Albert Hirsch |
Kaum eine Branche hat in so kurzer Zeit so turbulente Zeiten erlebt wie die der Onlinebuchhändler. In der ersten Wachstumsphase platzte die New-Economy-Blase. Zum zehnjährigen Bestehen von buch.de erinnern der Gründer Michael Urban und der Vorstandschef Albert Hirsch (Foto) an die heißen Jahre, beschreiben die damalige Überlebensstrategie und die heutige Zukunftsperspektive des Onlinebuchhändlers.
Kurz nach der Gründung von buch.de platzte die Dotcom-Blase. Wie haben Sie überlebt?
Urban: Unsere Philosophie war stets, so viele Kunden zufrieden zu stellen wie möglich, statt permanent die Devise auszugeben, die größte Onlinebuchhandlung Deutschlands werden zu wollen. Uns war von Anfang an klar, dass wir als Ameise oder vielleicht Maus gegen den Elefanten Amazon keine Chance haben würden – deshalb haben wir uns früh mit denen arrangiert und sogar für einen Millionen-Betrag unsere Daten verkauft.
Mit Ihrer Bescheidenheit waren Sie ein Exot.
Urban: Finanztechnisch gesehen war es während des Gangs an die Börse ein Fehler, nicht großkotzig an den Markt zu gehen. Deshalb konnten wir an der Börse beispielsweise nicht soviel Geld erlösen wie buecher.de oder BOL – obwohl wir wesentlich mehr Assets wie eine eigene Datenbank hatten. Strategisch gesehen war die Bescheidenheit allerdings richtig. Später standen nämlich buecher.de und BOL zum Verkauf und nicht wir.
Michael Urban |
Für Sie, Herr Hirsch, war der Einstieg bei buch.de in Sprung ins eiskalte Wasser.
Hirsch: Im Januar 2000, als ich das Angebot bekam, gab es noch die Hype-Phase. Im März habe ich dann angefangen, und mir war klar, dass wir die Strukturen ändern müssen, um buch.de mit einer neuen Strategie als Qualitätsführer profilieren zu können. Wir haben damals unser bestehendes Zentrallager geschlossen und voll auf die Barsortimente gesetzt – das hat zunächst für Unruhe in der Firma gesorgt. Neben der Logistik und dem Einkauf haben wir dann die Marke buch.de relauncht.
Und das in einem hektischen Marktumfeld.
Hirsch: Genau, denn parallel zum Umbau des Unternehmens ist der Neue Markt zusammengebrochen. Vor dem Platzen der Blase habe ich als Marketing-, Vertriebs- und Einkaufs-Vorstand von Analysten Kritik dafür einstecken müssen, dass wir zu wenig Geld investiert haben und unsere Verluste zu gering waren; ein halbes Jahr später hieß es, unsere Verluste seien zu hoch, es hagelte Kritik, weil wir in einem halben Jahr nicht den Break Even geschafft hatten. So verrückt und wankelmütig war das Klima damals.
buch.de stand sogar im Jahre 2000 auf der „Todesliste“ des Anlegerblatts Platow-Briefs.
Hirsch: Ja, aber nur, weil Platow damals unsere Bilanz nicht richtig gelesen hatte und bei der Bewertung nicht unsere gesamte Liquidität vollständig berücksichtigt hatte. Gegen diesen Makel haben wir lange gekämpft, die guten Analysten haben das aber schnell verstanden und korrigiert. In der IT-Branche sagt man, ein Jahr hat sieben Internetjahre; mein erstes Jahr bei buch.de war dynamischer und turbulenter als 10 Jahre in einem normalen Unternehmen.
Welche Strategie haben Sie entwickelt?
Hirsch: Uns war schnell klar, dass wir anders als BOL oder buecher.de noch nicht ins Ausland expandieren wollten – diese Unternehmen haben, wie sich später gezeigt hat, mit ihrem Internationalisierungskurs die Komplexität und die Kosten unterschätzt. Wir wussten, dass wir erst unsere Kernkompetenz als Qualitätsmarktführer national aufbauen müssen, dass wir ein kontinuierliches Wachstum anstreben und dabei die Qualitätssicherung nicht aus den Augen verlieren – mit dieser Strategie waren wir schon im vierten Quartal 2002 im Break-Even. Dennoch haben uns die Analysten anfangs belächelt.
Was war aus der Rücksicht Ihr größter Fehler in den Anfangsjahren?
Urban: Wir haben uns vor dem Börsenstart schlecht verkauft – es war gut, dass wir nicht überheblich waren, aber wir waren dennoch im Vergleich zu buecher.de zu leise. Hinzu kommt, dass wir zu viele Anteile an den Venture Capitalist abgegeben haben. Nach dem Börsengang hatte ich nur noch knapp 20 Prozent der Anteile. Daher war mein Mitspracherecht als Gründer und Vorstandsvorsitzender eingeschränkt.
Hirsch: Im Nachhinein schade ist es sicherlich, dass wir 2002 beim BOL-Merger nicht die Firma bol.nl in Holland gekauft haben. Wir haben uns dagegen entschieden, weil wir mit unserer kleinen Organisation erst die anderen BOL-Übernahmen in Deutschland, der Schweiz und in Österreich „verdauen“ wollten.
Gerade mit Hinblick auf die Sortimentsbreite ist die Spitze der deutschen Onlinebuchhändler eine Zweiklassengesellschaft: Amazon führt mit großem Abstand vor weltbild.de, buch.de und buecher.de. Wie wird sich dieses Ungleichgewicht entwickeln?
Urban: Zu meiner Zeit haben wir Amazon ziehen lassen und unser eigenes Ding gemacht, dies ist heute ähnlich. Der Markt ist groß. Auf dem Tisch steht eine Riesentorte, von der jeder satt wird.
Es gibt keinen Verdrängungswettbewerb?
Hirsch: Doch, den gibt es. Von den 5000 Medienhändlern, die es einmal gab, sind rund 100 übrig geblieben. Es ist ein Oligopol entstanden, mit vielleicht 10 Online-Händlern, die mehr als 10 Millionen Euro Umsatz machen, und von denen gibt es drei bis vier, die deutlich über 50 Millionen Euro Umsatz erwirtschaften und weit voraus geeilt sind. Vielleicht wird es in ein paar Jahren so sein, dass das Wachstum gesättigt ist und auch an der Spitze eine Verdrängung stattfindet. Letztendlich ist jedoch wichtig, wie jedes Unternehmen eigene Schwerpunkte und Wachstumsfelder erschließt.
Der Hauptsitz von buch.de in Münsters Speicherstadt |
Die Konkurrenz aus Seattle wächst seit Jahren schneller als Sie.
Hirsch: Unser größter Wettbewerber wächst vor allem mit dem Ausbau neuer und zusätzlicher Warengruppen, produziert durch das Geschäftsmodell jedoch auch eine hohe Komplexität. Das ist immer hinderlich für die wichtige Eigenschaft Flexibilität. Wir wollen keinen Gemischtwarenhandel, in dem das Buch nicht mehr die wichtigste Rolle spielt, ähnlich wie bei anderen großen Versandhändlern und Kaufhäusern, die schon heute diverse Probleme meistern müssen. Anders als der Wettbewerb setzen wir darauf, dass wir verschiedene Fachhändler getrennt voneinander führen, ähnlich wie es die Douglas Holding AG im stationären Handel praktiziert. Die Fachhandelslinie ist unsere Strategie. Viele Kunden fühlen sich beim Wettbewerb nicht mehr wohl und wechseln zu uns, weil sie die Vorteile unserer Marken sehen und die schnelle Lieferung und die prominente Behandlung von Büchern auf unseren Seiten bevorzugen.
Allein im Bereich Buch, der Kernkompetenz von buch.de, hat Amazon in den vergangenen Jahren stärkere Impulse als alle anderen gesetzt – mit der Volltextsuche Search Inside, dem E-Book-Programm Kindle und der Übernahme von Audible. Wurmt es Sie nicht, dort nicht mithalten zu können?
Hirsch: Wir werden durch diese Schritte nicht geschwächt. Die Umsätze der E-Book-Downloads sind homöopathisch und werden sich auch durch den Kindle nicht richtig steigern. Audible hat ein gutes Hörbuch-Konzept, wir halten mit unserer Kooperation mit Claudio dagegen und werden in Kürze ebenfalls Hörbücher zum Download anbieten – auch hier sind die bestehenden Branchenumsätze bislang noch nicht so hoch gewesen, als dass uns dies wehtäte. Wir haben uns außerdem mit Musikdownloads beschäftigt. Der Bereich ist aber nur dann mit Profit zu betreiben, wenn man pro Titel mehr als 1,20 Euro umsetzen kann. Apple kann mit iTunes diese Titel zum Download für 0,99 Cent anbieten, weil das Unternehmen eine Mischkalkulation durchführt und von Verbundwirkungen profitiert, indem es mit dem iPod auch die Hardware anbietet.
Wenn Ihnen der US-Investor Warren Buffett 100 Millionen Dollar für Erweiterungen von buch.de zur Verfügung stellen würde – was würden Sie mit dem Geld anfangen?
Hirsch: Ich würde mich nicht anders verhalten als heute – wir haben heute bereits eine ausreichende Liquidität, die wir nutzen können. Als börsennotiertes Unternehmen gehen wir jedoch vorsichtig mit dem uns anvertrauten Kapital um und überprüfen bei jeder Investition, ob sie die Kapitalkosten verdienen kann. Das hat Nachteile, schützt uns aber auch vor zu großen Risiken.
In der Schweiz ist die Preisbindung ausgehebelt worden, in Österreich steht sie auf der Kippe. Sie sind auf beiden Märkten aktiv. Sind Sie für den Tag X gerüstet, da die Preisbindung auch in Deutschland fallen könnte?
Hirsch: Es wäre naiv zu glauben, dass dies hierzulande nie passieren könnte – leider. Wir sind Verfechter der Preisbindung und sehen die Schattenseiten, besonders im Medienbereich: Unter dem Preisverfall bei Speichermedien leidet die gesamte Branche. Wir müssen heute dreimal so viele DVDs verkaufen, um wertmäßig mit der DVD dasselbe zu erwirtschaften wie vor drei Jahren. Das ist pure Geldvernichtung. Im schweizerischen Onlinebuchhandel gab es kurz nach dem Fall der Preisbindung bereits Preiskämpfe. Der Preis für den letzten Harry Potter ist innerhalb von kürzester Zeit noch vor Veröffentlichung bei den Wettbewerbern unter den Einstandspreis gerutscht. Der Preiskampf hat sich inzwischen jedoch etwas gelegt. Gleichwohl ist die Backlist in der Schweiz teurer geworden. Das ist für den Konsumenten, der in erster Linie aus den Charts kauft, die 20 bis 30 Prozent günstiger geworden sind, nicht sofort ersichtlich. Aber ich glaube nicht, dass dies dem Kunden längerfristig Spaß macht.
Sie haben den Potter auch verscherbelt.
Hirsch: Wir mussten mitziehen. Es wäre utopisch gewesen, den Preis zu halten, wir hätten Kunden verloren. Wir waren aber nicht die Preistreiber. Ansonsten erhöhen wir die Backlist-Preise nicht und legen weiterhin den von den Verlagen empfohlenen Preis an. Die Strategie zahlt sich aus: Obwohl wir uns am Preiswettbewerb nicht beteiligen, wachsen wir in der Schweiz zweistellig.
Im vergangenen Jahr sind Sie anfangs mit angehaltener Handbremse gewachsen.
Hirsch: Wir hatten im ersten Halbjahr 2007 eine Wachstumsdelle, die aber besonders mit Umstrukturierungen und Veränderungen im Online-Marketingbereich und im Suchmaschinenmarketing zu tun hatte. Die Probleme sind gelöst. Im zweiten Halbjahr haben wir umsatzmäßig eine gute Leistung erbracht – im vierten Quartal hatten wir ein Plus von 30 Prozent. Ertragsmäßig konnten wir nicht so dynamisch wachsen, weil vor allem die Marketingkosten höher waren als im Vorjahr. Zusätzlich hat uns auch der Preisverfall bei den DVDs und CDs belastet. Insgesamt sind wir sehr zufrieden: Wir wachsen aus eigener Kraft, gewinnen neue Kunden und haben genügend Substanz, um in Zukunftsthemen zu investieren.
Zuletzt etwa in Alexandria, Ihre Bücher-Community. Welche Zwischenbilanz ziehen Sie?
Hirsch: Bei Alexandria bin ich noch nicht zufrieden mit der Performance. Eigentlich wollten wir im letzten Jahr mehr Features und mehr communitygetriebene Aktionen erreichen, das haben wir durch den Kauf der beiden Firmen Alphamusic und Flexist im zweiten Halbjahr und die notwendigen Integrationsmaßnahmen aus Ressourcengründen nicht geschafft, holen es aber in diesem Jahr nach. Auch bei unserem Marktplatz für gebrauchte Bücher liegen wir im Zeitplan zurück.
Sind Communities nicht ein Hype-Thema? Auch Second Life konnte die Erwartungen nicht erfüllen.
Hirsch: Die Umsatzrelevanz unserer Second Life-Dependance ist nicht sonderlich ausgeprägt, dafür aber die Stöber- und Neugierphase bei den dortigen Nutzern. Für uns ist der Kontakt zu den Kunden dennoch wichtig, deshalb ist diese überschaubare Investition kein verlorenes Geld. Alexandria ist damit aber nicht zu vergleichen. In der Community profitieren wir von der Interaktion der Kunden untereinander und dem Dialog der Kunden mit uns.
Wohin geht die Reise mit buch.de?
Hirsch: Wir versuchen, weiterhin zweistellig zu wachsen, das wird aber sicher abhängig vom Land und von der Marke unterschiedlich möglich sein. Mit PBS und Elektronik betreten wir Neuland und müssen hier die Leistung unserer neuen Marken flexist.de, buero.de und escom.de noch stark verbessern. Dadurch erschließen wir neue Wachstumsfelder und sorgen für die Zeit vor, in der es vielleicht keine klassischen Speichermedien mehr gibt – im schlechtesten Fall gibt es den CD- und DVD-Bereich in vier bis sieben Jahren nicht mehr.
Die durchschnittliche Amtszeit deutscher Unternehmenslenker liegt bei rund sieben Jahren. Sie sind im neunten Jahr. Was kommt nach ihren bisherigen Engagements im Bereich Sprudel, Süßwaren und Bücher?
Hirsch: In allen drei Bereichen hatte ich die gleichen Kunden: Gerolsteiner, Hussel und jetzt buch.de haben jeweils sehr qualitätsbewusste Kunden. Deshalb war es nicht schwierig, mich umzustellen. Wenn es jemals etwas nach buch.de geben sollte, möchte ich am liebsten bei dieser Kundengruppe bleiben.
Die Fragen stellte Daniel Lenz
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