2011 ist vorbei. Es war noch nicht das Jahr des E-Books. Aber es war das Jahr des Jammerns über das E-Book. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie das noch werden wird.
Der Jammer-Reflex war Ende 2011 wunderbar zubeobachten. Amazon verkündet, dass der Kindle der Renner im Weihnachtsgeschäft gewesen sei, und der Geschäftsführer des Börsenvereins für den deutschen Buchhandel ruft die Kolleginnen und Kollegen im Verband nicht dazu auf, den Fortschritt mit Schwung und Elan aufzugreifen und sich den Veränderungen zu stellen, sondern: er jammert und ruft erneut Mama Merkel um Hilfe. Auf dieser Ebene nennt man das Jammern dann »Lobbyarbeit«.
Kodak steht vor der Pleite, ist zu lesen. Ein »Traditionsunternehmen«, ein »Weltkonzern« bis in die 1990er, dem Paul Simon musikalisch ein Denkmal setzte.
Aus und vorbei. Überrollt vom Fortschritt. Alle knipsen nur noch digital und schauen sich Bilder auf Handys und Tablets an. Wer braucht da noch Farbfilme und Entwicklungslabors. Das Blöde für Kodak: Es gibt keinen Sündenbock. Es kam einfach so, wie einst die Pferdekutsche vom Auto abgelöst wurde.
Da hat es der Buchhandel beim Jammern einfacher, denn nicht der Fortschritt bedeutet den Untergang, sondern »Piraten«, »Raubkopien« und die »Gratismentalität im Internet«. Als Opfer jammert es sich erfolgversprechender.
Mindestens genauso nervig wie das Jammern »des Buchhandels« ist das Jammern und Feixen in der zweiten Reihe.
»Geht sterben« und »die kapieren einfach nicht, dass ihre E-Books zu teuer sind«, sind Standardphrasen bei Facebook und Google+. Bildschirmseitenlang wird diskutiert, ob und wie der Buchhandel zu retten sei.
Man kommt sich in den sozialen Netzwerken oft vor wie im überfüllten Bus zum Feierabend, wo die kleinen bedeutungslosen Angestellten anderen kleinen bedeutungslosen Angestellten berichten, dass ihr Chef ein ahnungsloser Trottel sei und man selbst alles viel besser machen würde, wenn man nur die Möglichkeit dazu hätte. Der jammernde Singsang der Besserwisser. Und am besten der, der am lautesten jammert. Omnipräsenz statt Kompetenz.
Es erstaunt, dass man oft die Unterstellung heraushört, dass die Buchbranche etwas mit Kultur zu tun habe. Dass es ein Verlust wäre, wenn es keine Papierbücher mehr gäbe oder keine Verlage mehr, weil geldgeile amerikanische Konzerne alles platt gemacht haben.
Und dann betritt man im wirklichen Leben die Filiale einer Buchhandelskette, wird im Eingangsbereich vom Ramsch erschlagen, als herrsche dort permanent Inventur, und sieht in den Bestsellerregalen Vampirromane, die den Leserinnen ein wahrlich gruseliges konservatives Rollenbild vermitteln, oder Unterhaltungsromane, die auf die Verfilmung im ZDF-Vorabendprogramm warten. Ist das die Buchkultur, die es zu retten gilt?
Da gibt es Menschen, die fordern allen Ernstes eine Art Schutzwall für die deutsche Buchkultur, so wie der Volksempfänger nicht für den Empfang ausländischer Sender geeignet war oder der DVD-Regionalcode das Abspielen von Silberscheiben aus fernen Enden der Welt verhindert – wenngleich auch aus ganz anderen Gründen.
Das Schlimme ist: Selbst wenn einer mal nicht jammert, wie KiWi-Verleger Helge Malchow, wird ebenfalls lang und breit darüber diskutiert, warum es für ihn besser wäre, wenn er jammern würde. Es gibt kein Entrinnen aus dem Jammertal.
Da bin ich froh, dass es Menschen wie Michael Krüger gibt. Der Mann ist wahrlich kein Freund des elektronischen Buches. Die Zeiten sind hart, bekennt er. Und was macht er? Er gründet einen neuen Verlag, dessen Programmleiterin wiederum so viel versprechende Sätze sagt wie »Ich hatte mal die etwas verwegene Idee, den „Notizheften“ Henning Ritters (…) eine vollständige digitale Fassung an die Seite zu stellen. Die könnte man dann im Volltext durchsuchen und wissenschaftlich ganz anders erschließen. An so etwas könnte man sich auch als Publikumsverlag einmal heranwagen.« (Ein Hinweis für die Kommentarschreiber: Bitte jetzt nicht 20 Beispiele auflisten, von Verlagen, die das schon längst machen. Danke.)
Viel wird kommen, viel wird gehen, viel wird bleiben, viel wird sich ändern. Man nennt es Fortschritt.
Und ich höre besser auf, über das Jammern zu jammern. Mein Bus wartet.
Wolfgang Tischer, literaturcafe.de
@christa: Ich finde, wenn man behauptet nicht auf Jammern zu stehen, sollte man es auch lassen.
@Gustav: Das Gleichsetzen von ‚Buchindustrie‘ mit ‚Verlagen‘ ist wohl auch nicht haltbar.
An die ganzen Kritiker hier, könnt oder wollt ihr nicht verstehen, dass eBooks ein anderes Medium sind als gedruckte Bücher? Bei der sprachlichen Qualität der Kommentare glaube ich Letzteres ist hier angesagt. Ihr wollt das einfach nicht kapieren.
eBooks sind nun mal nicht physisch, darum sind natürlich einfach dem Medium geschuldet manche Mitspieler neu/verstärkt wichtig (Bsp. Software/IT-Branche) und andere Mitspieler verlieren an Bedeutung (Bsp. Druckbranche, Transportbranche)
Ob das als gut oder schlecht empfunden wird, ist doch rein subjektiv.
Objektiv ist das nur einfach so. Es braucht für eBooks keine Druckerei, keine LKWs, keine Zwischenlager und eigendlich keine Großhändler und keine physische Buchhandlung um die Ecke.
Diese ganzen Player gehören aber auch zur Buchindustrie und die haben gewaltig Angst um ihre Pfründe. Das höre ich hauptsächlich aus deren Kommentaren zu dem Thema heraus.
Was die bösen Raubkopierer angeht, die hat es doch schon immer gegeben. Und wie schon immer wird sich bei diesem Phänomen ein Gleichgewicht einstellen bedingt durch die Faktoren Qualität und Aufwand.
Aufwand beinhaltet dabei Preis, Verfügbarkeit, Komplexität des Erwerbs und Risiko bzgl. Illegalität.
Qualität beinhaltet die Aufbereitung selbst und die Grenzen der Nutzbarkeit.
Welches Angebot jetzt atraktiver ist, bestimmt dann allerdings der Endkunde. Der Anbieter hat dafür die Möglichkeit etwas an dem einen oder anderen Faktor zu machen.
Auch hier wieder, ob das gut oder schlecht ist, ist rein subjektiv.
Und wieder, objektiv gesehen ist das einfach so. Die Frage ist, wie geht man jeweils damit um.
Was die Verlage angeht, so sehe ich zum Einen den Punkt, dass diese in den letzten Jahrzehnten Kompetenzen durch Outsourcing weggegeben haben, die sie nun beim eBook interen bräuchten. Die liegen aber ggfs. nun in einem Bereich der für das neue Medium eigentlich irrelevant ist (Bsp. Layouting/Typographie machen heute doch eher die Drucker).
Zum Anderen müsste man sich neue Kompetenzen aneignen, weil der bestehende Vertrieb auf physische Produkte ausgelegt ist. Man bräuchte Knowhow für einen digitalen Endkundenvertrieb.
Ein paar ‚Kompetenzsplitter‘ sind da noch auf dem bisherigen Vertriebsweg verstreut.
So kennen Buchhändler zum Beispiel tatsächlich so etwas wie ‚Endkunden‘ auch Leser genannt.
Schließlich müsste manches von der Pike auf neu gelernt werden. So etwas wie: eine Vertriebsplattform für meine digitalen Güter aufzubauen und zu bertreiben mit allem drum und dran.
Wenn ein Verlag allerdings hinginge und seine digitalen Produkte exklusiv über seine eigene Plattform vertriebe müsste er durchaus einiges investieren. Dafür könnte er sich zum einen den ganzen Rattenschwanz von Zwischen- und Einzelhandel sparen. Er würde, glaube ich, mittelfristig kostengünstiger arbeiten und bräuchte weder Apple noch Amazon oder so zu fürchten. Die wären einfach draußen aus seinem Geschäft.
Denn das ist auch ein Effekt des Internets. Dem Kunden ist es völlig egal wie der Shop heißt in dem er einkauft. Ob das eBook von Amazon, Thalia, oder von dem Verlag selbst kommt, ist mir als Kunde völlig Lunte, Hauptsache es funktioniert und der Preis ist fair. Bei einem Verlag könnte ich mir sogar vorstellen einen Vorteil zu haben, weil ich gefühlt ‚dichter‘ dran bin.
Wenn ein Verlag das konsequent machen würde, könnte ich mir vorstellen, dass sich sein Geschäftsfeld zwar stark verändern würde, dieses aber durchaus lukrativ und viel weniger angreifbar von aussen wäre.
Kann mir mal jemand erklären, warum die Buchpreisbindung eine „Lizenz zum Geldmanchen“ ist und welche Pfründe Verlage schwinden sehen? Das erinnert mich doch fatal an einen Blogger der meinte, Google würde durch das Einscannen von Büchern endlich die Macht der Konzerne brechen. So als sei Google der Robin Hood der Leser, der aus einem Hinterhof heraus die Macht von Firmen „bricht“, die in der Mehrzahl Klein – und Mittelbetriebe sind (Konzernmacht brechen hört sich natürlich besser an), deren Umsätze Google lediglich ein mitleidiges Lächeln entlockt.
Lieber Wolfgang Tischer,
da ich nicht auf Jammern stehe:
1. Würden Sie bitte die 60 % Raubkopien bei den E-Books persönlich unterbinden?
2. Betreiben Sie hier nicht Lobbyarbeit für die Softwarebranche?
3. Können Sie der Leserschaft bitte erklären, welchem (zu erwarteneden) Sieger-Lager Sie sich eher zugeneigt fühlen: Dem Digitalsozialismus (Grüne, Piraten) oder dem Oligopol der IT-Konzerne?
4. Ist die Atombombe nicht auch ein Fortschritt?
5. Wissen Sie, dass die aktuelle Form der Internet-/Computernutzung das Gehirn umstrukturiert (ich gehe einmal davon aus, dass Sie den Studien aus dem Internet- und Softwareland Nr. 1, Südkorea, Glauben schenken.)?
6. Haben Sie sich schon mal mit den philosophischen Grundlagen des Dadaismus ernsthaft beschäftigt? Tun Sie das bitte. Lassen Sie den Computer und andere Devices 14 Tage aus. Dann reden wir noch einmal.
Bravo, endlich mal jemand der Klartext redet. Vergessen wurde in der Auflistung nur der „böse Kunde“(weil lästig und ignorant) dem man sich ja seit Jahrzehnten liebevoll und vor allem aufopferungsvoll erzieherisch widmet und der trotzdem immer noch nicht das kauft was gut für ihn ist. Im Gegenteil, in den letzten Jahren hat dieses renitente Geschöpf auch noch eine Möglichkeit gefunden seine Meinung öffentlich zu machen und sich mit anderen auszutauschen. Das geht soweit das sogar die Lizenz zum Geldmachen, pardon wollte sagen die Buchpreisbindung in Frage gestellt wird… Wenn diese bendenkliche Entwicklung so weiter geht wird der deutsche Leser ja wohl bald auch so ein Kulturbanause wie es die Leser anderer Länder offensichtlich schon sind. Die Kommentare der Buchindustrie dürfen darum nicht als Jammern um das Schwinden der eigenen Pfründe verstanden werden, sondern nur als aufrichtige Besorgnis um das kulturelle Defizit in Deutschland. Sich mit Kundenwünschen zu beschäftigen und aus diesem Grund neue Geschäftsmodelle einzuführen, das scheint in Deutschland nicht nur in der Buchbranche schwierig zu sein.
Großartig.
„Für die durch Internet und neue Medien geschundenen Buchmenschen gibt es die Mainzer Minipressen-Messe. Sie ist wie eine Heil- und Pflegeanstalt: Sie heilt das pessimistische Denken vom Untergang der Buchkultur und sie pflegt, nicht zuletzt durch die Vergabe des V.O.Stomps-Preises (der Landeshauptstadt Mainz), die Liebe zu den besonders schönen Büchern.“
Riewert Quedens Tode (Buchantiquar und Verleger, Berlin) in seiner Lobrede auf Hendrik Liersch (Corvinus Presse, Berlin) zur Vergabe des 16. V.O. Stomps-Preises der Stadt Mainz 2009.
Wenn die eigene Existenz bedroht ist, ist das auch alles andere als lustig. Da kann man als Unbeteiligter verhältnismäßig leicht daherreden…
Hmm, als kleiner bedeutungsloser Angestellter unter Besserwisserverdacht fällt es mir schwer, etwas substantielles zum Thema beizutragen. Soll ich es trotzdem mal versuchen?