhone war der Star der Veranstaltung
Was viele der Redner dann als aktuellen Stand der Entwicklung präsentierten, waren schließlich – iPhone-Applikationen. Und obwohl niemand von Apple selbst auf der Bühne stand, war das iPhone der Star der Veranstaltung.
Andrew Savikas von O’Reilly machte klar, dass für seinen Verlag die Apple-Plattform mittlerweile der primäre Weg der Veröffentlichung sei. Erst später komme das gedruckte Werk auf den Markt bzw. man stelle sich zunächst die Frage, ob dies überhaupt noch notwendig sei. Bei einigen Titeln übersteigt der mengenmäßige Verlauf der iPhone-Applikation die gedruckte Version bereits deutlich.
„Auf keinem der traditionellen Vertriebskanäle können wir international so viele Bücher verkaufen wie über iTunes“, so Savikas. Deutlich war auf seinen Vortragsfolien zu sehen, dass die internationalen Verkäufe eines Titels über iTunes die US-Verkaufszahlen übersteigen.
Neben der Apple-Plattform sieht man bei O’Reilly auch das alternative Handy-Betriebssystem Android im Kommen, auf das man sich künftig ebenfalls fokussieren werde. Als Letzter der „Großen Drei“ ist Amazon zu nennen.
Als Einziger der „Großen Drei“ war Google auf der TOC präsent und der Vortragsraum überfüllt, als Amanda Edmonds die „Google Edition“ erläuterte.
Google Edition: Partnerprogramm erweitert
Sie sprang für Google-Book-Search-Chef Dan Clancy ein, der das Konzept erstmals öffentlich vor wenigen Wochen in den USA präsentierte.
Mit dem Service der „Google Edition“ erweitert Google sein Partnerprogramm für Verleger. Dieses Partnerprogramm darf nicht mit dem umstrittenen Buchscan-Projekt verwechselt werden. Über das Partnerprogramm stellen Verlage ihre Bücher dem Suchmaschinenanbieter digital zur Verfügung. So erscheinen unter den Google-Suchergebnissen dann auch Bücher, die in Ausschnitten angezeigt werden und bei denen bislang Bestelllinks zu Verlag oder Online-Buchhandlung verweisen, um das vollständige Buch in Papierform zu bestellen.
Hier nun setzt „Google Edition“ an, das in wenigen Wochen an den Start gehen wird. Zum einen können dann die Bücher direkt bei Google als vollständiges eBook erworben werden, zum anderen sind sie für den Leser überwiegend nur virtuell im Zugriff. Google will sicherstellen, dass die Bücher von überall zugänglich sind, egal ob iPhone, Notebook oder Android-Handy. Kein Leser und kein Verleger müsse sich dann noch um Formate oder Lesegeräte kümmern. Die Geräte speichern dabei lokal nur eine vergängliche Version des Buches. Die digitale Bibliothek verbleibt bei Google und ist nur via Google-Account zugänglich, was zur berechtigten Frage aus dem Publikum führte, was denn mit der Bibliothek passiere, wenn der Benutzer stirbt. Man müsse dann eben seinen Google-Account weitervererben, so Edmons salopp.
Wie bei den Google-Werbeanzeigen kann man als Website-Betreiber als Wiederverkäufer und Vermittler agieren. Für auf diese Weise über die Websites verkaufte digitale Buchausgaben erhält man eine Händlerprovision. 45% der Einnahmen erhalte der Verleger, 55% gehen an Google und den Zwischenhändler. Je nach Landesgesetzen kann Letzterer auch Rabatte gewähren.
Fördern Raubkopien den Buchverkauf?
Schnell machte auf der Konferenz und via Twitter eine andere bemerkenswerte Nachricht die Runde: Brian O’Leary berichtete von einer Studie, die er zusammen mit dem O’Reilly Verlag durchgeführt hat. Untersucht wurde der Einfluss von in Tauschbörsen kursierenden Raubkopien auf den Verkauf des gedruckten Werkes. Entgegen der allgemeinen Verlagsargumentation war Gegenteiliges zu beobachten: Kurz nachdem die Raubkopien verfügbar waren, stieg der Verkauf der gedruckten Bücher an. Bei Büchern, die nicht in den Tauschbörsen auftauchten, war dieser Anstieg nicht festzustellen.
Allerdings musste O’Leary einschränkend hinzufügen, dass sich seine Untersuchung bislang nur auf wenige Titel eines Verlages bezieht. Um die Untersuchung auszuweiten und glaubhafte Zahlen zu bekommen, sucht O’Leary daher noch nach Verlagen, die sich an der Studie beteiligen.
Fazit: Die TOC-Konferenz war alles andere als eine überflüssige Veranstaltung, da sie den aktuellen Stand der Entwicklung und den Gemütszustand der Verlage aufzeigte und mehr oder weniger zwischen den Zeilen deutlich machte, dass die Karten noch nicht unbedingt durch die Verlage selbst gemischt werden. Man darf auf eine Neuauflage im nächsten Jahr gespannt sein.
Wolfgang Tischer, literaturcafe.de
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