Steuern das weltweite Kobo-Geschäft: Takahito Aiki (li.), seit Anfang des Jahres CEO, und Michael Tamblyn, President und Chief Content Officer bei Kobo.
Hierzulande genießt Kobo zwar große Sympathien, ist aber mangels stationärem Partner im Buchhandel ein underdog. Und dennoch zeigen sich Inhaltechef Michael Tamblyn und CEO Takahito Aiki zufrieden mit der Geschäftsentwicklung. Im Interview mit buchreport.de äußern sich die Kobo-Chefs zur Abkehr vom Tablet-Hardware-Geschäft, zu den Problemen von Social-Reading und den Perspektiven von Abo-Modellen
Am Rande des Interviews erklärte Aiki, dass Kobo in Deutschland mehr als 50% Wachstum pro Jahr erziele – ohne sich festlegen zu wollen, ob sich das auf den Umsatz oder Absatz bezieht. „Grundsätzlich ist unser Kerngeschäft weiterhin sehr, sehr erfolgreich“, so Aiki.
Die größte Innovation bei E-Readern in diesem Jahr ist der Schutz vor Wasser. Was soll das?
Michael Tamblyn: Wir haben sehr viel Produktforschung betrieben und uns dabei die Frage gestellt, was die Leute davon abhält, sich einen Reader zu kaufen. Ein Punkt, der immer wieder von den Befragten angesprochen wurde, war, dass sie an Orten lesen, an die sie ihr Gerät nur sehr ungern mitnehmen: in die Badewanne, am Strand oder Pool. Eine der ersten Fragen, die ich mir mit Taka stellen musste, alser zu Kobo kam, war also, ob dieses Segment groß genug ist, um in ein passendes Gerät zu investieren. Abgesehen von der Wasserdichte war es ja auch eine Entscheidung für ein Premiumprodukt und gegen ein günstiges, ein „low price“-Produkt.
Eine Strategie, die auch Amazon mit dem „Kindle Voyage“ und die Tolino-Allianz verfolgen.
Tamblyn: Wir waren vor eineinhalb Jahren mit dem Kobo Aura HD die ersten, die gezeigt haben, dass dieser Markt funktioniert. Wir haben als erste einen teureren, besser ausgestatteten Reader herausgebracht, anstatt zu versuchen, den Preis des Produkts immer weiter zu senken. Und es hat funktioniert. Für uns ist es sinnvoller, in die Viel-Leser zu investieren, statt sich auf die unregelmäßigen Leser zu konzentrieren.
Ist dieses Uptrading im Reader-Geschäft riskant, weil die Tablets preislich nicht mehr weit entfernt sind?
Tamblyn: Nach unseren Erkenntnissen greift der Leser, der drei Bücher pro Woche liest, nicht zum Tablet. Insofern ist das nicht unser Vergleichsprodukt beim Preis. Uns geht es um die Qualität des Leseerlebnisses für denjenigen, der Lesen mehr liebt als alles andere.
War es eine Ihrer ersten Entscheidungen als Kobo-Chef, die Tablets auf lange Sicht abzustoßen?
Takahito Aiki: Wir haben uns noch nicht endgültig entschieden. Fest steht zumindest, dass wir aktuell keine neuen Tablets entwickeln. Wir konzentrieren uns jetzt auf unsere Apps, um auf dem Tablet-Markt konkurrenzfähig zu sein.
Tamblyn: Als wir auf den Tabletmarkt gestoßen sind, gab es keine besonderen Differenzierungen. Alles ist im Grunde auf das gleiche Display, den gleichen Prozessor und die mehr oder minder gleichen Spezifikationen hinausgelaufen. Im E-Reader-Bereich hingegen konnten wir eigenständige und in ihrer Substanz ganz andere Produkte entwickeln. Im Tablet-Markt würden wir also nur wieder investieren, wenn wir eine Möglichkeit sähen, etwas ganz Neues zu gestalten, das sich von anderen tatsächlich unterscheidet.
Worauf kommt es Ihnen aktuell im App-Geschäft an?
Tamblyn: Ein interessantes Entwicklungsfeld ist die Einbindung unserer Handelspartner in die Verbreitung unserer App. In Frankreich kommen Leser in die Fnac-Filialen und haben bereits ein Gerät in der Tasche, mit dem sie lesen können. Unsere Aufgabe ist, diese Laden-Erlebnisse auszunutzen, um die Leute mit unserer App in Kontakt zu bringen. Im kommenden Jahr wird man bei unseren Partnern also einen größeren Werbemix für Geräte auf der einen und Apps auf der anderen beobachten können.
Lassen Sie uns über die großen Themen der Branche sprechen. Eines davon ist Social-Reading, ein Feld, auf dem Kobo seit Jahren mit „Reading Life“ vertreten ist. Wie sind Ihre Erfahrungen?
Tamblyn: Social Reading erfordert zweierlei: Einerseits muss es ein Verlangen danach geben, Empfehlungen zu teilen, andererseits darf man keine Probleme mit dem sozialen Austausch haben. Wir haben beobachtet, dass die Leute ein privates und ein öffentliches „Leseleben“ haben. Wenn man jemandem das Gefühl gibt, dass alles, was er liest, auch automatisch mit anderen geteilt wird, wird man diesen Kunden wohl nicht mehr lange als Kunden haben. Man muss den Lesern also die Möglichkeit geben, selektiv nur das zu teilen, was sie anderen weitergeben möchten. Ein anderer Aspekt beim Social Reading ist ein demographischer. Unsere Leser sind beispielsweise 50-jährige Frauen, die zwar im Umgang mit sozialen Medien immer vertrauter werden, aber noch lange nicht soweit sind wie die Mitte-20-Jährigen. Das große Problem von Social-Reading-Plattformen ist dabei, dass sie von einem idealen Leser ausgehen, der keineswegs den Markt widerspiegelt.
Ein weiteres großes Thema sind aktuell Abo-Modelle, nachdem Amazon Kindle Unlimited gestartet hat. Wann zieht Kobo nach?
Aiki: Wir haben den Markt analysiert und denken tatsächich darüber nach, wie und wann wir so ein Produkt launchen können. Denn wir haben einen attraktiven Titel-Katalog, hervorragende Geräte, das Wissen und die Verbindungen zu den Verlagen. Aber wir wollen nicht einfach nur bereits bestehende Angebote kopieren.
Tamblyn: Am Ende kommt es darauf an, ob der Service den Lesern die Bücher anbietet, die er auch lesen möchte. Es stellt sich die Frage, ob die Hardcore-Kunden solch ein Abo-Service attraktiver finden als das, was wir zurzeit schon bieten.
Haben Sie Angst, Ihr altes Geschäftsmodell zu unterwandern?
Aiki: Darüber machen wir uns Gedanken. Bücher sind etwas Anderes als Musik oder Filme. Man kann ein gutes Buch nicht genießen, während man etwas anderes macht. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir unser Angebot anders strukturieren.
Der größte Kritikpunkt an den Abo-Modellen ist, dass das Geschäftsmodell auf Dauer nicht tragbar sei.
Tamblyn: Das ist die Frage, die sich jeder, der in die Modelle investiert hat, gerade stellt: Wir werden abwarten. Die Geschichte von Kobo hat gezeigt, dass wir nie davor zurückgeschreckt sind, ein laufendes Geschäft zu unterminieren (disrupt), allerdings kommt es dann darauf an, ein stärkeres und besseres Geschäft zu entwickeln.
Haben Sie keine Angst, in diesem Bereich zu spät auf den Markt zu treten?
Tamblyn: Nein, gerade in Europa steckt die Digitalisierung des Buchmarkts noch in den Kinderschuhen.
Dauerthema Amazon: Auf der Buchmesse in New York haben Sie Jeff Bezos mit Lord Voldemort aus „Harry Potter“ verglichen und auf den Sieg der Freundschaft über die Bosheit gehofft. Wo ist Bezos verwundbar?
Tamblyn: Das letzte, was ich tun werde, ist, die Aufmerksamkeit der Branche auf Amazons Schwächen zu lenken (lacht). Es gibt einige Punkte, die wir tun können, die sie nicht tun können. Amazon arbeitet beispielsweise kaum mit Partnern zusammen, Amazon macht sich keine Gedanken darüber, Erfolg für jemand anderes als sich selbst zu generieren. Wir suchen Konstellationen, bei denen alle Seiten gewinnen, so haben wir beispielsweise Partnerschaften mit Händlern und ein sehr erfolgreiches Selfpublishing-Geschäft aufgebaut. Alle Parteien wissen, dass wir sie bei dieser Revolution mit an Bord haben wollen.
Wo liegt Kobo im weltweiten Rennen der E-Book-Akteure?
Tamblyn: Seit unserer Übernahme durch Rakuten haben wir die Möglichkeit, in Märkte vorzustoßen, auf die wir früher nur viel schwieriger gekommen wären. Unser massives Wachstum in Japan ist dabei nur das offensichtlichste Beispiel. Aber es gibt immer noch Märkte, die in unseren Augen großes Potential haben.
Wie viel Raum lässt Amazon in Japan?
Aiki: Wir stehen ganz klar in einem scharfen Wettbewerb mit Amazon, aber es gibt noch sehr viele andere, lokale E-Book-Player, die von lokalen Buchhandlungen oder -ketten unterstützt werden. Der japanische E-Book-Markt wächst rasant, ist aber nicht zu vergleichen mit anderen Märkten.
Inwiefern?
Aiki: Mehr als 50% des Marktes wird von Manga-Comics bestimmt. Japan ist außerdem wohl der einzige Markt, auf dem Frontlist-Titel teilweise gar nicht als E-Book verkauft werden – die Bücher von Haruki Murakami gibt es zwar auf Englisch als E-Book, nicht aber auf Japanisch. Das ist ein Mysterium, und sowohl wir als auch Amazon und kleinere Anbieter wollen den Markt dafür öffnen.
Funktionieren Mangas auf dem E-Reader?
Aiki: Die Manga-Zielgruppe der 20- bis 30-Jährigen hat ohnehin schon ein Smartphone oder Tablet, deswegen ist der Geräte-Verkauf für die meisten Anbieter nicht das Kerngeschäft. Wichtiger ist es, bei diesen Lesern mit der eigenen App zu landen.
Sie haben inzwischen das E-Book-Geschäft von Pionier Sony übernommen. War das eine gute Entscheidung?
Tamblyn: Ja, und zwar aus vielerlei Hinsicht. Sony hatte eine gute Basis an Nutzern, besonders die so genannten „early adopter“, die dann zu Kobo gewechselt sind. Dadurch, dass Sony zuletzt nicht so viel in das Geschäft investiert hat, konnten diese Kunden eine positive Erfahrung mit uns machen. Am wichtigsten war aber, dass es gelungen ist, die digitalen Bibliotheken der Kunden umzuziehen.
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