Im Kampf mit Spiele- und App-Entwicklern um die Aufmerksamkeit der Tablet-Nutzer fällt es Buchverlagen immer schwerer, die Kinder fürs Lesen zu begeistern. Man dürfe dennoch nicht den Fehler machen, der Konkurrenz nachzueifern, meint Oetinger-Chef Till Weitendorf (Foto). Stattdessen müsse die gesamte Branche umdenken und das Kinderbuch neu erfinden.
Der Kinderbuchverlag hat, wie exklusiv vorab berichtet, gemeinsam mit der App-Firma Next Munich unter dem Dach des Joint Ventures Tiger Books Media eine Software für interaktive E-Books entwickelt. Mit „Tiger Create“ können Verlage angereicherte Kinderbücher erstellen und für verschiedene Plattformen exportieren. Die Software wurde zunächst für den eigenen Bedarf entwickelt, soll aber auch anderen Unternehmen offenstehen. Im Interview mit buchreport.de erläutert Weitendorf Konzept und Perspektiven.
Die zweite Phase der Anreicherung von Büchern hat begonnen. Was hat sich bis jetzt getan?
Wir kennen inzwischen die Techniken der Plattformen und wissen, in welche Richtung sie sich entwickeln. Früher haben Verlage interaktive Inhalte nur für jede Verkaufsplattform einzeln entwickeln können, beispielsweise für den App Store – das war sehr teuer und hat wenig Ertrag gebracht. Das wollten wir verändern, wir wollten ein interaktives Format für möglichst alle Stores. Genau wie wir Bücher nicht exklusiv an z.B. Thalia verkaufen, ist uns wichtig, unsere E-Books über möglichst viele Läden zu verkaufen. Denn das wäre ein Quantensprung, quasi ein Gamechanger – die Basis für jeden Kinderbuchverlag morgen bessere, zielgruppenrelevantere E-Books für überschaubares Geld zu produzieren. Bei der Umsetzung hin zu möglichst einem gemeinsamen Standard sind wir auf viele Hürden gestoßen, die es zu überwinden galt. Mittlerweile haben wir dieses Super-Know-how im Haus und arbeiten mit der profunden Agentur Next Munich zusammen, so dass wir technisch große Schritte machen konnten.
Basiert TigerCreate auch auf Epub 3?
Ja, TigerCreate kann jeden Epub-Standard bedienen.
Noch wird Epub3 nicht von vielen Hardware-Herstellern unterstützt. Was wird sich ändern, wenn dies gegeben ist?
Wir werden zu gewissen Standards kommen, es ist viel in Bewegung, gerade im Bilderbuchbereich. Kinder sind mit einem einfachen Pdf nicht glücklich. Sie wollen interagieren und die Möglichkeiten des Digitalen nutzen. Das heißt nicht, dass jedes Buch ab morgen eine „App-Fähigkeit“ haben muss, aber Kinder haben mehr Spaß, wenn ein Sound oder eine Animation geboten wird.
Digitale Bücher werden immer mannigfaltiger und interaktiver, sie werden die Nutzer in die Geschichte hineinziehen. Mit TigerCreate möchten wir den Verlagen eine günstige Möglichkeit geben, diese Bedürfnisse zu bedienen – und das auf möglichst vielen Plattformen.
Laut einer britischen Studie von Nielsen sinkt die Lektüreaffinität der Kinder dramatisch, sobald ein Tablet im Haus ist – eine bedenkliche Entwicklung?
Sicher. Es ist aber eine Entwicklung, die mit dem Buch zunächst nichts zu tun hat. Wir stehen im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Kinder. Wenn statt des gedruckten Buchs ein Tablet genutzt wird, dann ist es unsere Aufgabe, für dieses Gerät attraktive Produkte herzustellen, sodass Kinder nicht nur Games, sondern auch Bücher konsumieren. Die aktuell angebotenen E-Books – als quasi Pdf oder bloße schwarz-weiße Abbilder der gedruckten Version – sind nicht attraktiv genug für Kinder. Deshalb werden sie kaum konsumiert, deshalb sind die Absatzzahlen ernüchternd. Unsere angereicherten Titel dagegen stehen in den Bestsellerstatistiken von Apple ganz oben.
Folgt nach der Anreicherung um Textelemente und Bilder die Entwicklung in Richtung Spiel, Game oder Quiz?
Nein, man darf nicht den Fehler machen, sich an Games zu orientieren. Jedes Format hat seine Zeit und seinen Reiz. Bei den Bilderbüchern sind wir noch nicht da angekommen, wo wir hinmüssen. Die Attraktivität wird steigen, das Produkt interessanter, die Nutzung zunehmen – dann braucht man vor den Games keine große Angst mehr zu haben.
Wenn man die Entwicklung Ihres Verlages in den vergangenen Jahren betrachtet, fällt auf, dass Sie immer mehr vom Kerngeschäft abgekommen sind. Schon Tigerbooks ist untypisch für einen klassischen Buchverlag – jetzt bieten Sie quasi Software as a Service via TigerCreate…
Tigerbooks ist ein Joint Venture und ein eigenständiges Unternehmen, Oetinger hält eine Beteiligung. Diese bringt uns in keinster Weise von unserem Kerngeschäft ab, das zeigen auch die Ergebnisse der letzten Jahre. Das Konzept hat sich aus dem originären Verlagsgedanken heraus entwickelt. Wir haben uns gefragt, wie wir — d.h. auch unsere Autoren, Illustratoren etc. – Kinder morgen besser erreichen können. Weil wir keine zufriedenstellende Lösung gefunden haben, haben wir sie selbst entwickelt. Dabei denken wir immer auch an andere Verlage – denn wir wollen keine „Exklusivlösung“ schaffen, sondern eine Branchenlösung.
Das ist zumindest für die deutsche Branche ein sehr neuer Gedanke…
Nun ja, wir dürfen nicht einschlafen und müssen am Ball bleiben, damit wir nicht der Spielebranche und anderen das Feld kampflos überlassen. Denn dann werden die Kinder das iPad nur mit Spielen gleichsetzen und Bücher werden keine Chance haben. Deshalb müssen wir – und ich meine damit die gesamte Branche – umdenken. Und das schon heute.
Wie sind ihre Ziele?
Ich möchte, dass möglichst alle Verlage, die mit dem Kinderbuch zu tun haben, im nächsten und übernächsten Jahr mit TigerCreate Bücher gestalten. Dann haben wir ein attraktives, breites Angebot, das von den Kindern auch wahrgenommen und unterstützt wird.
Auch wenn TigerCreate zunächst für Kinderbuchverlage gedacht ist: Dem Wachstum sind keine Grenzen gesetzt. Sie könnten Self-Publisher bedienen, ins Ausland gehen, für andere Genres entwickeln… In welche Richtung streben Sie?
Wir werden uns nicht verzetteln. Die Öffnung für andere Genres wäre zwar möglich, aber ein großer Fehler, den wir nicht machen wollen. Neulich kam eine Anfrage von einem Kochbuchverlag, der mit Animationen arbeitet. Der Verlag suchte eine Lösung, wie man das Schnitzel im Buch „salzen“ könnte. Das ist so dicht dran an dem, was wir machen, dass es interessant wird und Sinn ergibt. Wenn wir aber anfangen, alles zu wollen, können wir uns auf das Wesentliche nicht mehr konzentrieren.
Wir haben zurzeit das beste Werkzeug. Wir kennen den Markt ganz genau und wollen unseren Vorsprung nicht nur halten, sondern ausbauen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass sich Spezialisten durchsetzen. Der Kinderbuchbereich braucht andere Arten von Attraktivität als z.B. das Sachbuch. Dennoch sind wir offen für Partnerschaften: Möchte zum Beispiel jemand eines unserer Tools in einem bestimmten Bereich weiterentwickeln, dann wäre das möglich. Nur, wir werden uns weiterhin auf unsere Kernkompetenzen besinnen.
Vielleicht verdienen Sie mit dem Tool mehr Geld als mit den Büchern, die damit entstehen…
Nein, definitiv nicht. Wir nennen zurzeit keine Zahlen, doch das Tool ist darauf angesetzt, dass es günstig angeboten werden kann. Weil wir sehr viel investiert haben, hoffen wir natürlich, dass sich ein gutes und interessantes Geschäft ergibt. Aber letztlich kommt es uns im Kern darauf an, Kindern in allen Formaten attraktive Geschichten zur Verfügung zu stellen. Im Land der Dichter und Denker, der Schriftsteller und Kreativen braucht es Werkzeuge, die Außergewöhnliches wirtschaftlich machen. Wenn wir das schaffen, wenn wir Qualität und die Möglichkeiten des Digitalen zusammenbringen, werden Kinder auch morgen noch viel lesen. Das kann Tiger Create – das ist der Antrieb.
Hier ein erster Einblick in Tiger Create:
Kommentar hinterlassen zu "Wir dürfen der Spielebranche das Feld nicht überlassen"