Im Austausch mit den Lesern: Als Antwort auf den Selfpublishing-Trend hat Carlsen ein E-Book-Label mit kuratiertem Programm für Jugendliche entwickelt. Zu den Autorinnen zählen Julia K. Knoll, Martina Fussel und Stefanie Hasse (v.li.), die ihre Fantasy-Serien auf der Leipziger Buchmesse vorgestellt haben.
In der Fantastik sind Selfpublishing-Angebot und Nachfrage groß. Für Verlage sind eigenverlegerisch aktive Autoren Gefahr und Chance zugleich. Sie reagieren mit eigenen Plattformen, digitalen Imprints und Communitys.
Es klingt eher wie der Stoff einer Fantasiegeschichte als wie die Entstehungsgeschichte eines Fantasy-Romans: Nach einem Interview fragte der damalige Journalist Bernhard Hennen den Autor Wolfgang Hohlbein, ob er sich „mal kurz“ seine Buchidee anhören könne. „Er hat mir eine Stunde lang geduldig zugehört und mir dann angeboten, gemeinsam mit ihm einen Termin bei seinem Fantasy-Lektor bei Bastei Lübbe zu vereinbaren“, erinnert sich Hennen heute. Kein leeres Versprechen, denn eine Woche später waren der junge Journalist und der gestandene Autor im Verlag zu Gast, wo Hennen seine Idee vorstellen durfte. „Der Lektor hat mir fünf Minuten zugehört und mich dann gefragt: ‚Herr Hennen, ich weiß, Sie sind Journalist, Sie haben auch Spiele geschrieben, aber woher soll ich wissen, dass Sie ein Buch schreiben können?‘ In dem Moment mischte sich Wolfgang Hohlbein ein: ‚Wenn sich herausstellt, dass er das Buch nicht fertigschreiben kann, mach ich das eben.‘“ Und so bekam Hennen seinen ersten Buchvertrag.
buchreport widmet sich im „Indie-Katalog“ Herbst 2015, in dem wichtige Neuerscheinungen des Jahres versammelt werden, mit einem Schwerpunkt dem wachsenden Marktsegment der Selfpublisher. Mit dem Sonderteil ergänzt buchreport den neuen Indie-Katalog um Titel, Themen und Trends, die in der Szene der Indie-Autoren hoch im Kurs liegen. Das Ziel besteht darin, Selfpublishern eine Brücke in den Buchhandel zu bauen. Hier weitere Infos
Inzwischen ist der 48-Jährige erfolgreicher Bestsellerautor und steht Nachwuchsautoren selbst beratend zur Seite. Für die Unterstützung von Wolfgang Hohlbein ist er heute noch dankbar: „Ohne seine Hilfe ganz am Anfang meiner Karriere wäre ich möglicherweise niemals Autor geworden. Er hat den Weg zur Publikation für mich um Jahre abgekürzt.“
Die Hürde zur Publikation ist gesunken
Wenngleich die Unterstützung eines prominenten Autors auch heute noch vielen Nachwuchstalenten eine Stütze wäre: Das monate- oder gar jahrelange Klinkenputzen, das zu Anfang von Bernhard Hennens Karriere noch üblich war, ist heute keine zwingende Voraussetzung mehr für eine Publikation. Die Selfpublishing-Dienstleister haben im Rückenwind der Digitalisierung die Schwellen zur Publikation für Autoren deutlich gesenkt.
Was bedeutet diese Entwicklung für die Verlage? Ist die wachsende Konkurrenz der Eigenverleger für sie eine Bedrohung, die ihre klassische Gatekeeper-Rolle und ihr Preisgefüge in Frage stellt? Oder entsteht durch das große Titelangebot auch die Chance, neue Talente zu entdecken? „Es ist beides: Chance und Gefahr zugleich“, findet Sascha Mamczak, Programmleiter Fantasy und Science Fiction bei Heyne. Die Verlage müssten kreativ damit umgehen: „Vor allem dürfen sie nicht müde werden zu signalisieren, dass sie sich über Jahrzehnte Kompetenzen erarbeitet haben, die viel mehr bedeuten, als einfach nur einen Text auf eine digitale Plattform zu stellen.“
Das Fantasy-Angebot ist groß
Verlage werden weiterhin gebraucht und auch die Selfpublisher wüssten ihre Arbeit zu schätzen, glauben die Verlagsmitarbeiter. Doch ihnen ist auch klar, dass es Handlungsbedarf gibt, sie den Markt aktiv gestalten und Potenziale besser ausnutzen müssen, insbesondere, wenn sie in der Fantastik unterwegs sind, wo Angebot und Nachfrage besonders groß sind. „Gerade im Fantasy- und Science-Fiction-Bereich tummeln sich bereits sehr viele Selfpublisher“, beobachtet etwa Piper-Fantasy-Programmleiter Carsten Polzin. „Aber das war schon vor Amazon-Zeiten nicht wirklich anders, denn in diesen Genres gibt es erfreulicherweise eine Vielzahl von Kleinverlagen, die auch neuen, ungewöhnlichen Autoren eine Chance geben und z.B. das im fantastischen Genre sehr traditionsreiche Feld der Anthologien und Kurzgeschichten pflegen.“
Insgesamt hat die Fantasy-Nachfrage aber, parallel zur allgemeinen Marktentwicklung, auch im Selfpublishing-Bereich abgenommen, beobachtet Carlsen-Impress-Programmleiterin Pia Trzcinska: „Vor zwei Jahren waren auf der Jugend-E-Book-Bestsellerliste von Amazon fast nur Fantasy-Titel vertreten, mittlerweile sieht man dort auch andere Genres. Dennoch ist Fantasy insgesamt ein Trend, der sehr lange währt, was auch dadurch bedingt ist, dass Fantasy-Leser in der Regel Vielleser sind, die tief in die Welten eintauchen und die Nächte durchlesen wollen.“
Das Angebot ist aber nicht nur aufgrund der Nachfrage größer als in anderen Genres, ergänzt Dennis Schmolk von Egmont: „Angehende Autoren steigen häufig mit Fantasy-Literatur ein, was vielleicht auch daran liegen kann, dass das Genre handwerklich leichter zu bewältigen ist als beispielsweise ein Krimi.“
Verlage entwickeln Plattformen
Die Verlage beobachten Angebot und Nachfrage auf dem Selfpublishing-Segment sehr genau und nutzen ihre Erkenntnisse auch, um Trends und Talente zu entdecken. „Wir können im digitalen Markt eine sehr viel bessere Marktforschung betreiben, als das früher in den klassischen Absatzwegen jemals der Fall war. Das kommt uns bei der Auswahl von Stoffen und Autoren sehr zugute“, berichtet beispielsweise Steffen Haselbach, Belletristik-Verlagsleiter bei Droemer Knaur:
Über die Beobachtung des Marktes hinaus antworten einige Verlage mit eigenen Angeboten auf die Aktivitäten der Selfpublisher und versuchen die klassischen Kernkompetenzen eines Verlags mit den digitalen Möglichkeiten zu verknüpfen:
Carlsen Impress: Im August 2013 hat Carlsen ein eigenes E-Book-Label gestartet, bei dem monatlich fünf Fantasy-Titel mit Schwerpunkt auf Romantasy und Paranormal Romance für Jugendliche und junge Erwachsene erscheinen. Autoren erhalten bis zu 50% vom Nettoerlös. Das Imprint bietet klassische Lektoratsarbeit mit einer niedrigeren Schwelle als im Printprogramm und kann durch das schnellere Erscheinen flexibler auf Trends und Leserbedürfnisse reagieren.
Lyx Storyboard: Seit einem Jahr betreibt Egmont die Schreib- und Leseplattform Lyx Storyboard. Nutzer können die eingestellten Texte kostenfrei lesen, bewerten sowie kommentieren und den Autoren damit die Möglichkeit geben, ihre Werke zu verbessern. Die Autoren können ihre Texte in regelmäßig stattfindenden Wettbewerben einreichen und eine Veröffentlichung im E-Book-Programm des Egmont-Imprints Lyx gewinnen. Zwar ist das Portal neben der Fantasy auch für die Genres Romance, Spannung, historische Romane und Frauenunterhaltung geöffnet, die meisten Autoren und Leser sind aber im Fantasy-Bereich aktiv, in dem auch die Marke Egmont Lyx ihre Wurzeln hat.
Oetinger34: Mit Oetinger34 hat die Verlagsgruppe Oetinger im Frühjahr 2014 in klarer Abgrenzung zum klassischen Selfpublishing „einen virtuellen Arbeitsraum mit hohem Qualitätsanspruch“ geschaffen, in dem sich Autoren, Illustratoren, Juniorlektoren und Leser schon zum Start eines Buchprojekts austauschen können. Die Nutzer können ein Buchprojekt anlegen und andere Teilnehmer als Ratgeber und Projektpartner einladen. Das gemeinsame Buchprojekt wird vom Initiator gegen eine Schutzgebühr von 12 Euro zum Voting eingereicht, Leser und Juniorlektoren bewerten es. Oetinger behält sich für alle eingereichten Publikationen ein sechsmonatiges Optionsrecht vor. Die zehn besten Buchprojekte werden noch einmal durch das Oetinger34-Lektorat gesichtet und bei Gefallen in der Edition Oetinger34 publiziert.
Verlage lernen von Selfpublishern
Auch wenn die drei Plattformen auf unterschiedlichen Ansätzen fußen, verfolgen sie doch ähnliche Ziele: Junge Talente leichter zu entdecken und frühzeitig an den Verlag zu binden. Abgeschaut von den Selfpublishern haben sich die Verlage insbesondere die aktive Einbindung der Leser bei der Entstehung und Auswahl der Bücher, die günstigeren Preise (zwischen 2,99 und 4,99 Euro bei Egmont und Carlsen, bei Oetinger zwischen 0,99 und 8,99 Euro für E-Books) und das schnellere Erscheinen, mit dem sie flexibel auf Trends und Marktbedürfnisse reagieren können.
„Ich glaube, dass wir viel von den Selfpublishern lernen können und entsprechend haben wir uns für Carlsen Impress auch viel von ihnen abgeguckt“, berichtet Programmleiterin Pia Trzcinska. „Uns hat insbesondere beeindruckt, wie schnell und offen die eigenverlegerisch aktiven Autoren auf den Markt und ihre Leser reagieren. Bei Carlsen Impress werden Leser und Blogger deshalb stark miteingebunden und können bei besonderen Aktionen sogar das Cover auswählen.“ Auch auf anderen Ebenen sind Blogger und Selfpublisher Teil des Teams: „Ihr Feedback ist für uns essenziell und wirkt sich oftmals auf unsere Programmarbeit aus“, berichtet Trzcinska.
»Gute Autoren brauchen gute Verlage«
Das wichtigste Argument für Autoren, sich einem der Portale anzuschließen, ist die Anbindung an den jeweiligen Verlag. Bei Egmont Lyx sind inzwischen drei Fantasy-Romane aus der Storyboard-Talentschmiede erscheinen: Regina Meißner mit „Ivory – Von Schatten verführt“, J. K. Bloom mit „Fürsten der Dämonen – Unsterblich“ und Vanessa Sangue mit „Dark Hope – Gebieter der Nacht“ erfreuen sich laut Verlag steigender Beliebtheit.
Bei Carlsen Impress haben die ersten Titel, wie z.B. die „Pan“-Trilogie von Sandra Regnier sogar den Sprung ins Taschenbuchprogramm geschafft und damit noch einmal neue Leser gewonnen. Die Übertragung aus dem Digitalen ins Gedruckte und in den stationären Buchhandel funktioniere, die Titel entwickelten sich zu Bestsellern, heißt es von Carlsen. Der Verlag will dem Handel jetzt eine Taschenbuchaktion mit ausgewählten Impress-Titeln anbieten.
Dass es für die meisten Autoren noch immer als Auszeichnung gilt, in einem Verlagsprogramm zu erscheinen und im stationären Buchhandel präsentiert zu werden, erklärt, warum die Verlage im Großen und Ganzen entspannt auf die Selfpublishing-Aktivitäten schauen. „Es ist immer noch die erste Wahl der meisten Autoren, in einem Verlag zu publizieren und auf das Angebotsspektrum eines solchen Hauses zugreifen zu können. Ein Verlag kann mit Blick auf Lektorat, Vertrieb, Werbung, Presse und Marketing vieles bieten, was einem Selfpublisher nicht zur Verfügung steht“, meint etwa Goldmann-Lektorin Nicole Geismann.
Auch Klett-Cotta-Lektor Stephan Askani ist überzeugt: „Am Ende wird sich zeigen, dass auch gute Autoren gute Verlage (und Lektoren) brauchen. Talente sind hier durchaus zu entdecken, sie brauchen aber ein Umfeld, in dem sie sich entwickeln können. Das kann bislang, meine ich, vor allem ein Verlag bieten.“
Netzwerk für den Nachwuchs: Oetinger hat sich „dem Prinzip Kollaboration“ verschrieben. Auf der Plattform Oetinger34 können sich Autoren, Illustratoren, Junior-Lektoren und Leser bereits zum Start eines Buchprojekts untereinander austauschen.
Ich bin nicht der Meinung, dass man als guter Autor einen E-Book-Verlag braucht. Zum einen weil man sich seine Leute für Lektorat und Cover besser selbst sucht, um genau das zu bekommen, was einem vorschwebt. Als Self-Publisher kann ich meine Bücher individuell betreuen, in Kategorien und Shops verschieben, Preise variieren und Änderungen vornehmen, ohne jemanden fragen zu müssen. Werbeaktionen kann ich sofort umsetzen, ohne einen schwerfälligen Koloss von Verlag mitschleppen zu müssen. Ich wüsste nicht, was mir ein Verlag an außergewöhnlichen Marketing-Formaten bieten könnte. Ich bin ohne ihn weitaus beweglicher. Als Self-Publisher bleibt der komplette Gewinn bei mir. Für mich gäbe es keinen Grund meine Freiheit aufzugeben. Etliche erfolgreiche Self-Publisher sind durch eine Verlagsbindung plötzlich abgestürzt und stehen sich schlechter. Einen Verlagsvertrag würde ich nur im Bezug auf die Papierbücher wählen und die E-Book-Rechte niemals aus der Hand geben. Bekannte und berühmte Autoren machen es vor und handeln ebenso.
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Etliche erfolgreiche Self-Publisher sind durch eine Verlagsbindung plötzlich abgestürzt und stehen sich schlechter.
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