Weltbild und Amazon flankieren ihre günstigen Lesegeräte mit gigantischen Werbekampagnen. Aber wird Weihnachten tatsächlich ein Fest der digitalen Lesegeräte? Oder verhageln die billigen Reader die Feiertage?
Am vergangenen Samstag ging ich an einer Weltbild-Filiale vorbei. Alle Regale waren leer! Mitten im Raum stand ein Pappaufsteller mit Werbung für den hauseigenen »eBook Reader«, den Weltbild für schlappe 60 Euro unters Volk wirft.
Die gleiche Werbung hielt ich bereits Stunden zuvor in den Händen, als ich die taz aus dem Briefkasten geholt hatte und die Jokers-Werbebeilage das Gerät auf der Titelseite anpries. Und natürlich steht es in den Hugendubel-Filialen, denn es gehört ja alles zum selben Konzern.
War also bereits die erste Weltbild-Filiale ein Opfer des eigenen Digitalisierungsfeldzugs geworden? Ein Beleg dafür, dass das E-Book den stationären Handel künftig überflüssig macht?
Natürlich nicht.
Zwar gibt das von mir sofort getwitterte Motiv ein wunderbares Symbolbild ab, aber die Weltbild-Filiale wurde lediglich umgebaut.
Doch auch der günstige 99-Euro-Kindle von Amazon weckt Begierden. »Ich kaufe ja sowieso bei Amazon und lese viel in der Mittagspause«, sagt mir die Dame aus der Buchhaltung eines Kunden, »und da überlege ich, mir das Ding selbst zu Weihnachten zu schenken.«
Wird dieses Weihnachten ein Fest der digitalen Lesegeräte? Der erhoffte oder befürchtete Durchbruch des E-Books?
Speziell die werbale Omnipräsenz des Weltbild/Hugendubel-Gerätes ist enorm. Dass sie die Masse erreicht, merke ich immer dann, wenn mich Menschen darauf ansprechen, die sonst nur am Rande mitbekommen, dass ich so Zeug mit Internet und Büchern mache.
Doch dann lese ich in der aktuellen Ausgabe der Computerzeitschrift c’t einen Test der E-Book-Lesegeräte. Demnach steht das Billiggerät aus dem Hause Hugendubel nicht nur ganz unten, was den Preis betrifft, sondern leider auch beim Testergebnis.
Nur etwas über drei Stunden Akkuleistung konnten die Tester bei voller Helligkeit messen. Und die wiederum ist notwendig, da das Gerät nicht über ein E-Ink-Display verfügt, mit dem man auch im Sonnenlicht gut lesen kann. Dieses Display ist nicht zum Lesen am Strand konzipiert.
Wer also hofft, mit leichtem Lesegepäck nach dem Weihnachtsfest auf die Kanaren zu fliegen, um dort den Jahreswechsel unter der warmen und hellen Sonne zu erleben, der oder die wird fluchen. Und spätestens am zweiten Tag wird man zum guten alten Papierbuch zurückkehren und den Freunden daheim erzählen, dass dieser neumodische elektronische Lesekram doch nicht das sei, was die Werbung versprochen hat.
Oder kann der Nachbar von der Liege nebenan das ganze Gejammer gar nicht verstehen, weil er einen besseren Reader mit E-Ink-Display hat? Wird der Billig-Reader dann schnell durch ein besseres Gerät mit vernünftigem Lesedisplay ersetzt?
Beides ist denkbar.
Die gigantische Werbekampagne könnte einerseits das Gegenteil bewirken und dem digitalen Lesen einen Bärendienst erweisen, weil der Laie die Unterschiede nicht beurteilen kann und nur auf den vermeintlich günstigen Preis schaut.
Oder aber das Billiggerät lässt zumindest ein paar der Vorteile des papierlosen Lesens erkennen, und es wird rasch durch einen Reader ausgetauscht, der auch einen dreiwöchigen Urlaub mit nur einer Akkuladung locker durchhält.
Man darf gespannt sein, was man nach dem Fest so hören wird.
Ich freue mich schon jetzt auf die Zeit nach Weihnachten.
Wolfgang Tischer, literaturcafe.de
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