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Wer nicht mobil optimiert, der verliert

Was bei Google nicht gefunden wird, existiert praktisch nicht oder ist nicht ganz vertrauenswürdig. Seit dem 21. April 2015 gilt bei Google ein neuer Ranking-Algorithmus. Massiv begünstigt er mobil optimierte Websites und Shops. Er ist kritisch für Verlage, die ihre mobilen Hausaufgaben noch nicht gemacht haben. Von den Top 100 sind das etwa drei Viertel, wie die Agentur Wirth & Horn 2014 in einer Studie herausfand.

Das Internet kommt aus dem PC: Das ist gelernt, seit 1995 der browserbasierte Internetzugang in Deutschland zum Massengut wurde. Es ist so gut gelernt, dass der nächste Paradigmenwechsel, die mobile Internetnutzung, noch nicht in den Köpfen aller Entscheider angekommen ist.

„Mobil“ bedeutet nicht nur, dass Menschen von unterwegs aufs Web zugreifen, sondern verweist auf die technische Plattform: Der Web-Traffic kommt von kleinformatigen, intuitiv mit den Fingern bedienbaren und hochgradig personalisierten Endgeräten. Besonders Tablets werden dabei eher per WLAN auf der Couch genutzt.

In diesem Punkt ist eine gewaltige Veränderung des Nutzerverhaltens im Gange, die ohne Übertreibung die mobile Revolution genannt werden darf. In den USA wird die Desktopnutzung des Internets, gemessen an der verbrachten Zeit, bereits vom Zugang über Mobile-Geräte übertroffen, vor allem über Mobile Apps. Wie es vor zehn, 15 Jahren via PC geschah, erobern jetzt mobile User eine Web-Anwendung nach der anderen, auch das Einkaufen und den Zugang in die Welt der Bücher. Buchkäufer recherchieren mobil in den Suchmaschinen nach Autoren, Titeln und Themen, die sie interessieren. Fast 60% der Klicks auf die Top-Suchbegriffe des Internet-Buchhandels kommen laut Google-Statistiken aus dem mobilen Web. 

Innerhalb von zwei Jahren hat der Anteil der mobilen Website-Zugriffe um den Faktor 1,8 bis 2,5 zugenommen. Dies zeigt ein Massenvergleich, den die Webagentur Wirth & Horn Anfang 2015 vornahm. Im Mittel liegt der mobile Traffic-Anteil heute bei 27%. Die Internetaktivitäten der Buchverlagsbranche entsprechen dieser Entwicklung bisher keineswegs. Im Herbst 2014 hatte Wirth & Horn anhand des buchreport-Verlagsrankings herausgefunden, dass drei Viertel der Top-100-Verlage über keine mobile Website verfügten, sondern allenfalls über Microsites oder Apps, etwa für einzelne Autoren oder Titel.
Mehr und mehr Traffic kommt dabei aus Facebook und anderen sozialen Netzwerken. Eine E-Publishing-Expertin aus dem Gräfe und Unzer Verlag nennt den sogenannten „dark traffic“, den mobilen Traffic aus dem Social Web, eine der in Verlagen meist unterschätzten Größen.
Mobile Optimierung birgt Chancen
Mobile Web-Optimierung verbessert erheblich die Voraussetzungen der Verlage, bestimmte Zielgruppen (unter ca. 35, besonders aktive User, Führungskräfte) zu erreichen und aus wichtigen Kommunikationskanälen (allen voran Social Media und E-Mail) das Maximum an „Leads“, also Interessenten zu holen.
Ganz besonders profitiert von mobiler Optimierung die Reichweite der Angebote für junge Zielgruppen und der Microsites, also der schlanken Websites zu Autoren oder Reihen mit wenigen Unterseiten und geringer Navigationstiefe. Aber auch bei allen übrigen Verlags-Websites ist mobil „Musik drin“. 
Das zeigt ein Vergleich des Langenscheidt Verlags mit dem Kopenhagener Politikens Forlag, dem Originalverlag von Jussi Adler-Olsen. Die Gemeinsamkeit beider Verlage: Sie haben mit über 25 bzw. über 40% einen hohen Anteil mobiler Zugriffe. Langenscheidt investiert in Apps und leistet sich noch keine mobil optimierte Seite. Politikens entschied sich dagegen für „mobile first“, eine Konzeption, die die mobile Anwendung in den Mittelpunkt stellt. Was das für den via Internet generierten Direktumsatz bedeutet, ist erstaunlich: Aus den mobilen Kanälen holt Langenscheidt nur ein Siebtel seines Umsatzes, Politikens ein Viertel. Und im schwierigen Smartphone-Kanal ist die Leistung von Politikens um die Hälfte besser als die des deutschen Vergleichs-Shops.
Das überrascht nicht: E-Commerce-Experte Andrea Anderheggen, CEO der Spezialagentur Shopgate Mobile Commerce, geht sogar von einer Verzehnfachung der Konversionsrate aus, sobald eine mobile Web App zur Verfügung steht. E-Commerce-Anbieter wie Amazon und Buecher.de sind längst mobil optimiert unterwegs, Mitte März zog auch Weltbild.de mit einer neuen Seite im Responsive Design nach.

Google straft Mobile-Muffel ab

Am höchsten sind Potenziale und Handlungsdruck bei Verlagen mit relativ junger Zielgruppe. Aber auch in jedem anderen Verlag gehört die Frage nach der mobilen Strategie auf die Tagesordnung. Denn der User hat aus Omni-Channel und aus dem Umgang mit erfolgreichen Websites vom Typ eines Amazon vor allem eines gelernt: Es ist Aufgabe des Anbieters, ihn an jedem Touchpoint optimal zu bedienen.
Auch aus der Technologie-Ecke kommen Warnsignale: Suchmeister Google analysiert schon lange die Websites auf mobile Usability. Seit Januar 2015 erhielten bereits Zehntausende von Webmastern detaillierte Mängellisten, verbunden mit der Aufforderung, diese abzustellen, und auch Anleitungen dazu. Für Alarmstimmung in Entwickler-etagen sorgen Googles Experimente mit Hinweisen auf „Mobile-Friendliness“ in den Suchergebnissen und mehr noch die Ankündigung, dass diese ab dem 21. April 2015 die Rangfolge der Suchtreffer beeinflussen wird.
Was die Optimierung erreichen kann
Mobile Web-Optimierung verfolgt vielfältige Ziele:
  •  Erhöhte Sichtbarkeit des Angebots („Discoverability“) in mobilen Kanälen und damit Steigerung des Traffics auf dem eigenen Internet-Angebot
  • Optimale „Landing Pages“ für jeden erdenklichen Marketingkanal
  • Höheres User-Engagement, messbar in Visits, Seitenaufrufen, User-Kommentaren, Empfehlungen, Followern, Likes oder anderem
  • Mehr Transaktionen, sprich: Verkäufe im eigenen Endkundengeschäft.

Nicht zuletzt bedeutet die Optimierung für Mobile eine Steigerung des Verlags-Images und der Markenstärke. Diesen Branding-Effekt machte sich zum Beispiel der Langenscheidt Verlag in seiner jungen Zielgruppe zunutze und spendierte dem Jugendwort des Jahres eine mobile Microsite.

Ein wichtiger Aspekt für den weiterhin dominierenden klassischen stationären Einkauf: Eine mobil optimierte Website unterstützt den User auch bei seinen Entscheidungs- und Kaufprozessen am PoS. Laut einer Untersuchung des Technologieunternehmens Intelliad Media hat heute jeder vierte junge Deutsche im Laden sein Smartphone in der Hand und vergleicht, kommuniziert oder kauft mit dessen Hilfe. Gerade für den Buchhandel mit seiner Preisbindung ist dieses Verhalten eher ein Segen als eine Bedrohung.

Strategische Entscheidungen

Wie können diese Ziele optimal erreicht werden? Zunächst steht eine Reihe von Entscheidungen an:
  • Soll die mobil optimierte Internetpräsenz einfach neben die bestehende desktop-optimierte Website gesetzt werden oder ist ein kompletter „Neubau“ besser? Abhängig von Alter und Leistung der bisherigen Website dürfte in den meisten Fällen die Wahl auf den Neubau fallen.
  • Im Fall der „Neubau“-Option muss der Entwicklungs-Workflow definiert werden: Unter welchen Umständen macht es Sinn, „Mobile First“, also vom mobilen Kanal ausgehend zu planen? Die mobile Seite nicht als abgespeckte Variante der eigentlichen Desktop-Version zu konzipieren, sondern eine möglichst funktionsreiche mobile Anwendung in den Mittelpunkt zu stellen und die Desktop-Version gemäß deren erweiterten Möglichkeiten entsprechend anzureichern, das ist „Mobile First“.

Die vordergründige Frage nach Technologie und Design für die Nutzeroberfläche kommt erst jetzt zum Tragen. Zur Wahl stehen dabei

  •  mobil optimierte Websites, also Angebote mit allen Funktionen einer herkömmlichen Website. Sie können mit anderen Seiten verlinkt sein und Suchmaschinen können auf sie zugreifen.
  • native Apps, das sind Programme, die der User herunterladen, installieren und warten muss. Er findet sie im App-Store seines Handys oder sie werden ihm vom Betreiber via klassischer Online-Werbung angeboten. Ein Verleger hat den Jackpot geknackt, wenn ein Handy-Anbieter seine App vorinstalliert; Lübbe versucht diesen Weg zu gehen.
  • Browser-Apps, die mit Web-Technologien erstellt sind, aber sich wie Apps verhalten.
Eine native App ist näher am User und exklusiver. Er hat sich einmal entschlossen, sie in Betrieb zu nehmen. Wenn er sie aufruft, dann nur, um sich intensiv mit ihr zu befassen. Sie funktioniert auch ohne Internet-Verbindung. Sie kann alle Funktionen der Handy-Hardware nutzen. Eine App kann dem User Nachrichten senden, zum Beispiel Lesungstermine oder Sonderangebote. Auch ein Shop kann in einer solchen App laufen. Dabei könnten allerdings Verkaufsprovisionen für den Plattformbetreiber anfallen und dem Publisher den Spaß an den „In-App Purchases“ vergällen. Außerdem liest der Plattformbetreiber immer mit. Hinzu kommt, dass für jedes Betriebssystem eine eigene App entwickelt und immer aktuell gehalten werden muss.

Das größte Problem der Shopping-Apps ist es, für einen ausreichend großen Kreis von Nutzern so relevant zu werden, dass sie die App tatsächlich in Betrieb nehmen. Denn der durchschnittliche Smartphone-Besitzer nutzt – das zeigt die Marktforschung – gerade mal zwei Dutzend native Apps. Neben Social Media, E-Mail, Navigation, Kommunikation und Banking bleibt da nicht viel übrig für Spezialanbieter wie einzelne Verlage.

Responsive, Adaptive & Co.

Die Wahl wird daher in den meisten Fällen auf Browser-Anwendungen fallen. Sie sind durchlässiger. Jeder Web-Entwickler kann sie produzieren, das reduziert den Aufwand. Aber ihr vielleicht größter Vorteil liegt darin, dass sie auf demselben technischen „Backbone“ basieren können wie die Website für den Desktop, die nach wie vor unverzichtbar ist. Das betrifft Hosting, Programmierung, Versorgung mit Inhalten, Auslieferung der Seiten an das Gerät des Users und nicht zuletzt Checkout, Zahlungsmittel und das Berichtswesen.

Dass diese kostensparende Vereinheitlichung überhaupt möglich ist, verdanken wir modernen Web-Technologien wie der Beschreibungssprache HTML5. Sie ist erst 2014 zum Standard geworden und weit mehr als nur ein Versions-Update des 20 Jahre herrschenden Standards HTML4. Sie erleichtert die Einbindung multimedialer Inhalte und vor allem die Anpassung von Inhalten und Funktionen an vorhandene Eingabegeräte, Bildschirmgrößen und andere technische Möglichkeiten der genutzten Geräte. Die Techniker sprechen hier von „Responsive“ und „Adaptive“ Design.

Unter den Eingabegeräten sticht eines im wahrsten Sinn des Wortes hervor: Der menschliche Zeigefinger oder Daumen. ?Jeder, der einmal im Zug stehend bei der Einfahrt in den Bahnhof auf dem Smartphone seinen Anschlusszug suchte, kennt die Tücken dieses Eingabegeräts und schlecht mobil optimierter Smart?phone-Anwendungen. „Responsive Design“ sorgt dafür, dass dem User je nach Gerätetyp ein wurstfingertauglicher Riesenbutton oder eine kleine Schaltfläche im stylish-dezenten Design angeboten wird.

Inhalte fürs Smartphone anpassen

Neben der Fingertipp-Herausforderung liegt auch das auf der Hand: Auf den Vier-Zoll-Bildschirm eines iPhone 5 passt weniger Inhalt als auf einen 27-Zoll-iMac – das Verhältnis liegt rechnerisch in der Größenordnung von fast 1:40. Also muss sich nicht nur das Layout an extrem unterschiedliche Größen anpassen, sondern auch die einzelnen Elemente. Grafiken lassen sich relativ einfach anpassen, anders die Texte. 

Eine Verlags-Website arbeitet in aller Regel mit Zehntausenden von Überschriften und Texten, die in Jahren entstanden sind, in denen Rücksicht auf die Beschränkungen kleiner Bildschirme nicht notwendig war. Dieses Material voll manuell umzuschreiben, überfordert die meisten Redaktionsteams. Bei der unumgänglichen mobilen Optimierung der Bestandstexte können Werkzeuge der semantischen Analyse den manuellen Aufwand reduzieren, zum Beispiel der „Text Shortener“ der Firma Ferret aus Bernau bei Berlin. Neue Texte sollten möglichst gleich im Geist des „Mobile first“ kurz und schnörkellos gehalten sein, auch wenn noch keine mobile Anwendung in Betrieb ist.
Auf die Dauer ist es ohnehin zu aufwändig, je ein Content Management System (CMS) für mobile und Desktop-Anwendung vorzuhalten. Wirth & Horn beispielsweise stellt seinen etwa 30 Verlags- und Handelskunden ein CMS bereit, das alle eigenen Webauftritte und zusätzlich die Shops des Handels mit einheitlichen Daten befüllt. 
Zahlen bitte!

Kein erfolgreiches Online-Marketing ohne kontinuierliche Messungen und Berichte. Auch unter diesem – oft vernachlässigten – Aspekt ist ein einheitlicher Backbone die eleganteste Lösung. Ein gemeinsames Analyse-Tool führt zu einheitlichen Zahlen-Aggregaten. Sie können mit wenigen Rechenoperationen auf die wesentlichen Kennzahlen und Vergleichsgrößen reduziert werden, die auch Verleger regelmäßig zur Kenntnis nehmen sollten:

  • Woher kommt unser Web-traffic?
  • Was tun die User auf unserer Website?
  • Wie profitabel sind die Transaktionen, die sie vornehmen?
Tools wie Google Analytics kann jeder Publisher rechtssicher verwenden. Für jeden, der den Suchanbietern das Mitlesen nicht gönnt, gibt es Dutzende andere Analyse-Softwares, auch solche, die über die Website hinaus das komplette Online-Marketing steuern helfen.
Was sich beim Marketing ändert

Mobiles Marketing endet nicht, sobald die optimierte Seite produktiv ist. Die Marketingstrategie und – nicht zuletzt – die Ressourcen müssen sich darauf einstellen, dass sich der Marketingmix verändert:

  • Mobiles Marketing ist schneller. Der User sitzt nicht nur stundenweise oder zu Bürozeiten am Gerät, sondern theoretisch immer, solange er wach ist.
  • Mobiles Marketing ist interaktiver, die User sind oft nicht allein, wenn sie das Smartphone nutzen: Sie teilen Informationen, Links, Bilder und Meinungen.
  • Mobiles Marketing ist spielerischer, dem spielzeughaften Charakter des Endgeräts entsprechend. 
Das heißt auch: Funktionalität ist manchmal wichtiger als Inhalt – etwas, womit Verlage sich schwertun, seit es das Internet gibt. Das Gewicht der verschiedenen Marketing-Kanäle verlagert sich, Social Media oder Außenwerbung werden bedeutsamer.

Eine internationale Untersuchung von Deals.com zeigte bereits 2014, dass der mobile Aufschwung im E-Commerce mit einem Rückgang des PC-gestützten Umsatzes korreliert. Europaweit führend bei dieser Tendenz hinter Großbritannien: Deutschland. Google-Chairman Eric Schmidt hat dies so formuliert: „Der Trend ging lange dahin, dass Mobile gewinnen wird. Jetzt hat es gewonnen.“

Der Autor Michael Lemster ist Unternehmensberater (alvoloconsult.de) und Journalist. Er schreibt für buchreport und die buchreport-Fachinformationsplattform Pubiz.de. Der Beitrag ist zuerst erschienen im buchreport.magazin 4/2015 (hier zu bestellen).

Kommentare

3 Kommentare zu "Wer nicht mobil optimiert, der verliert"

  1. Michael Lemster | 21. April 2015 um 20:29 | Antworten

    Och, fünf Vorteile benannt zu haben finde ich gar nicht soo schlecht… Sie haben natürlich recht – es geht immer detaillierter.
    Aber im Fokus stand bei mir, die Verlage zu überzeugen, dass Feuer am Dach ist. Bei einem Anteil von 75% nicht mobilen Verlagen war das das vordringliche Anliegen. Da sprengt so ein Beitrag schnell die Formen des Genres Fachzeitschrift.
    Danke für den netten Kommentar.

  2. Tobias Streitferdt | 21. April 2015 um 18:22 | Antworten

    Der Artikel spricht mir aus der Seele. In diesem Zusammenhang wäre übrigens auch eine mobile Buchreport-Seite neben der App wünschenswert ;-))

  3. Vielen Dank für den
    wirklich tollen und fundierten Artikel, der auch Einsteigern eine faire Chance gibt. Ein Bisschen tiefer müsste man allerdings beim Thema „native App als Shop“ gehen, da hier meines Erachtens nicht genug differenziert wird bzw. nicht deutlich wird, warum NAs überhaupt eine Rolle spielen können und welche der Funktionen
    AUCH durch browserbasierte Angebote abgebildet werden.

    Ihre Nachteile wurden sehr
    hinreichend dargestellt 😉

    Toller Einstiegsartikel,
    den ich gern im Haus zur Lektüre verabreiche!

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