Die Corporate Publishing-Branche orientiert sich angesichts neuer Online- und Mobilangebote neu. Siemens legt Corporate Publishing weitestgehend in die Hände von Kreativen. Im Interview erklärt Tobias Dennehy (Foto), Editor-in-Chief Corporate Communications beim Münchner Unternehmen, den Ansatz.
Dennehy ist Referent beim Seminar „Erfolgsstrategien im Digital Corporate Business“ vom 19. bis 21. September in der Akademie des Deutschen Buchhandels in München. Hier mehr Infos zur Veranstaltung.
Bei Ihrem Magazin „/answers“ legen Sie Corporate Publishing weitestgehend in die Hände von Kreativen (unten ein Beispiel-Video). Welcher Ansatz steckt dahinter?
Als wir uns vor knapp zwei Jahren Gedanken über ein zeitgemäßes Inhaltsformat für unsere Unternehmenswebsite siemens.com machten, wurde uns sehr schnell klar, dass aufwändig produzierte Flash-Features mit vorgefertigten „Corporate Messages“ vermutlich heute nicht mehr genügen, um die anspruchsvolleren, kritischeren und – um mit dem Cluetrain zu sprechen – „smarteren“ Märkte nachhaltig zu erreichen. Denn wenn Märkte wirklich Konversationen sind, Zielgruppen also keine Abstrakta, sondern Menschen, und zwar Menschen, die mit technischer Hilfe des Internet und Konversationsplattformen wie Facebook genau das tun, was der Mensch schon immer tut, nämlich mit anderen in Kontakt zu treten, sich auszutauschen und Geschichten zu erzählen, Geschichten, bei denen nur jemand zuhört oder gar antwortet – neudeutsch „liked“ oder „shared“ –, wenn diese relevant und überraschend sind … tja, dann sollten wir das als Unternehmen doch auch tun. Geschichten erzählen, überraschen, vielleicht sogar provozieren oder vor den Kopf stoßen. Und so Teil der Konversation werden.
Wir sind zwar aktuell mitten in einer weitgreifenden konzeptionellen und organisatorischen Umgestaltung der Unternehmenskommunikation bei Siemens, die Themen in den Mittelpunkt stellt und redaktionelle Storytelling-Kompetenz ins Haus holt bzw. im Haus ausbildet, doch zum Zeitpunkt der Konzeption von „/answers“ waren wir hiervon noch weit entfernt. Insofern lag es nahe, dass wir als Siemens mit unseren Themen und weltweit eindrucksvollen Referenzen die inhaltliche Basis für buchstäblich zahllose Geschichten liefern, das Erzählen dieser Storys aber denen überlassen, deren täglich Brot es ist, gute Geschichten zu finden und dann gut zu erzählen. Neue frische Perspektiven auf unsere Themen, die kein Interner und keine Agentur mehr leisten kann, und vor allem spannend erzählte Geschichten, an denen sich das soziale Web „abarbeiten“ kann – und auch ganz viele Siemens-Kollegen, denen das Konzept nach wie vor Spanisch vorkommt..
Wie viel Freiheit haben die Kreativen?
Die Kreativen, renommierte, preisgekrönte Dokumentarfilmer, Autoren und Journalisten, haben sehr große Freiheiten beim Erzählen und Produzieren ihrer Story. Am Ende soll kein Siemens-Film entstehend, sondern ein Film des jeweiligen Autors, in seiner Bildsprache, in seinem Erzählstil, ein Film, hinter dem der Autor steht, für den er auch bereit ist, seinen Namen (den er in der Szene ja zu verlieren hat) herzugeben – denn die Namen der Autoren werden in sämtlichen Kanälen, in denen „/answers“ präsent ist, namentlich erwähnt. Siemens brieft die Autoren lediglich mit einer Kundenreferenz und der sich dahinter verbergenden Technologie, danach ist es Aufgabe des Autors, die Geschichte eines Menschen zu finden und zu erzählen, der (wissentlich oder meist gar unwissentlich) in seinem Leben von Siemens-Technologie profitiert oder profitiert hat. Die Siemens-Technologie soll explizit nicht Teil der Story sein, die Story muss aber – und das somit die einzige Einschränkung für die Kreativität der Autoren – möglichst überraschend, aber dennoch glaubwürdig auf den sogenannten Endscreen zuführen, auf dem dann „die Katze aus dem Sack“ und der Bezug zwischen Held, Geschichte und Siemens hergestellt wird. Über Erfolgsmessung und Erfolg dieses Konzepts werde ich sicherlich auch im nächstwöchigen Seminar sprechen.
Inwiefern liegt für Sie die Zukunft von Unternehmenskommunikation grundsätzlich in Storytelling-Konzepten?
Storytelling ist eine Grundeigenschaft des Menschen, funktioniert seit jeher und wird immer funktionieren. Fähigkeiten und Wissen darum sind nur leider in der Unternehmenskommunikation im mittlerweile überholten und fast schon überlebten Broadcastzeitalter ein wenig verloren gegangen, aber keine Sorge, das kommt wieder. Denn es wird eingefordert, von den Märkten und Zielgruppen aka Menschen, die mit unserem Unternehmen in Kontakt treten wollen, und die wir ja auch erreichen wollen. „If you want us to talk to you, tell us something. Make it something interesting for a change“, lautete eine der Thesen des 1999er Cluetrain-Manifestos. Und genau darin liegt die Herausforderung: herauszufinden, was für die Menschen, die ich erreichen will, interessant und relevant ist, neudeutsch „Listening“. Hier gibt es kein „One fits All“. Und „/answers“ ist einer von vielen Wegen, auf dem wir bei Siemens versuchen, mittels Storytelling mit den Menschen in Kontakt zu treten, die für uns interessant, und für die wir interessant sind.
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