Das Thema Apps wirkt für viele Verlage wie ein rotes Tuch: Zu häufig wurden große Erwartungen enttäuscht. Was genau schief gelaufen ist und welche Möglichkeiten bisher ungenutzt blieben, erläutert Alexander Trommen, CEO und Gesellschafter der Appsfactory, im Interview. Er zeigt im Webinar-Video „Apps sind tot, es lebe der Chatbots!?“ gemeinsam mit Martina Steinröder erfolgreiche Strategien für den mobilen Markt auf.
Die Buchverlage haben mit Apps viel Geld verbrannt. Was ist schief gelaufen?
Dass Buchverlage mit Apps viel Geld verbrannt haben wage ich zu bestreiten. Nur wenige Verlage haben sechsstellige Summen in Apps investiert. Allerdings ist es unbestreitbar, dass nur sehr wenige Verlage mit Apps erfolgreich sind. Ursächlich dafür ist aus meiner Sicht dass viele Verlage die digitale Transformation als erledigt sehen wenn sie Buchinhalte in E-Books oder Apps konvertieren. Damit kann man kommerziell nur erfolgreich sein wenn man die Herstellungskosten einer Reihe extrem verschlankt so wie wir das gemeinsam mit GU getan haben. Eine App kostet dann minimal mehr als ein E-Book. Wirklich erfolgreiche Apps lösen sich vom linearen Charakter des Buches oder bieten einen ganz neuen Service für den Kunden. Im Kinderbereich ist es Verlagen, für die wir arbeiten, schon gelungen über 100.000 Stück einer App zu verkaufen. Beispiele für echte digitale Transformation mit Unterstützung von Apps sind zum Beispiel Skoobe, Scribd und die Amazon Kindle App.
Sollten sie die Finger von Apps lassen?
Solange Verlage nicht die Bedeutung der Erschließung neuer Geschäftsmodelle für Ihre Zukunftssicherheit erkennen, sollten Sie lieber die Finger davon lassen. Ich erinnere mich noch, dass ich vor Jahren zum Geschäftsführer eines Reiseführerverlags gesagt habe, dass man auf Tripadvisor als Substitut aufpassen sollte. Man hat mich auf die mangelhafte Qualität der Restaurantkritiken verwiesen, weil sie von Nutzern geschrieben sind anstatt von Redakteuren. 2016 hat Tripadvisor mit seiner App und seiner Webseite einen Umsatz von ca. 1,5 Mrd US-Dollar gemacht. Nicht mit Contentverkauf sondern der Vermittlung von Reisen. Heute lacht kein Reiseführerverlag mehr über Tripadvisor. Überträgt man das Geschäftsmodell von Tripadvisor auf andere Inhalte kommt man zu interessanten Fragen: Vielleicht steckt für einen Verlag, der eine Pferdezeitschrift herausgibt mehr Umsatzpotential in 5% bis 8% Vermittlungsprovisionen für Pferdedecken und sonstiges Zubehör als in den 60 bis 80 Euro Jahresabogebühr wenn man bedenkt, dass die monatlichen Ausgaben eines Pferdebesitzers zwischen 300 und 500 € liegen.
Webinar-Video: Apps sind tot, es lebe der Chatbot!?
Sind Apps ein Auslaufmodell? Sind Chatbots die besseren Apps? Welche Möglichkeiten bieten Bots und welche Probleme gibt es? Das von buchreport und Digital Publishing Report gemeinsam angebotene Webinar bringt Sie auf den aktuellen Stand bei Apps und Chatbots, zeigt Strategien für den mobilen Markt und gibt praktische Tipps für die Umsetzung. Hier mehr…
Lohnt sich die Investition in Chatbots für Verlage? Wenn ja: in welchen Bereichen?
Chatbots sind eine sehr spannende Technologie. Die dialogbasierte Nutzerführung wird nach meiner Ansicht Webseiten und Apps in zahlreichen Bereichen ersetzen sobald die Spracherkennung mehr als 99% Treffsicherheit erreicht, was circa 2020 passieren wird. Wie Apps sind Chatbots nur dann sinnvoll, wenn Sie einen echten Mehrwert für den Nutzer bieten. Den müssen Verlage individuell herausarbeiten. Sollten Verlage nicht in externe Konzeptberatung und die Analyse der Kundenbedürfnisse investieren, besteht für mich die Gefahr, dass sich die gleichen Fehler wie bei dem Versuch, mit Apps Geld zu verdienen, wiederholen und sich somit schnell Enttäuschung breitmachen wird.
Welche Trends im Mobile-Markt sollten Verlage im Blick behalten?
Die Mediennutzung verschiebt sich eindeutig in die digitalen Medien. Innerhalb der digitalen Mediennutzung beträgt die mobile Nutzung bereits über 50% der Nutzungszeit. In den USA beträgt die tägliche Nutzungszeit von Apps und Browser bereits zwei Stunden und 36 Minuten pro Tag! Über 80% dieser Zeit verbringen die Nutzer in Apps. Wer nicht dort ist, wo die Nutzer sind, hat mittelfristig auch keinen Absatzweg für seinen Inhalte mehr. Die Umsatzprognose in den verschiedenen Appstores weltweit beläuft sich für 2017 auf 80 Mrd Euro. Wir sehen enorme Marktchancen für Virtual Reality Anwendungen im Bereich der Bildung. Leider sind auch hier die Bildungsverlage sehr zögerlich und überlassen Google weitestgehend das Feld, Schulen (vorerst in den USA) mit spannenden Virtual Reality Inhalten für den Erdkunde und Biologieunterreicht auszustatten.
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