Die Absage der Leipziger Buchmesse ist für die ausstellenden Verlage ein mittleres bis großes Drama. Es mischen sich Bedauern, weil ein großes Branchenereignis und Lesefest ausfällt, mit der Sorge um die entgangenen Einnahmen.
#Bücherhamstern und das Ringen um Sichtbarkeit
„Es ist eine Messe der Kontakte und auch der Selbstverständigung, eine ‚Selbsthilfegruppe für geschundene Kleinverleger‘, weil wir uns auch untereinander unterhalten. Die Chance, dass man diese Bücher sichtbar machen kann, ist von heute auf morgen weggeblasen. Das ist eine Katastrophe für den ganzen Buchmarkt, und für die Bücher und die Autoren extrem unschön“, gibt Kleinverleger Dietrich zu Klampen im Gespräch mit Jürgen Deppe (NDR) einen Einblick in die aktuelle Gemütslage. In einem weiteren NDR-Gespräch, geführt von Philipp Cavert, führt Katharina Florian (Edition Nautilus) ergänzend aus: „Die Leipziger Buchmesse ist – anders als die Messe in Frankfurt – vor allem ein großes Lesefest für ein sehr interessiertes, aufgeschlossenes Publikum, das in dieser tollen Messe viele Verlage entdecken kann, die nicht unbedingt in der lokalen Buchhandlung zu finden sind. Das ist in erster Linie eine Frage der Sichtbarkeit, die uns da jetzt verloren geht.“ Daher wolle sie jetzt „alles dransetzen, um unseren Autorinnen und Autoren des Frühjahrsprogramms diese Sichtbarkeit auf anderem Wege zu verschaffen“.
Um das zu erreichen und zumindest einen Teil der entgangenen Einnahmen durch den Wegfall des Frühjahrs-Branchentreffs zu kompensieren, hat das Phantastik-Autoren-Netzwerk (PAN) die Kampagne #Bücherhamstern gestartet, bei der online Novitäten von (meist kleineren, unabhängigen) Verlagen vorgestellt werden. Inzwischen posten unter dem Hashtag in den sozialen Netzwerken viele Autoren und Verlage Links zu ihren Online-Shops; auch mehrere Blogger (z.B. Elea Brandt, Yvonne von „Seitenglück“ und Zerafine von „Game of Books“) beteiligen sich an der Aktion.
Darüber hinaus werden weitere Hashtags wie #LBMatHome, #OnlineLBM und #TrotzdemNachLeipzig eingesetzt, um sich innerhalb der Buch-Community zu vernetzen und ein (digitales) Ersatzprogramm zu schaffen.
Von #LeidernichtLeipzig bis zur #Drachenmesse
Auch für die großen Verlage ist der Messeausfall bitter. Gegenüber der „Deutschen Welle“ erklärt Rebecca Klöber als Sprecherin der Publikumsverlagsgruppe Random House: „Wir waren gerade dabei, zu besprechen, ob wir zur Messe fahren, als die offizielle Absage kam. Wir halten die Entscheidung für richtig, aber finden es natürlich sehr, sehr schade, dass es sein muss.“ Auf welche ungedeckten Kosten sich Random House jetzt einstellen muss und inwiefern alternative Veranstaltungen mit den geladenen Autoren nachgeholt werden können, sei noch unklar.
Insgesamt haben die meisten Verlage den ersten Schock überwunden und bemühen sich nun, das Beste aus der ungewohnten Situation zu machen. So haben zahlreiche Unternehmen innerhalb der vergangenen zwei Tage Programme entwickelt, um einige der geplanten Autorenveranstaltungen und anderen Events woanders bzw. online stattfinden zu lassen:
- Bereits am Dienstagnachmittag, wenige Stunden nach Absage der Messe, startete Carlsen die Aktion #LeidernichtLeipzig – mit dem Ziel, dass dieser Hashtag zur Kommunikation von Aktionen rund um Alternativaktionen genutzt wird. Der Verlag bietet in der kommenden Woche auf seiner Website Verlosungen und einen Fantasy-Talk an, damit die Fans „zumindest virtuell“ auf einige der Autoren und Themen treffen können, „die nun leider nicht in Leipzig zu erleben sein werden“. Start der Aktion ist der 12. März.
- Aufgegriffen hat den Hashtag u.a. der Verlag Delius Klasing, der in der kommenden Woche unter #LeidernichtLeipzig virtuelle Messe-Aktionen umsetzen will. Mit dabei sind die Autorin Silke Hansen, der Autor und Podcaster Philipp Jordan sowie Verlagsleiterin Nadja Kneissler, die zum Auftakt am 11. März per Live-Stream die Novitäten vorstellt, die auf der Leipziger Buchmesse präsentiert worden wären. Dazu wird im Verlagshaus in Bielefeld ein kleiner Messestand aufgebaut, von dem die Sendung über alle Social-Media-Kanäle des Verlages erfolgt. Für das „Messewochenende“ sind weitere Aktionen geplant, an denen sich auch Delius Klasings Partnerverlag Die Werkstatt beteiligen wird.
- Unter dem Motto „Wir feiern Leipzig“ (#wirfeiernleipzig) wirbt die Verlagsgruppe Random House für Bücher ihrer Autorinnen und Autoren und nutzt dabei diverse Social Media-Kanäle als Treffpunkt und „Orte des Austauschs“: Auf den verlagseigenen Online-Plattformen Litlounge.tv und Sinnsucher.de werden u.a. Bücher verlost, Lesungen gestreamt und ein Cosplay-Wettbewerb ausgerufen.
- Ravensburger organisiert „mit Hochdruck ein Ersatzprogramm“ für Leser, Blogger, Bookstagramer und Booktuber. Von Donnerstag bis Sonntag nächster Woche werden einige der deutschsprachigen Verlagsautorinnen Livestream-Lesungen über Instagram (hier und hier) abhalten. Mit dabei sind u.a. Simone Veenstra („Käthe“), Danny Beuerbach („Book a look – and read my book“), Stella Tack („Night of Crowns“), Alana Falk („Gods of Ivy Hall. Cursed Kiss“) und Kira Licht („Lovely Curse“).
- Unter dem Hashtag #Messedaheim bietet Westermann ein digitales Messeprogramm an. Dabei können Lehrkräfte und andere Bildungsinteressierte die „Westermann-Messehighlights“ vom 9. bis zum 20. März virtuell kennenlernen. Viele der geplanten Messeveranstaltungen können als Webinare besucht werden.
- Die Wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) bietet ab sofort auf wbg-community.de einen alternativen, virtuellen Raum als Ersatz für die entfallene Buchmesse an. Wbg-Autoren wie Torben Lütjen, Ulrike Ackermann und Kersten Knipp werden ihre Bücher dort präsentieren; aber auch alle anderen Sachbuchverlage aus dem geisteswissenschaftlichen Umfeld sind eingeladen, ihre Neuerscheinungen auf der Plattform vorzustellen und ihren Autoren die Möglichkeit zu bieten, mit der Community zu diskutieren.
- Am geplanten Buchmessewochenende präsentiert der Manga-Verlag Altraverse seinen Followern ein Alternativprogramm via Youtube-Livestream. Im Mittelpunkt stehen drei Manga-Künstlerinnen, die in Leipzig bei der Manga-Comic-Con ihren großen Auftritt gehabt hätten: Sozan Coskun, Horrorkissen und Shiki Chitose. Zudem findet am Samstag kommender Woche eine Autogrammstunde im Hamburger Comicladen J-Store statt.
- Bei Instagram und Facebook veröffentlicht Splitter während der Messezeit täglich Events und Aktionen rund um die Comics und Comic-Schaffenden, die in Leipzig ins Rampenlicht getreten wären.
- Die Verlagsgruppe Oetinger bietet auf Instagram vom 11. März bis zum 15. März unter dem Hashtag #lbmzuhause ein virtuelles Ersatzprogramm an, mit offenen Fragerunden, Verlosungen signierter Bücher, einem Autorenquiz, virtuellen Goodies, einem öffentlichen Bloggertreffen mit Vorstellung des Herbstprogramms 2020 und Live-Lesungen von Kirsten Boie, Jana Crämer und Nena Tramountani. Die Aktion startet mit einer großen Verlosungsaktion signierter Kinderbücher von Autorinnen, die in Leipzig gelesen hätten.
- Droemer Knaur macht ab Mittwochabend über alle Social-Media-Kanäle des Verlags Autoren und deren Neuerscheinungen erlebbar: Es sind zahlreiche Aktionen geplant, darunter kurze Lesungen, Buch-Raps, außergewöhnliche Partnerchecks, persönliche Grußbotschaften und Einblicke in den Verlag.
- Während der eigentlichen Messetage startet Loewe über die hauseigenen Social Media-Kanäle unter #LoeweLiestLeipzig diverse Aktionen.
- Kiepenheuer & Witsch veranstaltet ein alternatives Programm unter dem Motto „Leipziger BÜROmesse“. Auf seiner Website gibt der Verlag einen Überblick über Termine und Inhalte. Außerdem verlost KiWi zwischen dem 12. und dem 15. März täglich ein Buchpaket.
- Piper ist unter dem Hashtag #BuchmessevorOrt dabei: Über 40 Autorinnen und Autoren stellen ihre aktuellen Bücher in Videos vor, die sie in den vergangenen Tagen spontan aufgenommen haben. Die Aktion wird auf allen Social Media-Kanälen von Piper begleitet, auch Live-Lesungen sind geplant. Der Verlag verlost außerdem täglich Buchpakete.
- Auch dtv arbeitet gerade „fieberhaft an einem virtuellen Ersatzprogramm für die ausgefallene Leipziger Buchmesse“. Unter den Hashtags #virtuallbm und #trostbuchmesse ist auf dem Instagram-Kanal ab dem 12. März ein mehrtägiges Programm mit einem virtuellen Standrundgang, Live-Videos von Autoren, Gewinnspielen und vielen weiteren Aktionen geplant.
- Die Verlagsgruppe Beltz bündelt alle ihre Alternativ-Aktionen unter dem Hashtag #leipzigbeidir. In den vergangenen Tagen habe man Autoren angefragt, Interviews verlegt und Messe-Stände neu geplant. Ergebnis ist ein Programm für die Messetage von Donnerstag bis Sonntag, wobei einige Veranstaltungen vor Ort in Leipzig stattfinden. Beltz präsentiert alle Veranstaltungen und Aktionen auf dem Instagram-Kanal beltz_stories, auf dem auch Verlosungen stattfinden. U.a. können Buchhändler fünf Hotelübernachtungen für das Messewochenende (13. bis 15. März 2020) gewinnen.
- Ein analoges Ersatz-Event stellt kurzfristig Astrid Behrendt, Verlegerin des kleinen Fantasy-Verlags Drachenmond, auf die Beine: „Am Messesamstag werden wir für euch das Drachennest öffnen und einige der Drachen werden statt nach Leipzig eben zu uns fliegen. Wir planen, Lesungen, Interviews und Livestreams aus dem Nest, sowie etliche Aktionen via Instagram durch die Drachen, die nicht anreisen können.“ Die #Drachenmesse findet am 14. März im verlagseigenen Verkaufs- und Veranstaltungsraum in Leverkusen statt.
Das Team der Leipziger Buchmesse ist derweil schwer beschäftigt mit der Abwicklung der Messe, den Anfragen der Aussteller und Besucher sowie der Neuplanung zentraler Veranstaltungen. So muss noch final geklärt werden, in welchem Rahmen beispielsweise der Preis der Leipziger Buchmesse, der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung an László Földényi sowie der Kurt-Wolff-Preis an die Verlage Arco und Hentrich & Hentrich verliehen werden.
Kommentar hinterlassen zu "Leben ohne Messe: Wie Verlage jetzt reagieren"