Deutschland kehrt zurück zum G9. Darüber freuen sich nicht nur Millionen Schüler und ihre Eltern, sondern auch der Reclam Verlag. Denn es könnte bedeuten: mehr Zeit für Lektüre in den Schulen, mehr Zeit für Reclams Universal-Bibliothek. Und mehr Aufträge, die durch die Herstellungsabteilung des Reclam Verlags gehen und IT-gestützt weitgehend automatisch abgearbeitet werden. Die Details im IT-Channel von buchreport.de.
Seit 150 Jahren erscheinen in der Universal-Bibliothek (abgekürzt „UB“ in Verlags- und Buchhandelskreisen) Werke der Weltliteratur und Geisteswissenschaften. Interessant dabei: Dieses elitäre Programm wird in der denkbar schlichtesten Art produziert, denn Schüler und Studierende sind die wichtigsten Käufer der Universal-Bibliothek. Der Preis spielt in der Vermarktung eine entscheidende Rolle.
Der Herstellungsprozess setzt deshalb auf Standardisierung und Zentralisierung – und auf den Digitaldruck. Optisch präsentiert sich das Design der Universal-Bibliothek geschlossen und grafisch einheitlich. Die gelben Bände machen den größten Teil der Druckaufträge aus. Kalkulatorisch gesehen sind diese durchaus heterogen. Die bekannten gymnasialen Pflichtlektüren wie Goethes „Faust 1“ – die Nummer 1 der Reihe – gehen jährlich 50.000 Mal über den Tisch. Der Ladenpreis von 2,20 Euro aber macht den Brotartikel zum Knäckebrot. Hochkalorische Kost in der Abteilung von Herstellungsleiter Michael Kusche zu finden, ist nicht leicht.
Cross Media Publishing – aus Sparsamkeit
Die damit einhergehende Sparsamkeit führt dazu, dass der Verlag unter den Publikumsverlagen einer der Pioniere im crossmedialen Publizieren ist. Zwar liefern Autoren und Herausgeber noch in Word ihre Texte ab, aber mittlerweile beginnen sich auch die Lektoren mit XML anzufreunden. Und am Ende des Korrekturprozesses stehen im besten Fall medienneutrale Satzdaten. Mit dem Druckauftrag stehen sie auf dem verlagseigenen FTP-Server bereit zum Zugriff durch den Drucker.
„Den“ Drucker ist wörtlich zu verstehen. Die komplette Universal-Bibliothek wird traditionell in einem einzigen Betrieb hergestellt. Diese Konstruktion hat sich Michael Kusche zufolge bewährt. Denn in der Ditzinger Druckhalle laufen moderne Digitaldruckmaschinen Seite an Seite mit bewährtem Offsetdruck-Equipment. Damit ist die Druckerei in der Lage, hochauflagige Schultitel im Rollenoffset, aber auch Kleinauflagen bis zu 500 Exemplaren im Digitaldruck wirtschaftlich zu produzieren.
Aus kalkulatorischen Gründen, nicht aus qualitativen, versichert Michael Kusche. Auch der digitale Tintenstrahldruck kann mittlerweile vom Produktwert her mithalten. „Selbst im Vierfarb-Digitaldruck tasten wir uns immer näher an die Qualität des Offsetdrucks heran“, stellt Kusche fest.
Digitaldruck – aus Qualitätsgründen
Neben der kostengünstigen Kleinauflagenproduktion hat der Digitaldruck weitere Vorteile. Er vermeidet einige typische Schwächen des Offsetdrucks, die Kunden und Fachöffentlichkeit tolerieren, einfach, weil sie es so gewohnt sind. Dazu gehören Ungenauigkeiten, die durch das Falzen der Druckbögen oder Drucknutzen entstehen. Der Falzvorgang ergibt je nach Anzahl der Falzbrüche dicke Blätterstapel, deren Effekt keine Drucksoftware der Welt ganz eliminieren kann. Kolumnentitel hüpfen, die Doppelseiten sind nicht immer registerhaltig, das heißt, die Zeilenunterkanten links und rechts weichen voneinander ab. Innen- und Außensteg, also die Weißräume neben dem Satzspiegel, geraten unterschiedlich breit. Griffregister – ein Erkennungszeichen der Reihe „Reclams Städteführer“ – springen im Digitaldruck nur minimal. Ebenfalls attraktiv: Der Printbuyer kann sich im Digitaldruck ein komplettes Muster fertigen lassen. Erst wenn das Ergebnis überzeugt, fällt die Entscheidung, in welcher Form gedruckt wird. Allenfalls die Bilddaten müssen unterschiedlich profiliert werden, um den jeweiligen Besonderheiten von Offset- und Inkjetdruck Rechnung zu tragen. Das Ausschieß-Schema, also die Reihenfolge, in der die Seiten für den Druckvorgang arrangiert werden, erledigt die Software der Druckerei.
Strategisches Ziel: Lieferfähigkeit
All diese qualitativen Fragen sind bei Reclam laut Michael Kusche längst entschieden. Das wichtigste strategische Verlagsziel bei der Druckdisposition sei es, Titel auch bei geringerer Nachfrage verfügbar zu halten, und das funktioniere nur mit dem Digitaldruck. Auch kleinste Nachauflagen „gehen“ digital – sogar mit Textkorrekturen. Voraussetzung: Druck zu mehreren Nutzen – was im Digitaldruck besonders wirtschaftlich ist – und Automatisierung des Auftragsmanagements. Dies nahezu zu 100% zu automatisieren, ist eines der wichtigsten Projekte, die Michael Kusche demnächst in Angriff nehmen wird. „Die Verheiratung des Verlags-ERP mit dem Auftragsplanungssystem von Reclam Print“ nennt Kusche das Projekt. „Durch viele gleichartige Produktionen und die Hinterlegung von Preislisten versprechen sich Verlag wie auch Reclam Print eine kürzere Abwicklungszeit von der Beauftragung bis zur Auslieferung.“
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Während der Inkjet die Zeilen auf die Innenseiten sprüht, sollen perspektivisch Tonerdruckmaschinen die Fertigung der Umschläge mit ihren Sonderfarben übernehmen, wenn die Testergebnisse positiv sind. Zum typischen Reclam-Gelb namens HKS 3 hat sich im Lauf der Zeit ein ganzer farblicher Regenbogen für unterschiedliche Programmsegmente gesellt. Bislang können mit der Tintenstrahl-Technologie faktisch jedoch nur Skalenfarben verarbeitet werden.
Wenn die Umschläge überhaupt in Ditzingen produziert werden: Die festen Buchdeckel für das Hardcover-Programm stellt beispielsweise die Druckerei Kösel im Allgäuer Altusried her und bekommt dafür aus Ditzingen die fertigen Buchblöcke zugeliefert.
Ob abschließend in Ditzingen palettiert wird oder in Altusried – die Transportlogistik ist schnörkellos. Die Lieferungen gehen im Regelfall an die Verlagsauslieferung. Seit dem 1. Juli kümmert sich die VVA am Standort Gütersloh um die kleinen gelben Bändchen.
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