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Wer hat Angst vorm Höllenhund?

Der 22. Mai 2009 ist der 150. Geburtstag von Arthur Conan Doyle. Zum Jahrestag erinnert buchreport in Kooperation mit dem Verlag J.B. Metzler an den Krimi „Der Hund von Baskerville“. Ein Auszug aus dem neuen Kindlers Literatur Lexikon, das am 4. September 2009 erscheint.

The Hound of the Baskervilles


Hauptgattung: Epik/Prosa
Untergattung: Roman(engl.; Der Hund von Baskerville, 1983, R. Wyler) – Nachdem Sherlock Holmes in einer früheren Kurzgeschichte von seinem Widersacher Professor Moriarty über die Reichenbachfälle gestürzt worden war, durfte er 1902 in diesem Kriminalroman schon vor seiner ›offiziellen‹ Auferstehung in The Return of Sherlock Holmes (1905) wieder die Rolle des Aufklärers übernehmen. Während Doyle bereits in Erzählungen aus dem Jahr 1893, abweichend von den bis dahin erschienenen Kurzgeschichten, das schauerromantische Handlungselement auf Kosten der Detektionshandlung akzentuiert hatte, machte er es nunmehr zum beherrschenden Gestaltungsmittel.

Die Handlung, die in gewohnter Weise in Holmes’ Wohnung in der Baker Street beginnt, wird im zweiten Kapitel in einem Doyles Vorliebe für historische Stoffe andeutenden Rückblick in die Zeit der ›Glorious Revolution‹ vor Ende des 17. Jh.s zurückgeführt: Ein altes Manuskript berichtet von dem Fluch, der auf dem in Devonshire beheimateten Geschlecht der Baskervilles liegt. Auf geheimnisvolle Weise sind bis in die Gegenwart hinein immer wieder Mitglieder der Familie zu Tode gekommen, wobei ein riesiger schwarzer ›Höllenhund‹ eine Rolle spielen soll. Der letzte Todesfall, in dem Doyle auf Bitten des aus Kanada angereisten Erben Sir Henry ermitteln soll, ist der des alten Sir Charles Baskerville. Wie der zum Familiensitz vorausgeeilte Dr. Watson feststellen muss, scheint der geheimnisvolle Hund tatsächlich zu existieren – Doyles Mittel, die mit dem Nächtlichen und Dunkeln assoziierte Atmosphäre des Schauerlichen zu erzeugen.

Allerdings lässt die dem Leser vertraute Figur des Meisterdetektivs, der die Wissenschaft der Deduktion perfekt beherrscht – im Sinne des rational erklärbaren Übernatürlichen der ›gothic novel‹ bei C. Reeve oder A. Radcliffe – eine vollkommene Aufklärung des Schauerlichen erwarten, auf die sich die Lesererwartung richtet. Tatsächlich handelt es sich, wie Holmes seinem Mitarbeiter Watson in einem den Konventionen des Genres entsprechenden Schlusskapitel erklärt, um die Machenschaften eines Kriminellen, der den alten Sir Charles Baskerville mit Hilfe eines zu diesem Zwecke abgerichteten Hundes planvoll zu Tode erschreckt hat, aber den in der Erbfolge noch vor ihm rangierenden Sir Henry nicht beseitigen konnte.

Während Doyle im Moriarty-Fall das Thema der Konspiration eines europaweiten Verbrechersyndikats gegen den englischen Staat gestaltet hatte, wird das Motiv hier durch Übertragung auf einen Erbfall zwar seiner gesellschaftspolitischen Relevanz entkleidet. Wesentlich bleibt jedoch die in der Figur des Verbrechers Stapleton konkretisierte Gefährdung der von der englischen Oberklasse gewährleisteten Eigentumsordnung. Während in einzelnen Romanen von H. James (The Princess Casamassima, 1885/86), J. Conrad (The Secret Agent, 1906/07) oder E. Wallace (The Four Just Men, 1905) die Gefahr von der kriminalisierten Arbeiterklasse, den Anarchisten oder den Sozialisten ausgeht, verlegte Doyle sie in die Führungsschicht, der sich seine bis auf die Plantagenets zurückgeführte Familie selbst zugehörig fühlte. The Hound of the Baskervilles ist deshalb auch im Kontext der politischen Position des 1904 zum Ritter geschlagenen Autors zu sehen, der mit The Great Boer War (1900) und The War in South Africa. Its Cause and Conduct (1902) auch die englische Kolonialpolitik in Afrika zu rechtfertigen versuchte.

• Lit.: T. Brown: Notes on A. C. D.’s ›The Hound of the Baskervilles‹, 1980. • P. Weller: The Hound of the Baskervilles. Hunting the Dartmoor Legend, 2001. • N. Clausson: Degeneration, Fin-de-Siecle Gothic, and the Science of Detection. A. C. D.’s ›The Hound of the Baskervilles‹ and the Emergence of the Modern Detective Story, in: Journal of Narrative Theory 35, 2005, 60–87.
Uwe Böker

Arthur Conan Doyle

geb. 22.5.1859 Edinburgh/Schottland (Großbritannien)
gest. 7.7.1930 Crowborough/Sussex (Großbritannien)

Medizinstudium in Edinburgh; kurzlebige Praxen in Plymouth und Southsea; begann aus Patientenmangel mit dem Schreiben; verfasste ab 1887 Geschichten mit der Detektivfigur Sherlock Holmes; enorme Popularität in den 1890er Jahren; zahlreiche historische Romane; politisch-soziales Engagement; 1902 geadelt; ab 1912 Science-Fiction; Wende zum Spiritualismus; Schlüsselfigur in der Geschichte des Detektivromans.
• Lit.: D. Stashower: Teller of Tales. The Life of A. C.D, 1999.

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