Der Strukturwandel hat viele Facetten und ist vor allem technikgetrieben. In der Wissenschaftskommunikation und der Fachinformation bereits weit fortgeschritten ist die Digitalisierung der Buchbranche auch im populären Markt angekommen. Sie hinterlässt mit dem E-Book-Format erste Spuren im Markt und womöglich noch markantere im Bewusstsein als Zeichen eines Medienwandels.
Die Entwicklung der Branche geht im Grunde in zwei gegensätzliche Richtungen, wie die Münchner Buchwissenschaftlerin Christine Haug herausstreicht: Einerseits der fortschreitende Konzentrationsprozess, andererseits die expansive Entwicklung neuer Medien. Die löst klassische medientypologische Grenzen ebenso auf wie alle Routinen der Buchproduktion und Vermarktung.
Das sind spannende (und kritische) Zeiten nicht nur für die Branchenunternehmen und ihre Mitarbeiter. Auch die einschlägigen Hochschulinstitute und Studiengänge, die das Buch im Schild führen, beackern Themenfelder, die weniger Gewissheiten als in früheren Zeiten enthalten. Wie nie zuvor besteht die Chance, sich als Denkfabrik zu positionieren, Drittmittel aus der Industrie einzuwerben und in Projekten mit Branchenunternehmen Möglichkeiten auszuloten. Die zweite große Herausforderung ist die Lehre. So wie in den Ausbildungsberufen der Buchbranche viel Diskussionsbedarf besteht, ob die Berufsbilder noch zutreffend und für den umworbenen Nachwuchs noch attraktiv sind, so stellt sich auch für die Hochschulausbildung die Curriculum-Frage, welche Inhalte am besten auf die Branche im Umbruch vorbereiten.
Verschiedene Ansätze zum Thema Buch
Es gibt in Deutschland sieben explizit buchorientierte Studiengänge mit sehr unterschiedlicher Ausrichtung und Anbindung –von Medientechnik über Kommunikationswissenschaft bis Germanistik:
- Buchhandel/Verlagswirtschaft an der HTWK Leipzig
- Buch- und Medienproduktion (vormals Verlagsherstellung) an der HTWK Leipzig
- Buchwissenschaft und Buchwirtschaft an der Universität Leipzig
- Buchwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg
- Buchwissenschaft an der Uni München
- Buchwissenschaft an der Uni Mainz
- Mediapublishing an der Hochschule der Medien in Stuttgart.
In den folgenden Tagen beantworten die Leiter der Studiengänge buchreport-Fragen nach den aktuellen Herausforderungen der Branche und den Antworten, die in den Hochschulen gegeben werden. Den Anfang macht Prof. Dr. Michael Reiche von der HTWK Leipzig:
Die größten Herausforderungen für die Branche?
Aktuell sehen wir die größte Herausforderung in der Umstellung der Workflows in den Verlagen auf mehrkanaliges Publizieren. Die papierbasierte Publikation wird natürlich auch in der Zukunft eine herausragende Rolle spielen, aber nicht mehr die Hauptrolle. Grundsätzlich geht es darum, in der Herstellung der Daten möglichst lange medienneutral zu bleiben, um möglichst viele Ausgabekanäle und damit möglichst viele Zielgruppen zu bedienen. Dabei müssen die Workflows so konzipiert sein, dass die Verlage möglichst schnell in der Lage sind, auf neue Trends und Technologien zu reagieren. Wir haben ja gesehen, wie E-Book oder Pad uns quasi überfallartig gefordert haben und es ist vorauszusehen, dass die Rezeptionsgeräte in der nächsten Zeit noch ganz andere Formen annehmen werden.
Mit welchen Ansätzen begleiten Sie die Entwicklung?
Ein Ziel unseres Studienkonzeptes ist die Praxisnähe, gemäß der Devise: Vom Kopf in die Hand. Dabei geht es zunächst ganz klassisch um die Grundlagen der Herstellung von Printprodukten, aber zunehmend verlagert sich die Arbeit an den Rechner, um Daten, z.B. durch Verwendung von XML-Technologien, medienneutral aufzubereiten und dann anhand der medienneutralen Daten die Formatierungen für die verschiedenen Ausgabekanäle vorzunehmen. Eine große Herausforderung ist dabei, Gestaltungskompetenz und Herstellungskompetenz bei den Herstellern zu vereinigen.
Wie schlägt sich das im Lehrangebot nieder?
Mit dem Bachelorstudiengang Buch- und Medienproduktion, der in diesem Jahr die ersten Absolventen in die Verlage entlässt, wurde ein von Grund auf neu gestalteter Studiengang geschaffen, der den Anspruch auf ein breit gefächertes Angebot an grundlegendem und aktuellem Wissen für die Buch- und Medienproduktion in der Branche erhebt. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Ansprüche des modernen Verlags gelegt, wie die Arbeit mit XML und dem Workflow-Management. Das Curriculum ist maßgeblich unter Beratung einer Industriekommission entstanden, in der hochrangige Vertreter der größten deutschen Verlage vertreten sind. Unsere Studieninhalte basieren damit zum großen Teil auf den Ideen und Intentionen, die aus den Verlagen gekommen sind, und sind damit eng am Bedarf der Branche ausgerichtet. Es wird auch zukünftig Treffen mit der Kommission geben, um die neuen Herausforderungen zu besprechen und diese in das Curriculum einfließen zu lassen.
Alle Artikel der Serie:
- Studiengang Buch- und Medienproduktion der HTWK Leipzig
- Studiengänge Buchwissenschaft an der Ludwig-Universität München
- Studienganz Buch- und Medienproduktion an der HTWK Leipzig
- Buchwissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität
- Buchwissenschaft und Buchwirtschaft an der Universität Leipzig
- Buchwissenschaft an der Uni Mainz
- Mediapublishing an der Hochschule der Medien in Stuttgart
Aus: buchreport.magazin 5/2011
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