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Wo bleibt das Aufregende, Herr Janetzki?

Es wird seine letzte Buchmesse als Leiter des Literarischen Colloquium Berlin sein, zum Jahresende verlässt Ulrich Janetzki das LCB. Im Interview beschreibt der Germanist, warum es in der deutschen Literatur inzwischen wenig Neues und kaum Experimente gibt. Und blickt voraus auf ein sein erstes Projekt nach dem LCB.
Ulrich Janetzki ist Literaturwissenschaftler und gilt als einer der größten Förderer der zeitgenössischen deutschen Literatur. Nach seiner Lehre zum Großhandelskaufmann studierte er Germanistik und Philosophie an der TU Berlin. Seit 1986 leitet der 64-Jährige das Literarische Colloquium Berlin (LCB). Zum Jahreswechsel übergibt Janetzki die Geschäftsleitung an Florian Höllerer, Sohn des LCB-Gründers Walter Höllerer und aktuell Leiter des Stuttgarter Literaturhauses.
Kleine Bestandsaufnahme. Blicken wir zurück auf den Boom der deutschen Literatur in den frühen 2000er-Jahren …
Damals legte Felicitas Hoppe mit „Picknick der Friseure“ einen der ersten grundlegenden großen Erzählungsbände vor, dann kam Judith Hermann mit „Sommerhaus, später“, außerdem Julia Frank und Zoë Jenny, die plötzlich eine neue Leserschicht erreichten: Junge Frauen, die sich in den Geschichten wiederfanden. So entstand auch bei den Verlagen ein Wandel, die vorher wie verrückt Lizenzen gekauft und die angeblich so verkopfte, langweilige deutsche Literatur vernachlässigt hatten. Die Verlage wurden mutiger.
2005 sagten Sie dann, es gebe wenig Aufregendes in der Literatur.
Das ist heute genauso. Es gibt noch die alten und etablierten Formen, aber kaum Neues.
Und kaum Debatten?
Weil es in den Medien kaum noch Platz dafür gibt. Im Rundfunk wurden früher literarische Stoffe gesucht, um daraus fantastische Hörspiele zu machen. Diese Form der Vermarktung ist völlig weggefallen. Gleiches gilt für die Printmedien: Essays oder Kurzgeschichten von Autoren sind Mangelware.
Sie werben im Ausland für eine Literatur, deren Qualität Sie anzweifeln?
An der Qualität zweifle ich nicht grundsätzlich. Besonders in Deutschland schauen wir immer nach dem Oberen und Absoluten, nach der „Weltliteratur“. Die Bücher heute sind alle gut geschrieben, aber es ist nichts Neues dabei, es gibt kaum Experimente.
Sie haben 2001 gesagt, das LCB sei eine Servicestation für Literatur. Hat sich an diesem Profil in den folgenden zwölf Jahren etwas verändert?
Nein, wir haben das Profil noch geschärft und sind ein zielgruppenorientierter Dienstleister geworden. Das ist notwendig geworden, weil viele kleine Institutionen in diesem Sektor seit 2001 weggefallen sind. Andererseits wurden immer mehr Stiftungen gegründet, die kulturellen Zwecken und somit auch der Literatur verschrieben sind, bis hin zu großen Stiftungen, die international orientiert sind. 
Es gibt heute sehr viele Angebote für Schriftsteller, Schreibschulen, Literaturhäuser. Warum noch ein LCB?
Diese Angebote gab es früher nur bei uns. Autoren- und Übersetzer-Werkstätten, Lesungen, all das fing bei uns an und wir vereinen heute alles das, was andere Institutionen einzeln machen. Wir sind außerdem die einzige Institution mit einem großen Gästehaus für Autoren, das auch landschaftlich konkurrenzlos ist. Wir setzen aber auch an einem anderen Punkt an: Der Literaturmarkt wurde so beschleunigt, dass sich ein Hardcover maximal vier Monate in den Regalen hält und der Autor und sein Verlag nur so lange die Möglichkeit hat, für Trommelwirbel zu sorgen. Viele Titel werden gar nicht mehr gelistet, weil 40% der verkauften Titel über den Tisch von Großfilialisten oder die Internetportale abfließen.
Also müssen Sie mittrommeln?
Ja, es braucht Institutionen, die einen längeren Atem haben. Wir haben beispielsweise 2006 das Portal „Literaturport“ gegründet, um Autoren eine Plattform zu geben. Dort sind über 1400 selbst eingetragene bio‧bibliografische Angaben von Autoren zu finden. Wir bekamen, viel zu früh, den Grimme-Preis dafür. Dann wurde die Finanzierung gestoppt, jetzt müssen wir die Seite aus unseren Einnahmen finanzieren. Das ist eine Schande. Wir trommeln nicht nur national, sondern setzen Qualitätsübersetzungen deutscher Literatur im Ausland in Gang: Es gibt Projekte in jeweils zwei Ländern im Jahr, in denen die deutsche Literatur nach unserem Empfinden unterrepräsentiert ist. Da fahren wir mit sechs Autoren hin, die dort nicht verlegt sind, und stellen sie Verlegern und der Öffentlichkeit vor. Zwei von drei Autoren können wir vermitteln.
„Ach, zum Teufel mit den Bilanzen!“ hieß eine Veranstaltung für Verlage bei Ihnen im Juli. Wie sieht es denn mit Ihren Bilanzen aus? Übergeben Sie das LCB ihrem Nachfolger Florian Höllerer in geordneten, in guten Verhältnissen?
So etwas übergibt man nie in geordneten Verhältnissen. Was ich ganz offen sagen will: Wir sind ziemlich am Ende, was die finanzielle Ausstattung angeht. Ein Projekt wie lesungen.net ist bundesweit oder sogar international von Interesse, weil es zeigt, wie eine Lesung in Deutschland aussieht. Aber die dafür nötigen Kleinbeträge sind nicht da. Sie sehen: Ich jammere und knausere, und so einen verknauserten Laden übergebe ich meinem Nachfolger.
Inzwischen sind zwei Drittel Ihres Etats Fremdmittel, die Sie einwerben müssen?
Wir bekommen von der Stadt Berlin Geld und 60% sind Fremdmittel, Tendenz steigend. Aber wir sind gefragt. Jedes Gastland der Frankfurter Buchmesse braucht Kontakte in Deutschland, um die wir uns bemühen.
Wird das Ihre letzte Buchmesse in diesem Jahr?
Als Geschäftsleiter wird es meine letzte Messe. Aber ich bleibe im Geschäft, ich werde mich selbstständig machen.
Erste Ideen?
Jeder Autor hat ein vergriffenes Buch. Ich möchte 50 Digitalrecorder anschaffen und an Autoren verteilen, die, nach einer Schulung, ihr vergriffenes Buch selbst einlesen. Das Ergebnis wird leicht bearbeitet und dann ins Netz gestellt. Das ist ein digitales, literarisch-historisches Gedächtnis.
Die Fragen stellte Daniel Lenz, aus: buchreport.magazin 8/2013

Foto: Tobias Bohm

Kommentare

2 Kommentare zu "Wo bleibt das Aufregende, Herr Janetzki?"

  1. … Autoren lesen auf einem Digitalrecorder ihre Werke ein – ich fass es nicht!!

    Von dort ist es nicht mehr weit zur Handniederschrift. Flugvögel müssen Angst um ihre Federn haben. Lasertoner wird mit Wasser verdünnt, um Tinte herzustellen. Tische werden zu Pulten.

    Man muss wohl 64 Jahre alt sein und Literaturwissenschaftler, um auf solch eine Idee zu kommen …

    • Ich glaube sie sollten Ihren eigenen Kommentar nochmals lesen. Ich hebe mal hervor: DIGITALrecorder. Das meint ganz allgemein ein Gerät das in der Lage ist Audiodateien aufzunehmen. Ob das ein Handy oder ein spezieller Rekorder ist, bleibt im Interview offen und spielt auch keine Rolle. Schauen Sie doch mal auf das im Interview erwähnte Lesungen.net.

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