Das Internet kommt aus dem PC: Das ist gelernt, seit 1995 der browserbasierte Internetzugang in Deutschland zum Massengut wurde. Es ist so gut gelernt, dass der nächste Paradigmenwechsel, die mobile Internetnutzung, noch nicht in den Köpfen aller Entscheider angekommen ist.
„Mobil“ bedeutet nicht nur, dass Menschen von unterwegs aufs Web zugreifen, sondern verweist auf die technische Plattform: Der Web-Traffic kommt von kleinformatigen, intuitiv mit den Fingern bedienbaren und hochgradig personalisierten Endgeräten. Besonders Tablets werden dabei eher per WLAN auf der Couch genutzt.
In diesem Punkt ist eine gewaltige Veränderung des Nutzerverhaltens im Gange, die ohne Übertreibung die mobile Revolution genannt werden darf. In den USA wird die Desktopnutzung des Internets, gemessen an der verbrachten Zeit, bereits vom Zugang über Mobile-Geräte übertroffen, vor allem über Mobile Apps. Wie es vor zehn, 15 Jahren via PC geschah, erobern jetzt mobile User eine Web-Anwendung nach der anderen, auch das Einkaufen und den Zugang in die Welt der Bücher. Buchkäufer recherchieren mobil in den Suchmaschinen nach Autoren, Titeln und Themen, die sie interessieren. Fast 60% der Klicks auf die Top-Suchbegriffe des Internet-Buchhandels kommen laut Google-Statistiken aus dem mobilen Web.
Google straft Mobile-Muffel ab
- Erhöhte Sichtbarkeit des Angebots („Discoverability“) in mobilen Kanälen und damit Steigerung des Traffics auf dem eigenen Internet-Angebot
- Optimale „Landing Pages“ für jeden erdenklichen Marketingkanal
- Höheres User-Engagement, messbar in Visits, Seitenaufrufen, User-Kommentaren, Empfehlungen, Followern, Likes oder anderem
- Mehr Transaktionen, sprich: Verkäufe im eigenen Endkundengeschäft.
Nicht zuletzt bedeutet die Optimierung für Mobile eine Steigerung des Verlags-Images und der Markenstärke. Diesen Branding-Effekt machte sich zum Beispiel der Langenscheidt Verlag in seiner jungen Zielgruppe zunutze und spendierte dem Jugendwort des Jahres eine mobile Microsite.
Ein wichtiger Aspekt für den weiterhin dominierenden klassischen stationären Einkauf: Eine mobil optimierte Website unterstützt den User auch bei seinen Entscheidungs- und Kaufprozessen am PoS. Laut einer Untersuchung des Technologieunternehmens Intelliad Media hat heute jeder vierte junge Deutsche im Laden sein Smartphone in der Hand und vergleicht, kommuniziert oder kauft mit dessen Hilfe. Gerade für den Buchhandel mit seiner Preisbindung ist dieses Verhalten eher ein Segen als eine Bedrohung.
Strategische Entscheidungen
- Soll die mobil optimierte Internetpräsenz einfach neben die bestehende desktop-optimierte Website gesetzt werden oder ist ein kompletter „Neubau“ besser? Abhängig von Alter und Leistung der bisherigen Website dürfte in den meisten Fällen die Wahl auf den Neubau fallen.
- Im Fall der „Neubau“-Option muss der Entwicklungs-Workflow definiert werden: Unter welchen Umständen macht es Sinn, „Mobile First“, also vom mobilen Kanal ausgehend zu planen? Die mobile Seite nicht als abgespeckte Variante der eigentlichen Desktop-Version zu konzipieren, sondern eine möglichst funktionsreiche mobile Anwendung in den Mittelpunkt zu stellen und die Desktop-Version gemäß deren erweiterten Möglichkeiten entsprechend anzureichern, das ist „Mobile First“.
Die vordergründige Frage nach Technologie und Design für die Nutzeroberfläche kommt erst jetzt zum Tragen. Zur Wahl stehen dabei
- mobil optimierte Websites, also Angebote mit allen Funktionen einer herkömmlichen Website. Sie können mit anderen Seiten verlinkt sein und Suchmaschinen können auf sie zugreifen.
- native Apps, das sind Programme, die der User herunterladen, installieren und warten muss. Er findet sie im App-Store seines Handys oder sie werden ihm vom Betreiber via klassischer Online-Werbung angeboten. Ein Verleger hat den Jackpot geknackt, wenn ein Handy-Anbieter seine App vorinstalliert; Lübbe versucht diesen Weg zu gehen.
- Browser-Apps, die mit Web-Technologien erstellt sind, aber sich wie Apps verhalten.
Das größte Problem der Shopping-Apps ist es, für einen ausreichend großen Kreis von Nutzern so relevant zu werden, dass sie die App tatsächlich in Betrieb nehmen. Denn der durchschnittliche Smartphone-Besitzer nutzt – das zeigt die Marktforschung – gerade mal zwei Dutzend native Apps. Neben Social Media, E-Mail, Navigation, Kommunikation und Banking bleibt da nicht viel übrig für Spezialanbieter wie einzelne Verlage.
Responsive, Adaptive & Co.
Dass diese kostensparende Vereinheitlichung überhaupt möglich ist, verdanken wir modernen Web-Technologien wie der Beschreibungssprache HTML5. Sie ist erst 2014 zum Standard geworden und weit mehr als nur ein Versions-Update des 20 Jahre herrschenden Standards HTML4. Sie erleichtert die Einbindung multimedialer Inhalte und vor allem die Anpassung von Inhalten und Funktionen an vorhandene Eingabegeräte, Bildschirmgrößen und andere technische Möglichkeiten der genutzten Geräte. Die Techniker sprechen hier von „Responsive“ und „Adaptive“ Design.
Unter den Eingabegeräten sticht eines im wahrsten Sinn des Wortes hervor: Der menschliche Zeigefinger oder Daumen. ?Jeder, der einmal im Zug stehend bei der Einfahrt in den Bahnhof auf dem Smartphone seinen Anschlusszug suchte, kennt die Tücken dieses Eingabegeräts und schlecht mobil optimierter Smart?phone-Anwendungen. „Responsive Design“ sorgt dafür, dass dem User je nach Gerätetyp ein wurstfingertauglicher Riesenbutton oder eine kleine Schaltfläche im stylish-dezenten Design angeboten wird.
Neben der Fingertipp-Herausforderung liegt auch das auf der Hand: Auf den Vier-Zoll-Bildschirm eines iPhone 5 passt weniger Inhalt als auf einen 27-Zoll-iMac – das Verhältnis liegt rechnerisch in der Größenordnung von fast 1:40. Also muss sich nicht nur das Layout an extrem unterschiedliche Größen anpassen, sondern auch die einzelnen Elemente. Grafiken lassen sich relativ einfach anpassen, anders die Texte.
Kein erfolgreiches Online-Marketing ohne kontinuierliche Messungen und Berichte. Auch unter diesem – oft vernachlässigten – Aspekt ist ein einheitlicher Backbone die eleganteste Lösung. Ein gemeinsames Analyse-Tool führt zu einheitlichen Zahlen-Aggregaten. Sie können mit wenigen Rechenoperationen auf die wesentlichen Kennzahlen und Vergleichsgrößen reduziert werden, die auch Verleger regelmäßig zur Kenntnis nehmen sollten:
- Woher kommt unser Web-traffic?
- Was tun die User auf unserer Website?
- Wie profitabel sind die Transaktionen, die sie vornehmen?
Mobiles Marketing endet nicht, sobald die optimierte Seite produktiv ist. Die Marketingstrategie und – nicht zuletzt – die Ressourcen müssen sich darauf einstellen, dass sich der Marketingmix verändert:
- Mobiles Marketing ist schneller. Der User sitzt nicht nur stundenweise oder zu Bürozeiten am Gerät, sondern theoretisch immer, solange er wach ist.
- Mobiles Marketing ist interaktiver, die User sind oft nicht allein, wenn sie das Smartphone nutzen: Sie teilen Informationen, Links, Bilder und Meinungen.
- Mobiles Marketing ist spielerischer, dem spielzeughaften Charakter des Endgeräts entsprechend.
Eine internationale Untersuchung von Deals.com zeigte bereits 2014, dass der mobile Aufschwung im E-Commerce mit einem Rückgang des PC-gestützten Umsatzes korreliert. Europaweit führend bei dieser Tendenz hinter Großbritannien: Deutschland. Google-Chairman Eric Schmidt hat dies so formuliert: „Der Trend ging lange dahin, dass Mobile gewinnen wird. Jetzt hat es gewonnen.“
Der Autor Michael Lemster ist Unternehmensberater (alvoloconsult.de) und Journalist. Er schreibt für buchreport und die buchreport-Fachinformationsplattform Pubiz.de. Der Beitrag ist zuerst erschienen im buchreport.magazin 4/2015 (hier zu bestellen).
Och, fünf Vorteile benannt zu haben finde ich gar nicht soo schlecht… Sie haben natürlich recht – es geht immer detaillierter.
Aber im Fokus stand bei mir, die Verlage zu überzeugen, dass Feuer am Dach ist. Bei einem Anteil von 75% nicht mobilen Verlagen war das das vordringliche Anliegen. Da sprengt so ein Beitrag schnell die Formen des Genres Fachzeitschrift.
Danke für den netten Kommentar.
Der Artikel spricht mir aus der Seele. In diesem Zusammenhang wäre übrigens auch eine mobile Buchreport-Seite neben der App wünschenswert ;-))
Vielen Dank für den
wirklich tollen und fundierten Artikel, der auch Einsteigern eine faire Chance gibt. Ein Bisschen tiefer müsste man allerdings beim Thema „native App als Shop“ gehen, da hier meines Erachtens nicht genug differenziert wird bzw. nicht deutlich wird, warum NAs überhaupt eine Rolle spielen können und welche der Funktionen
AUCH durch browserbasierte Angebote abgebildet werden.
Ihre Nachteile wurden sehr
hinreichend dargestellt 😉
Toller Einstiegsartikel,
den ich gern im Haus zur Lektüre verabreiche!