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Wer wartet, ist schon lange tot

Der Sog der Digitalisierung werde klassische Händler überflüssig machen, so sie beim Bestehenden verharren, prophezeit Martina Kühne vom Züricher Forschungsinstitut GDI Gottlieb Duttweiler. In der Studie „The Story of Unstoring“ erläutert Kühne, wie der Handel in Zukunft noch Umsatz generieren kann.

Die Forscherin wird auf dem Jahreskongress der österreichischen Buchbranche am 12. und 13. Mai 2011 in der Österreichischen Nationalbibliothek (Wien) über die Rolle des stationären Handels im digitalen Zeitalter sprechen.

Der Siegeszug des Internets und des E-Commerce verändere die Art, wie sich die Welt sich informiert, wie sie sich austauscht, wie sie einkauft, so die Forscherin. Nichts deute darauf hin, dass sich an dieser Dynamik in Zukunft etwas ändern könne.

Ausgehend davon, dass sich das „Hier“ des klassischen stationären Ladens und das „Dort“ des Web-Shops zunehmend zu einem „Hier-und-Hier“ vermischen, hat Kühne für die Studie sechs Thesen ausgearbeitet, die in zugespitzter Form zeigen, wohin die Reise gehen kann;

1. „Wer wartet, ist schon tot“

Zu lange hätten Händler über ihre Kunden gerätselt. Zukünftig würde sich der Handel per Handy in Zeitbudgets und Tagesabläufe ihrer Kunden einmischen. Damit einher gehe die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung („Augmented Reality“). Kühne: „Wer mobile Services bietet, schlägt seinen konventionell agierenden Marktkonkurrenten.“

2. „Der Handel wird zur Spielwiese“

Durch so genannte Check-in-Funktionen melden Kunden ihrer Internet-Community per Smartphone, dass sie in einen bestimmten Laden gehen, so dass auch andere dort einchecken wollen. Wer viel eincheckt, wird belohnt – Schließlich sei Spieldrang genau so mächtig (und ausnutzbar) wie Schnäppchen-Drang.

3. „Der Laden wird anklickbar“

Über jedem Laden liege künftig eine digitale Schicht, die Produkte und Sortimente verlinkt und mit Zusatzinfos aus der virtuellen Welt anreichert. Läden und deren Angebote ließen sich bei zunehmender Reife und Tiefe neuer Angebote in Echtzeit verorten. Das Taktile des physischen Waren-Theaters werde vermengt mit dem Convenience-Faktor, den digitale Dienste heute böten. Wer seine Serviceleistung nicht optimiere, habe laut Kühne ein Problem.

4. „Was digitalisiert werden kann, wird wegdigitalisiert“

Die Digitalisierung ließe sich nicht aufhalten, keine Branche werde verschont. Die Technik ermögliche es Konsumenten zum Produzenten zu werden. Ausgerüstet mit einem 3-D-Drucker könnten Verbraucher dann Produkte wie Becher, Socken, Teller selber ausdrucken. Wer bestehen wolle, sollte eine 3-D-Werkstatt einrichten und Entwürfe statt Produkte verkaufen.

5. „Die Welt verwandelt sich in eine riesige Verkaufsfläche“

Der Point of Sale werde den Laden verlassen, wenn Konsumenten beispielsweise Artikel aus dem Schaufenster oder von Passanten getragene Artikel anklicken, identifizieren und kaufen können. Zukunftsträchtige Händler böten deshalb exklusive Produkte an.

6. Jeder ist nur ein Händler auf Zeit

Klassische Händler würden durch das Internet überflüssig, da sie vom Kunden umgangen werden (so genanntes „Unstoring“). Wandert der Umsatz aus dem stationären Verkaufskanal, müsse der Laden neu erdacht werden.  Künftig würden Läden verschwinden, weil sie nicht mehr gebraucht würden. Händler sollten deshalb alle Entwicklungen wachsam beobachten.

Zwar werde der Mensch immer ein Haptiker bleiben, auch ein dem Geruchs- und Gehörsinn verhafteter Konsument. Dennoch wolle er auch die Neuerungen internetbasierter Techniken nutzen, so Kühne. Der konventionelle Händler müsse lernen, Hype von evolutionärer Entwicklung zu unterscheiden, bestehende Stärken zu stärken, neue Techniken zu verfolgen und zu verstehen und Kundenwünsche besser zu ergründen. Zwar zeige die Erfahrung, dass technologische Neuerungen in aller Regel auf kurze Sicht überschätzt werden Mittel- und langfristig würden Sie aber meist unterschätzt.

Fazit: Der Sog der Digitalisierung zwinge jeden Händler dazu, sein Geschäftsmodell zu überdenken, zu verfeinern,und an Kundenbedürfnisse anzupassen. Die Devise laute, so Kühne, „mitmachen … oder mitsterben“.

Kommentare

5 Kommentare zu "Wer wartet, ist schon lange tot"

  1. Da kommt die kühne Beraterzunft mal wieder einher und erklärt Leute für tot. Naja, Totsagungen gibt’s ja bei Buchreport öfters. Diesmal wieder in der Kategorie – eTotsagungen. Was macht diese „Nah-Tod-Geschichte“ besonders? Offenbar nichts. Über ein Jahrzehnt nach der Gründung Amazons gibt es den stationären Buchhandel immer noch (übrigens, die ebenfalls schon lange totgesagten „Gelben Seiten“ gibt es auch noch, viele von den einstmals Totgesagten erfreuen sich allerbester Gesundheit). Viele Hype-Blasen, meist bestehend aus Warmluft, die die ursprünglich Totgesagten verdrängen sollten, sind leider selbst dahin geschieden, wenn man so will, den DotCom-Tod gestorben. Friede ihren Daten.

    Zu 1. Händler rätseln über ihre Kunden – ja mei! Richtig, ich will im Buchladen Ersatzteile für mein Auto kaufen. Die Idee, dass sich der Buchhändler jetzt noch in meiner super-grosses Zeitbudget einmischt und nebenbei meine Realitätswahrnehmung erweitert, darauf habe ich ja schon lange gewartet. Es drängt sich doch die Frage auf, ob beim Erstellen der Thesen nicht auch „realitätserweiternde“ Substanzen im Spiel waren. Korrekterweise sollte man hier die Warnung anbringen, dass man von (zu grossen Mengen) besagter Substanzen im schlimmsten Falle vorzeitig ableben kann.

    Zu 2. Der Handel als Spielwiese. Genauso sehe ich das auch. Mein Kumpel geht zu Getränke Hoffmann und checked sich gleich bei Smartphone ein. Na, was denke ich mir da wohl? Cool! Wenn der jetzt gerade Substanzen zur Erweiterung der Wahrnehmung kauft, dann kann ich ja gleich zu ihm gehen, um ihn bei der Konsumption der besagten Substanzen (O.K., reden wir offen – es geht um Bier) zu unterstützen. Wieviel Bier muss man denn trinken, um derartige Ideen zu entwickeln? Reicht da Bier überhaupt? Braucht man die eher was anderes?

    Zu 3. Wissend, dass mein Kumpel sich schon in Sachen Bier eingechecked hat, kommt mir die Idee (dank meines Smartphones), dass ja neben Wahrnehmungsbeschleunigern durchaus auch feste Nahrungsmittel mal wieder geklickt (sorry, gekauft) werden müssen. Dank eines sehr guten Anti-Spam Filters (Dr. Evil) gelingt es mir, die (in jedem Laden vorhandene, digitale Schicht) einfach auszuschalten. Durch eine Offline Diskussion mit dem Metzger (real, nicht virtuell) gelingt es mir zeitnah, die Grillwürste zu verorten. Ich bekomme dann noch (aus Convenience Gründen) eine Tüte zum Einpacken (das Smartphone darf ja nicht bekleckert werden). Dann verlasse ich das Wurst-Theater.

    Zu 4. Wie sich rausstellte (leider), waren unsere Smartphones nicht smart genug. Zur Grillparty braucht man Teller und Besteck – das Bier können wir (dank einer Empfehlung von Google) auch aus der Flasche trinken. Ist ja alles kein Problem. Ich habe ja (wie bei jeder Party) meinen 3D-Drucker dabei (Never leave home without it!) Da drucken wir uns glich mal ein paar Teller aus – an den Grill hatten wir ja schon gedacht. Beim Design erwerben wir die Vorlage für Teller von Piratenseiten – ist billiger, als die Entwürfe für die Teller von KPM oder der Meissner Porzellanmanufaktur zu kaufen. Open Source Angebote nehmen wir nicht mehr – die OS Teller sind einfach Scheisse.

    Zu 5. Gott sei Dank – gut versichert. Beim Digitalisieren muss wohl ein Bier schlecht geworden sein, so dass meine Wahrnehmung danach inkorrekt erweitert wurde. Beim Anklicken der Zigaretten stellte ich dann leider fest, dass dieser erzkonservative Tabakladen seine Produkte immer noch IM Laden hatte, wodurch ich leider für eine Scheibe aufkommen muss, die beim Anklicken der Zigaretten zu Bruch ging. Ärger gab es auch, als mein Kumpel unterwegs ein paar Frauen anklicken wollte – naja, das blaue Auge wird von der Krankenversicherung abgedeckt.

    Zu 6. Leider gab es dann doch noch ernste Probleme. Die klassische Apotheke war bereits so überflüssig, dass sie sich selbst „unstored“ hat. Aspirin liess sich mit dem 3D-Drucker nicht mehr synthetisieren. Naja – Strafe muss sein, oder wie es zum Schluss so schön hiess – „mitmachen – oder mitsterben“. Aber auch dieser Kater geht vorbei.

  2. Das Thema ist durchaus Interessant. Zu oft aber werden Untergangsszenarien in den Raum gestellt ohne Alternativen aufzuzeigen.Gemeinsam mit unseren Kunden arbeiten wir daran Store-Konzepte zu entwickeln, in denen sich stationäre und digitale Welten ergänzend treffen. Hier sehe ich vor allem Chancen die es zu packen gilt.

  3. Philipp A. Flury | 23. April 2011 um 18:37 | Antworten

    Die digitale Welt ist Gegenwart, nicht erst Zukunft. Allerdings sollten dabei auch die Buchhändler mitziehen, vor allem bei den Buchbestellungen. In der Schweiz haben wir das Buchzentrum Hägendorf. Hier bestellen die Buchhändler die Produkte. Wenn das Buch aber nicht bei diesem BZ direkt erhältlich ist, wird dem Buchhändler oder dem interessierten Käufer, der beispielsweise über Orell Füssli etc. bestellt, mitgeteilt, dass die Lieferung bis zu zwei Wochen dauern kann. Was nicht stimmt! Wenn die grossen Buchhändler aber nicht ausschliesslich beim BZ bestellen, sondern beim jeweiligen Verlag (in unserem Fall direkt beim Buchzentrum Liechtenstein) dann dauert es nicht länger als 2 Tage. Also: Anstatt Jammern, sollten die Händler sich zuerst richtig informieren bzw. umsehen.

  4. Händler, die sich ihren Kunden anpassen müssen, das ist ganz, ganz alter Wein, doch der Schlauch ist diesmal sehr neu.

    Die übrigen Voraussagen gehören zum Üblichen, das man seit den ersten multimedialen Abenteuern immer wieder gehört und gelesen hat. Interessant wäre es, diesen Artikel in 10 Jahren noch einmal zu lesen und zu schauen, wie viel davon übrig beleibt.

    Aufgrund der Radikalität der Aussagen, wird es auch dann wohl eher zum Schmunzeln taugen.

  5. …. muss denn eigentlich jeder Schwachsinn hier veröffentlicht werden.

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