© Jörg Plath
Ich arbeite in vielen Zimmern unseres Hauses, manchmal auch in der Scheune. Unser Haus war früher eine Milchfarm. Unten in der Scheune stand der Traktor, oben lagerte man wohl Heu. Jetzt steht unten ziemlich viel Zeug herum, darunter Stapel von Büchern, die ich für meine Recherchen brauchte und dann dort abgestellt habe. Aber das Obergeschoss der Scheune ist vollkommen leer. Es ist ein gewaltiger Raum, weit, aber privat wirkend, beinahe wie eine Kathedrale. Ich habe mir zwei, drei Stühle und einen Tisch hineingestellt, als ich an „Der Anthologist“ schrieb, der Geschichte von Paul Chowder, der eine Gedicht-Anthologie herausgeben soll, aber mit dem Vorwort einfach nicht fertig wird, weshalb ihn schon seine Freundin verlassen hat.
Der Raum eignet sich gut für Poesie, weil er ein wenig Echo hat. Die Gedichte werden dann lebendig. Ich konnte sie da oben richtig laut herausbrüllen, ohne meine Frau Margaret Brentano in ihrem Atelier nebenan zu stören. Und ich konnte singen, so laut und wann immer ich wollte.
© Jörg Plath
ist Romancier und Essayist und lebt in einem denkmalgeschützten Haus im US-Bundesstaat Maine. Aufgewachsen in Rochester (New York) studierte er zunächst Musik an der dortigen Eastman School of Music, danach englische Literaturwissenschaft am Haverford College.
- 1991 veröffentlichte er den Essay „U and I: A True Story“, eine Hommage an sein literarisches Vorbild John Updike. Weitere Essays erschienen 1996 unter dem Titel „The Size of Thoughts“ und „Essays and Other Lumber“. Rowohlt veröffentlichte 1998 beide Titel zusammengefasst in einem Band.
- 1992 erschien sein Roman „Vox“, in dem er in einem langen Dialog den Telefonsex zwischen einem Mann und einer Frau schildert. In der Lewinsky-Affäre spielte das Buch eine Rolle, weil Lewinsky es angeblich Bill Clinton geschenkt hatte.
- Große Beachtung fand sein 2001 erschienenes Sachbuch „Double Fold“ (deutsch: „Der Eckenknick“), eine Streitschrift gegen das Vernichten von Originalen mikroverfilmter Bestände durch Bibliotheken in den USA.
Weitere Artikel aus der „Schreibtische“-Reihe:
- Nicholas Sparks: Ein Kommen und Gehen
- Nico Bleutge: Beim Feilschen gewonnen
- Axel Hacke: Siege und Niederlagen
- Kerstin Gier: Schwitzen unterm Dach
- Elke Heidenreich: „Der glücklichste Ort der Welt“
- Jussi Adler-Olsen : „Ohne Musik, kein Jussi Adler-Olsen“
- Arne Dahl: „Keine Grenze zwischen Schreiben und Leben“
- Thorsten Havener: „Ein Destillat aus Notizen“
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