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Wir sind keine Buchmacher, sondern Informationsbroker

Die Ausführungen des Wissenschaftsjournalisten Ranga Yogeshwar zum E-Book-Markt (hier mehr) polarisieren: Die einen fragen: Darf ein Branchenfremder für die Politik Marktregeln entwerfen? Alexander Konzelmann, Digitalisierungs-Experte beim Richard Boorberg Verlag, rät Verlagen, nicht zu versuchen, die Räder zurückzudrehen.  
Hintergrund der Diskussion ist die Einladung des TV-Moderators durch den Kulturausschuss des Nordrhein-Westfälischen Landtags, um über die Zukunft des E-Book-Marktes zu sprechen. Yogeshwars dort vertretene Botschaft: Bücher seien ein Kulturgut, das nicht in gleichem Maße wie andere Produkte kommerzialisiert werden dürfte. 
Besonders auf Facebook sorgten Yogeshwars Thesen für viel Diskussionen. Der Chemnitzer Buchhändler Klaus Kowalke (Buchhandlung Lessing) schrieb etwa: „Branchenfremde können m. E. gerne Kommentare abgeben und Debatten begleiten und bestreiten. Aber dass sich die Politik einen Journalisten und Autor zur o. a. Thematik einlädt und daraus ein Regelwerk oder ein Arbeitspapier entwickelt, finde ich für ,uns‘ als Branche mit Interessenvertretung armselig und deshalb bedenklich.“
Dagegen begrüßten Michael Dreusicke (PAUX) und Alexander Vieß (Börsenverein) dezidiert, dass jemand von außerhalb sich zum E-Book-Markt äußert.
Ausführlich beschäftigt sich Alexander Konzelmann, Digitalisierungs-Experte beim Richard Boorberg Verlag, mit Yogeshwars Thesen und plädiert für mehr wirtschaftlichen Realismus und mehr Rechtsbewusstsein:
1) „Grenzüberschreitende Buchpreisbindung auch für E-Books“
Grenzüberschreitende Buchpreisbindung verstößt gegen EU-Warenverkehrsfreiheit, gegen das GATT und gegen das EU-Kartellrecht, wohl auch gegen nationales Kartellrecht in Einfuhrstaaten, würde also ein Netz von internationalen Ausnahme-Verträgen voraussetzen, was ich für politisch nicht durchsetzbar halte.
2) „Nur offene Reader, keine geschlossenen Systeme“
Nur offene Reader erleichtern illegale Kopien erheblich, da könnten auch PDFs für Windows-PCs per Mailanhang verschickt werden.
3) „Mehrwertsteuer sollte sich nach dem Bestimmungsland richten“
Die Mehrwertsteuer richtet sich sowieso stets nach dem Bestimmungsland, sogar im „harmonisierten Mehrwertsteuersystem“ der EU.
4) „Agency-Modell und kein Wholesale Store“ (Verlage bestimmen Bedingungen des E-Book-Verkaufs) 
Solange sie selbst verkaufen und die AGBs durchsetzen können. Sobald es Händlerketten gibt (Normalfall), wäre die vertikale Preisbindung oder eine sonstige vertikale Weitergabe von Bedingungen ein rechtswidriger Missbrauch von Marktmacht, solange kein Erlaubnisgesetz beschlossen wird und auch von EU-Gremien abgesegnet wird.
5) „Preisgestaltung liegt ausschließlich bei den Verlagen“
Siehe oben, solange die Buchpreisbindung als Ausnahme bestehen bleiben darf, klappt das. Ob das Anliegen außerhalb der EU jemand versteht, ist sehr fraglich, schon außerhalb Deutschlands wird die Buchpreisbindung häufig nur geduldet. Wir sind die Sonderlinge.
6) „Online-Plattformen/Händler unterliegen verbindlichen Transparenzregeln“
Wer lässt sich schon in sine Kalkulationen schauen? Falls solche Regeln aufgestellt werden, wachsen die Umgehungsstraßen immer gleich mit (vergleiche KonTraG von 1998, hat es verhindert, dass Banken in die Krise schliddern?). 
7) „Für alle E-Book-Anbieter deutsches Recht“
Wenn Sie an einen deutschen Konsumenten verkaufen, als Verbraucherschutzrecht durchsetzbar, ansonsten Wolkenkuckucksheim.
8) „Datenschutz des Lesers muss gewahrt werden“
– wird in AGBs den CRM-Systemen aller Beteiligten der Handelskette unterworfen oder heimlich an „Mutti“ gesendet (vergleiche Carrier-IQ Schnüffelsoftware auf Smarphones).
9) „E-Books können über ein Vouchersystem (Gutscheine/Belegsystem) auch im stationären Buchhandel angeboten werden“
Gibt’s schon. Aber niemals exklusiv.
10) „Store hat kein formales oder inhaltliches Mitspracherecht“
Es gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit, solange kein Verbraucherschutz greift. D.h. im B-2-B-Geschäft setzt sich derjenige durch, der Alternativen und Macht hat, das kann auch mal der „Store“ sein. Vergleiche Supermarktketten und Landwirtschaftsverbände beim Milchpreis. Autoren schreiben und wollen gelesen werden, so ähnlich, wie Kühe Milch geben. Und wenn die gewohnten Abflusskanäle nicht gehen, wohin dann mit der Inhalteflut: auf die Homepage des Autors zum Gratis-Download? Dann können Store und Verlag zumachen, und Billig-Leser und Billig-Schreiber haben sich kurzgeschlossen. 
Fazit:  Mit einem dermaßen überzogenen Punkteplan in irgendwelche Verhandlungen einzusteigen, verprellt das oder die Gegenüber à priori. Ich halte dies bei allem Respekt für Herrn Yogeshwar für illusionär und dem klassischen Buchhandel „nach dem Munde geredet“. Verlage sollten das Umfeld für gegeben hinnehmen und nachdenken, anstatt zu versuchen, Räder zurückzudrehen. Und Buchhändler sollten sich nicht darauf verlassen, dass dies alle Verlage rechtzeitig und auch noch im Interesse des stationären Buchhandels tun. Denn es gibt andere Absatzwege. Verlage sind keine Buchmacher sondern Informationsbroker.

Kommentare

1 Kommentar zu "Wir sind keine Buchmacher, sondern Informationsbroker"

  1. Ich hatte schon befürchtet, mit meiner Kritik allein auf weiter Flur zu stehen, aber das haben die Leserzahlen meines entsprechenden Blogbeitrags und dieser Beitrag hier zum Glück widerlegt. Ich bin allerdings sehr enttäuscht, dass Yogeshwar sich allem Anschein nach als Maskottchen des Börsenvereins missbrauchen lässt und diesem nun nach dem Mund plappert.
    An einem Punkt aber muss ich Herrn Konzelmann deutlich widersprechen: Aus Angst vor Piraterie auf geschlossene Systeme zu setzen ist – fast schon wortwörtlich – Selbstmord aus Angst vor dem Tode.
    Hinzuzufügen ist noch, dass die Buchpreisbindung beim eBook keinerlei Sinn ergibt, da der durch die Preisbindung beseitigte Missstand (Kostenvorteile der Großhändler gegenüber dem Einzelhandel durch Mengenrabatte) beim eBook überhaupt nicht existiert.

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