In der Debatte über die Übersetzung von Amanda Gorman hat die „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“-plus-Artikel) 11 Profis nach ihrer Meinung befragt: Darf eine weiße Person eine schwarze Dichterin übersetzen? Auch die Übersetzer der deutschen Ausgabe melden sich zu Wort.
Die junge schwarze Lyrikerin Gorman erlangte durch ihren Auftritt bei der Amtseinführung des amerikanischen Präsidenten Joe Biden internationale Berühmtheit. Die Übersetzung ihres Inaugurations-Gedichts „The Hill We Climb“ ins Niederländische löste die Debatte aus: Marieke Lucas Rijneveld, weiß und nicht binär, hatte den Auftrag zurückgegeben, nachdem eine Journalistin kritisiert hatte, dass eine weiße Person mit der Übersetzung betraut worden war.
Vor diesem Hintergrund hat die „Süddeutsche Zeitung“ Übersetzerinnen und Übersetzer gefragt: „Müssen Übersetzerinnen und Autoren die Erfahrungen einer gemeinsamen Identität teilen, um Literatur sinnvoll in andere Sprachen bringen zu können?“.
Geantwortet haben auch die drei Übersetzerinnen, die Amanda Gorman für den Verlag Hoffmann und Campe ins Deutsche übertragen: die Übersetzerin Uda Strätling, die Rassismusforscherin Hadija Haruna-Oelker und die Autorin Kübra Gümüşay (Die zweisprachige HoCa-Ausgabe ist unter dem Titel „Den Hügel hinauf“ für den 30. März angekündigt).
Sie berichten von den Vorteilen, die ein „multiperspektivisches, intersektionales Übersetzerinnenteam“ bietet: „Weiße Übersetzerinnen? Bei der nötigen Sensibilität: Warum nicht? Doch kann es nur von Vorteil sein, wenn bei der Übertragung solcher Texte die mitwirken, die das entsprechende Erfahrungswissen mit einbringen können.“
Die Übersetzerin Eva Bonné sieht vor allem ein strukturelles und weniger ein literarisches Problem: „Dürfen Weiße Schwarze übersetzen? Ja. Dürfen Schwarze Weiße übersetzen? Ja. Dabei stellt sich die viel interessantere Frage: Woran liegt es, dass schwarze Menschen und People of Color in der Übersetzungsbranche so unterrepräsentiert sind? Und was können wir dagegen tun?“
Bernhard Robben, der mit mit Polly Samsons „Sommer der Träumer“ (Ullstein) zuletzt den Roman einer Frau übersetzte, meint: „Wenn Schwarze nur Schwarze übersetzen, Weiße nur Weiße, Frauen nur Frauen, kann letztlich nichts mehr übersetzt werden; es gäbe keine Literatur mehr. Denn wo die Grenze ziehen? Kann ich als weißer Mann nur die Bücher weißer Männer übersetzen?“
Weitere Beiträge zur Debatte kommen von Marion Kraft, Tanja Handels, Patricia Klobusiczky, Pieke Biermann, Claudia Hamm und Miriam Mandelkow.
Diese Diskussion scheint sehr deutlich zu zeigen, wie eine allgemeine Radikalisierung unserer Gesellschft voranschreitet, mit dem Label der „correctness“. Ich wage es zu behaupten, dass ich es als rassistisch empfinde, wenn ein/e Übersetzer*in aufgrund von Hautfarbe oder Herkunft die „Berechtigung“ oder ein Verbot erhalten sollte, ein bestimmtes Werk zu übersetzen.
Weiterführend könnte man es auch auf die Musik übertragen: Jedes Werk (ausgenommen Eigenkompositionen) ist letztendlich eine „Übersetzung“ – eine Interpretation des Werkes, so wie die Interpretierenden meinen, es zu verstehen. Sollte jetzt jemanden wie Lang Lang verboten werden Beethoven zu spielen, weil er aus einem anderen Kulturkreis stammt wie Beethoven? Sollte auch die Hautfarbe eine Rolle dabei spielen, ob jemand Mozart oder einen Blues spielen darf?
Sollte das Tagebuch der Anne Frank erneut übersetzt werden (egal in welche Sprache) – MUSS es dann von einer verfolgten 14 jährigen Jüdin übersetzt werden?
Wo wollen wir eigentlich hin, und wo ist der gesunde Menschenverstand verschwunden??
Wenn komplentärfarbige Menschen, Werke der sozusagen gegenüberliegenden Farbe im unendlich nuancierten Farbkreis der Hautfarben nicht mehr übersetzen dürfen, ist das eine ganz gefährliche Art der Diskriminierung des jeweils Andersfarbigen und eine furchtbare Art der Zensur. Wer bestimmt, wer wen übersetzen darf? Falls also jemand Eltern unterschiedlicher Ethnien hat, darf er dann gar nicht mehr, nur die Texte von Autoren in gleicher Vorfahrenkonstellation (= Hautfarbe) oder nur einen halben Text übersetzen? Dürfen Texte von kleinen Menschen, nur von Kleinen, die von dicken nur von Dicken und die von rothaarigen nur von Rothaarigen übersetzt werden? Was ist, wenn sich niemand findet? Lassen wir dann die Übersetzung ganz? Oder schreiben wir aufs Cover, dass der Text zwar übersetzt wurde ist, aber leider von keinem mit möglichst ähnlicher Hautfarbe? Wann ist jemand, farbig genug oder schon zu weiß? Diese Debatte geht komplett am Ziel der Gleichberechtigung vorbei und nimmt erschreckende Züge an.